Leutkirch - Die Dialogveranstaltung, moderiert von Jakob Lenz vom Energiedialog, zum Stand der Energiewende in Deutschland und der Rolle der Windenergie im Süden in der Leutkircher Stadthalle traf nicht zuletzt wegen der vier geplanten insgesamt 246m hohen Windkraftanlagen im Stadtwald auf großes Interesse bei den Leutkircher Bürgern.
OB Hans-Jörg Henle eröffnete die Veranstaltung mit dem Rückblick auf die Ergebnisse der Bürgerworkshops der 2010er Jahre, als Verwaltung und Gemeinderat den klaren Auftrag zur Energiewende und u.a. auch zum Bau von Windkraftanlagen, erhalten hatten. Inzwischen sei dieser Auftrag vom Gemeinderat bestätigt worden, es wurde auch ein Nahwärmekonzept konzipiert, die Bahn elektrifiziert. Er stellte in seinem Vortrag auch die war, ist und Soll -Zahlen der einzelnen Energieträger dar. „Wir brauchen alles, wir machen alles,“ sagte das Stadtoberhaupt zum Abschluss seiner kleinen Präsentation.
Hauptredner des Abends war Prof. Dr. Gerd Rosenkranz mit seinem Vortrag zum Stand der Energiewende in Deutschland. Zunächst stellte er seine Rolle bei der agora Energiewende dar: Er vermittele die in der Denkfabrik agoraentwickelten Konzepte an die Politik.
„Mit Beginn der Industrialisierung lebten 800 Millionen Menschen auf der Erde, heute sind es 8 Milliarden! Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist bis ins Jahr 2100 kein Leben mehr auf der Erde möglich.“ Hoffnung macht ihm, dass sich das Energiekonzept des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie), bisher der größte Gegenspieler der Energiewende, den Positionen der Befürworter immer mehr annähere. Doch die im Coronajahr 2020 erzielte Co2 Einsparung wurde 2021 schon wieder ausgeglichen.
Für Prof. Rosenkranz ist das Tempo für das Ziel „Klimaneutralität 2045“ noch viel zu langsam. „Wir müssen dreimal so schnell werden.“ Denn bald werden die ersten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden, drei davon in Baden-Württemberg. Bei der Bestückung von Gebäuden mit Photovoltaik sieht Rosenkranz „noch viel Luft nach oben“. „Wir brauchen aber einen gesunden Energiemix – auch um ein Energiepreisgefälle innerhalb Deutschlands zu verhindern“, sagte er im Rahmen der Diskussionsrunde. Elektrolyse, die ein Diskussionsteilnehmer ins Gespräch gebracht hatte, sei als Energiepuffer wichtig. Damit bestätigte er, dass zu einer Energiewende auch die Entwicklung von Speichermöglichkeiten gehört.
Dass die Besucher der Veranstaltung etwas anderes als viele Schaubilder erwartet hatten, machte gleich der erste Fragende deutlich: Dieser fand, der Professor habe das Thema des Abends verfehlt. Seine Erwartungen an die Veranstaltung gingen eher in Richtung Windkraft in Leutkirch. Auch Fragen zu Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit Windkraftanlagen und den Abständen zu Wohngebieten wurden gestellt. OB Henle verwies die Fragenden auf den zweiten Teil der Veranstaltung, in dem es um die geplanten Windkraftanlagen gehen werde.
Mit der Thematik der geplanten Leutkircher Anlagen intensiv auseinandergesetzt hatte sich Gernot Kopp. Der Leutkircher Bürger hatte eine eigene Präsentation zu den Anlagen vorbereitet. Insbesondere widersprach er den von der EnBw angegebenen Entfernungen der Anlagen von mehr als 800m (bis auf ein Einzelgehöft) zu Wohngebieten. Laut eigenen Messungen ergaben sich einige z.T. erhebliche Unterschreitungen. Zwei der vier Anlagen lägen seiner Berechnung nach innerhalb des Wasserschutzgebietes und auch die Flugsicherheit um den Flugplatz Unterzeil sieht er durch die WKA´s gefährdet.
Michael Sokoup von der EnBw-Projektgruppe verwies in seiner Argumentation zu den Standorten auf die rechtlichen Prüfungen. Man habe bei der Bürgerversammlung am 12.10. 2021 die Pläne offengelegt. Vor Jahren sei man mit geplanten sechs Anlagen gestartet, nun stehe man – auch wegen der Flugsicherheit – bei vier. Die von TA Lärm vorgeschriebenen 35 dBa bedeuteten: bei Nacht droht die Abschaltung, was zu wirtschaftlichen Verlusten bis zu 25% führt. Bei Fragen zur Flugsicherheit – etwa zur Platzrunde u.ä. verwies Sokoup auf das Prüfschema der DFS.
