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LEUTKIRCH – Wie jedes Jahr im Juli wird bundesweit für die an Drogen verstorbenen Menschen eine Gedenkfeier veranstaltet. So auch in Leutkirch, am Gedenkstein an der Dreifaltigkeitskirche. Ansprechpartnerin für den Elternkreis ist seit über 20 Jahren Beate Stör, betroffene Mutter, die einen ihrer beiden Söhne durch Drogenkonsum verloren hat.

Sie begrüßte die Gäste: „Zu unserer diesjährigen Gedenkfeier für die vielen Menschen, die im vergangenen Jahr und die Jahre davor unmittelbar oder an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben sind, begrüße ich sie alle herzlich“, damit eröffnete Beate Stör die Feier, die Saxophonist Christian Segmehl mit andächtig passenden Melodien umrahmte. Es folgte das Gedicht „DU“.

Eine Tragödie in unserer Gesellschaft – vor aller Augen

Die Feier wurde abwechslungsreich gestaltet, Texte, Fakten und Impulse wurden von betroffenen Müttern vorgelesen, auch Mütter, die ihre Kinder durch Drogen verloren hatten, wie auch Beate Stör. Fakten: Im Jahr 2022 sind nachweislich in Deutschland 1990 Menschen an Drogen gestorben. Der JES Bundesverband nennt das zu Recht: „Eine Tragödie in der Mitte unserer Gesellschaft“. Eine Tragödie, die sich vor unseren Augen abspielt. Es gab bereits in 2021 zum 5. Mal in Folge einen Anstieg von Menschen, die an Überdosierungen infolge von Schwarzmarktsubstanzen und jahrzehntelanger Verfolgung und Kriminalisierung verstarben. Was für eine traurige Bilanz der jahrzehntelangen Drogenpolitik.“ Das müsse hinterfragt werden, meint nicht nur Beate Stör.

179 Menschen verloren 2022 in Baden-Württemberg ihr Leben durch Konsum von Drogen verschiedenster Art

Weiter konnte man vernehmen:
„Im Bericht des Innenministeriums Baden-Württemberg steht: „Im letzten Jahr verloren 179 Menschen ihr Leben durch den Konsum von Drogen. Das sind 49 mehr als im Vorjahr – und jeder Einzelne ist einer zu viel. Eine gefährliche und unkalkulierbare Wirkung entsteht vor allem, wenn Heroin oder Kokain mit anderen Drogen, Medikamenten oder Alkohol konsumiert wird. Diese Gefahr wird von vielen offenbar immer noch nicht erkannt. Deshalb liegt unser Fokus weiterhin auf der Suchtprävention und der Aufklärung, um für die Weitreichenden Folgen und Gefahren zu sensibilisieren.“
„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Dieses Zitat aus Goethes Faust passe hier leider nur zu gut, hieß es bei der Gedenkfeier, denn wenn man die Zusage der Landespolitik ernst nehme, wozu braucht es ein Aktionsbündnis: „Suchtberatung retten“? Das Aktionsbündnis fordert die Berücksichtigung im Nachtragshaushalt. Das stehe so auf einem Informationsblatt des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Zudem lesen wir dort: „Die Politik schreibt immer neue Aufgaben in das Aufgabenbuch der Suchtberatungsstellen: Ausbau der Präventionsangebote angesichts der geplanten Cannabisregulierung, niederschwellige Zugänge zu Suchtberatung erweitern, genderspezifische Versorgungsangebote oder Angebote für neue Problembereiche wie Mediensucht. Auf diese Weise kann die Politik ganz einfach ihren eigenen Auftrag delegieren.

Suchtprävention ist immens wichtig

Weiter konnte man bei der Gedenkfeier hören: „Natürlich geben wir beim Thema Suchtprävention der Politik recht. Suchtprävention ist immens wichtig. Und ist jeden Euro wert den sie kostet! Müsste in den Schulen nicht viel früher damit angefangen werden? Denn wenn in unseren Schulen Suchtprävention auf dem Lehrplan steht, haben sehr viele Kinder bereits Kontakt mit Drogen gehabt und eigene Erfahrungen gesammelt. Deshalb gehört Aufklärung über die Zusammensetzung und Wirkung verschiedenen Drogen ganz oben auf die Agenda!