Bei Fragen nach Gesundheitsgefährdungen etwa durch Infraschall verwies er auf die Laborstudie, aus welcher der Akustikexperte bei der Bürgerversammlung zitiert hatte. Wasserschutzgebiete teilen sich in drei Zonen auf: In Zone 1 sind keine Anlagen möglich, in Zone 2 sei es Auslegungssache und in Zone 3 sei der Bau unkritisch. Die Frage wie eine Anlage in den Wald komme mit den entsprechenden ökologischen Folgen, beantwortete Sokoup so: Für den Bau einer Anlage werde 1ha Wald benötigt.
Den meisten Platz benötigten die Kranstellplätze mit einer Fläche von 40-50m im Quadrat. Die 80 m langen Rotorflügel würden über transparente Kurvenradien mit höhenverstellbaren Selbstfahrern zu den Anlagen transportiert. Die Freifläche entlang des Fahrweges muss rund 6m betragen.
Zu den Strompreisen sagte Sokoup, die Erzeugerpreise bei den erneuerbaren Energien seien unschlagbar günstig. „60% des Strompreises sind Steuern. Mit den Netzentgelten wird der Bau der Stromtrassen finanziert.“ Zu der Lärmemission der Anlagen und dem Vorwurf, die Lautstärke sei zu hoch, sagte er, die ins Feld geführte dB-Angaben seien eine Empfehlung der WHO, für den Bau entscheidend sei sei aber die TA-Lärm. Warum die Räder so groß sein müssen, erklärt er mit der geringeren Windhöfigkeit in Baden-Württemberg: Um wirtschaftlich zu arbeiten, müssen die Anlagen entsprechend groß dimensioniert sein.
Der Ortsvorsteher von Wuchzenhofen, Gerhard Hutter, dessen Gemeinde am stärksten von den Anlagen betroffen wäre, kenne niemandem im Ort, der sich dagegen ausspricht und mahnte: „Wenn es zum Bürgerentscheid kommt, dann sollen auch nur die Wuchzenhofener darüber bestimmen, und niemand aus Gebrazhofen oder einer anderen, nicht betroffenen Gemeinde.“
OB Henle hatte auch die Landtagsabgeordneten Haser und Krebs um eine Stellungnahme gebeten. Haser, der vor Wochenfrist auf dem Klimagipfel in Glasgow war, sieht weltweit den Kampf um sauberes Wasser derzeit an erster Stelle. „Die Leute z.B. in Ecuador können nichts für die Klimaerwärmung, deren Verursacher die Industrieländer sind.“ Bis zum Jahre 2045 klimaneutral zu werden ist fast nicht zu stemmen, glaubt Haser.
Es werde aber demnächst Gesetz, dass 2% der Landesfläche in Baden-Württemberg für Windkraft und Photovoltaik zur Verfügung stehen müssen. Seiner Schätzung nach werden hier dann 40-50% aus Photovoltaik gewonnen werden, 25% aus Windkraft und 10% aus Biomasse und Geothermie. „Es wird möglich sein.“ Damit das funktioniert seien aber klar strukturierte Verfahren erforderlich, der Gemeinderat müsse entscheiden.
Ob Henle verlas die Stellungnahme von Petra Krebs, die nicht selbst kommen konnte. Um eine Klimakatastrophe zu verhindern und die Stromversorgung aufrechtzuerhalten , seien erneuerbare Energien – auch Windkraft – unabdingbar.
„Die Belange von Landwirtschaft, Natur- und Landschaftsschutz müssen selbstverständlich dabei berücksichtigt werden.“ „Wichtig ist, dass dabei Artenschutz nicht gegen Klimaschutz ausgespielt wird.“ Denn beides sei wichtig.
Klar ist aber auch: Eine der größten Gefahren für die Artenvielfalt sei der Klimawandel. Wenn genügend sauberer Strom in Deutschland und im Land produziert werde, nütze dies auch der Artenvielfalt.
Der Oberbürgermeister betonte in seinem Schlusswort noch einmal den Bürgerauftrag von 2011. Er sagte auch: „Wir müssen unsere Stadt für kommende Generationen lebenswert erhalten. wir stehen vor einer großen Herausforderung und dürfen uns nicht wegducken.“ Er dankte den Bürgern für das Ansprechen kontroverser Themen, aber auch für die sachliche Diskussion.
Bericht und Bilder Ulrich Gresser