Vortrag am 11. Oktober an den Schulen und Info-Abend für Eltern

Wichtiger Termin: Am 11. Oktober kommt Mathias Wald, er wird am Vormittag für Schulen einen Impulsvortrag halten: „Du bist der Pilot in deinem eigenen Leben.“ Am Abend wird es noch einen Info-Abend für Eltern und alle interessierten Menschen geben. Mathias Wald war selbst schwer drogenabhängig und hat sein Leben nach seiner Gesundung der Suchtprävention gewidmet. Er berichtet, wie wichtig Suchtprävention und Aufklärung ist. Für diese Veranstaltung werden noch Sponsoren gesucht.

Die Frauen lasen weitere Texte vor: „Viele Erwachsene sind doch, wenn es um illegale Drogen geht teilweise richtig blauäugig und naiv. Wir Eltern von drogengebrauchenden Söhnen und Töchter fragen uns immer wieder, warum um Himmels Willen nehmen unser Kinder Drogen? Sollte man nicht zudem Ursachenforschung an erste Stelle setzen und nicht die Strafverfolgung der kleinen Fische? Es ist bekannt, der Schwarzmarkt von Drogen ist fest in den Händen der organisierten Kriminalität. Weltweit!

In Leutkirch seien alle gängigen Drogen zu bekommen – junge Menschen gelten als risikobereit

„Heute gibt es mehr illegale Substanzen als je zuvor und die Preise sind so gering wie nie! Ein Problem ist, dass die Substanzen unkontrolliert, gestreckt und verunreinigt an unaufgeklärte Konsumenten jeden Alters verkauft werden! Wenn Sie glauben, wir leben doch in einer ländlichen Gegend und Drogen sind bei uns kein Thema. Nun, dann irren Sie sich gewaltig. Auch bei uns im Allgäu ist alles zu kriegen, was derzeit auf dem Markt ist.

Kaum eine Woche ohne Presse-Bericht über Droge: z.B. „Cannabisplantage im Altdorfer Wald gefunden. Amphetamine und Kokain in nicht unerheblichen Mengen ebenso. Dealer gefasst und verurteilt!“ usw. Und das alles in unserem beschaulichen Oberschwaben und Allgäu. Eines müsse uns klar sein: Wo es ein großes Angebot gibt, da gibt es auch Abnehmer. Und gerade junge Menschen konsumieren sehr risikobereit. Es sei schockierend, was diese alles ohne nachzudenken gebrauchen. Dass es verboten ist, interessiere nicht, vielleicht macht das auch noch zusätzlich den Reiz aus, frage man sich.

„Nun soll endlich wenigstens Drug Checking erlaubt werden, aber nur für Erwachsene. Eine Mammutaufgabe bei jedem Event! Wer checkt, prüft dann die Drogen unserer jugendlichen Konsumenten? Denn diese kiffen nicht nur, sondern konsumieren alles Mögliche, Hauptsache es knallt richtig rein. Das ist beängstigend und lebensgefährlich!“ – Fakten, Fragen, Informationen, die erschrecken.

Auch das Jugendhaus-Team beteiligte sich mit Texten

Weiterhin war zu hören: „Jedes Jahr legt der JES Bundesverband und die Aids Hilfe ein Motto für den Gedenktag fest. Dieses Jahr heißt es: Drogentod ist Staatsversagen. Sie denken, das ist aber ein bisschen zu drastisch. Nun, vor unserem Grundgesetz sind alle Menschen gleich und die Menschenwürde ist unantastbar! Das steht zwar geschrieben, aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Wir sind uns einig – Drogensucht ist eine Krankheit, wie so viele andere Krankheiten auch. Die Alkoholsucht ebenfalls. Das ist mittlerweile in der Gesellschaft so angekommen. Bei Drogensucht ist das immer noch schwierig. Nach wie vor werden dies kranken Menschen nebst ihren Angehörigen diskriminiert, stigmatisiert und was sehr dramatisch ist kriminalisiert. Das äußert sich auch in einer abwertenden Sprache. Prohibition und Strafverfolgung in der Drogenpolitik treffen die Falschen! Sie kosten riesige Summen, senken aber weder Nachfrage noch Verfügbarkeit, sondern erzeugen zum Teil erst bestimmte Gefahren und schaffen ein enormes lebenslanges Stigma!

Ein wichtiger Aspekt, vielleicht sogar der Wichtigste, in der zukünftigen Drogenpolitik überhaupt, ist die Entkriminalisierung der Drogenkonsumenten!

Im Positionspapier der akzeptierenden Drogenarbeit und humaner Drogenpolitik Wuppertal stehen 6 Punkte zur Illegalität:

Illegalität verhindert realistische Aufklärung, fördert die Tabuisierung,
hat Unwissenheit, Ignoranz und Diskriminierung zur Folge.

Illegalität hat Beschaffungskriminalität und somit die Kriminalisierung der Konsumenten zur Folge, einhergehend mit immens hohen Kosten für die Strafverfolgungsbehörden bzw. für unsere Gesellschaft.

Illegalität hat die Bildung mafioser, gefährlicher Strukturen zur Folge.

Illegalität bietet keinerlei Sicherheiten bezüglich der Reinheit der Substanzen.

Illegalität begünstigt Übertragung und Ausbreitung von Krankheiten wie Aids und Hepatitis.

Illegalität und drastische Strafen schränken den Konsum kaum ein.

Was diese Gruppe zu Papier gebracht und veröffentlicht hat sind Fakten.
Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Genau diese Punkte sind mit verantwortlich am Tod von vielen Menschen. Denn wenn unsere Drogenpolitik humaner wäre, dann wären mit Sicherheit viele noch am Leben.

Wir alle, die Gesellschaft muss alles dransetzen, dass sich in diesen Bereichen etwas ändert, sonst wird die Zahl der Drogentoten weiter ansteigen und viele
Eltern stehen an den Gräbern ihrer Kinder und fragen nach dem „Warum“?

Und wenn sich dann ein Suchtkranker entschlossen hat: „So will ich nicht mehr weiterleben. Ich will gesundwerden.“ Dann sind hohe Hürden zu meistern.
Es beginnt schon mit der Wartezeit auf einen Platz in einer Entgiftung und danach auf einen Therapieplatz. Das ist für einen Erwachsenen schon eine schwere Prüfung, aber für Jugendliche die nach ihrem Entschluss keine Drogen mehr zu nehmen, noch eine solche „Durststrecke“ bewältigen müssen, ist das schwer durchzuhalten. Rückfälle sind so vorprogrammiert. Gerade diese sind besonders lebensgefährlich!

Wir fordern: Suchtberatung ausbauen und niederschwellige Angebote zur Beratung und mehr Therapieplätze für Jugendliche. Sie brauchen eine Perspektive für ihr Leben danach!

Beate Stör erklärt:
„Sie sehen hier auf unserem Aktionsplakat Fotos von jungen Männern die viel zu früh ihr Leben verloren haben. Es sind Söhne von Eltern der Trauer AG „füreinander da“ unserer Landesvereinigung. Nicht alle Eltern schaffen es emotional Fotos ihrer Buben auf diese Weise zu präsentieren.

Unsere Liste der verstorbenen Drogenopfer aus den vergangenen Jahre, aus dem Jahr 2022 und auch schon aus diesem Jahr, in unserem Umfeld umfasst mittlerweile 44 Namen.

Für jeden dieser Verstorbenen haben wir einen Luftballon mit seinem Namen versehen. Ihr alle fehlt, wir vermissen euch und ihr seid nicht vergessen! Sie haben mitten unter uns gelebt und sind mitten unter uns gestorben. Gemeinsam werden wir diese Ballons gleich in den Himmel steigen lassen.

Und - hier mitten in unserer Stadt wollen wir uns an sie erinnern! Mit den Worten von Heather Brook aus Australien komme ich zum Schluss. „Wo Leben ist, da ist Hoffnung – und unser erstes Ziel in der Drogenpolitik sollte darin bestehen, diese Hoffnung am Leben zu erhalten, indem wir die Abhängigen am Leben halten!

Und jetzt schicken wir diese Luftballons mit den Namen unserer Lieben in den Himmel und vertrauen darauf, dass es ihnen dort, wo sie jetzt sind, gut geht. Zum Abschluss hören wir noch das Gedicht von Adnan. Adnan und Nicolai der Autor des zweiten Gedichtes – beide jungen Männer, leben derzeit im Haus Leimbach in Fleckenbühl. Fleckenbühl ist eine Therapieeinrichtung der etwas anderen Art.

Die Aufnahme erfolgt ohne lange Anträge und dem Prozedere das sonst üblich ist. Im Rahmen des Projekts „Dichten statt kiffen“ wurden dort unter dem Motto „Vorsätze für das neue Jahr“ diese Gedichte geschrieben. Zum Schluss dankte Beate Stör allen, die an der Gedenkfeier teilgenommen hatten.

 

Text: Beate Stör, Fotos: Herr Heine

 

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halloRV

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