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Tautenhofen - Ein Spaziergang auf den Winterberg, hoch über der A 96, tut der Seele immer gut. Der Blick über die vielgestaltige Allgäuer Hügellandschaft bis hin zur Kette der Alpengipfel lässt einen freier atmen. Der weite lichterfüllte Raum der Galluskapelle lädt zu stiller Einkehr ein. Bis zum 11. Juni gibt es noch einen weiteren Grund, sich auf den Weg hinauf zu machen. Bis dahin zeigt der Förderverein Galluskapelle e. V. eine Ausstellung mit Werken der Sießener Franziskanerin Sigmunda May.

Die Bilder könnten hier schon immer hängen
Wenn man oben die Kapelle betritt, hat man dann allerdings nicht das Gefühl, in eine Ausstellung zu kommen. Die sieben großformatigen Holzschnitte in Schwarzweiß, die rundum an den Wänden hängen, fügen sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in den in Weiß und Hellgrau gehaltenen kreisrunden Raum ein. Sie könnten hier durchaus schon immer hängen. Über dem Altar ist eine Kreuzigungsszene platziert. Die Darstellungen wurden passend zur Laufzeit der Präsentation von Palmsonntag bis nach Fronleichnam ausgewählt. Sie beziehen sich überwiegend auf die Geschehnisse der Heilsgeschichte, an die in der Osterzeit zwischen Palmsonntag und Pfingsten erinnert wird.

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Holzschnitt „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst.“ (1997)

Die Künstlernonne Sigmunda May
Die Arbeiten von Schwester Sigmunda sind im kirchlichen Kontext sehr präsent. Sie wurden und werden immer wieder ausgestellt. Außerdem wurden sie gerne als Illustrationen für sowohl kontemplative als auch für didaktische Veröffentlichungen verwendet. 2016, kurz vor ihrem Tod, wurde Sigmunda May für ihr künstlerisches Lebenswerk die Martinusmedaille, die höchste Auszeichnung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, verliehen.

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Perfekt platziert: Die Darstellung der Kreuzigung wurde über dem Altar angebracht.

Eine Nonne als bildende Künstlerin: Das überrascht zunächst vielleicht. Dabei wurde gerade in Frauenklöstern über die Jahrhunderte immer künstlerisch gearbeitet. Das Kloster Sießen hat auch im vergangenen Jahrhundert mehrere wichtige Künstlerinnen hervorgebracht. Die berühmteste und populärste ist sicher Berta Hummel, als Nonne dann Schwester Innocentia. Ihre Zeichnungen und die nach diesen geschaffenen Figuren („Hummel-Figuren“) wurden ein Welterfolg. Und heute arbeitet zum Beispiel Schwester Pietra Löbl, Jahrgang 1965, in Sießen, die sich vor allem mit ihren Rauminstallationen einen Namen gemacht hat.

Kunststudium und Lehrtätigkeit
Ein genauerer Blick auf Leben und Werk von Schwester Sigmunda lohnt sich. 1937 in Dalkingen bei Ellwangen a. d. Jagst geboren, studierte sie bereits als Nonne Geografie an der TH Stuttgart und Malerei an der dortigen Kunstakademie. Ab 1969 arbeitete sie für mehr als drei Jahrzehnte als Kunsterzieherin am Mädchengymnasium St. Agnes in Stuttgart. In dieser Zeit entstanden auch ihre Holzschnitte, der unbestrittene Kern ihres Schaffens.

Frauen als Holzschneiderinnen
1928 hieß es in dem Buch „Die Frau als Künstlerin“, „der herbe, anstrengende Holzschnitt“ werde von Frauen verschmäht. Das stimmte zwar, wenn man etwa an Käthe Kollwitz denkt, schon damals nicht und trifft heute noch viel weniger zu. An der wahren Renaissance, die das etwas urtümliche Medium des Holzschnitts seit den 1980er-Jahren erlebt, haben selbstverständlich auch viele Künstlerinnen ihren Anteil. Dieser neue Holzschnitt beschränkt sich auch nicht mehr auf das klassische Grafik- oder Buchformat. Die Formate der Drucke orientieren sich nun vielmehr selbstbewusst an denen der Malerei.

Schwester Sigmunda und HAP Grieshaber
Es ist bemerkenswert, dass Schwester Sigmunda sich schon vor diesem allgemeinen Holzschnitt-Boom für diese Technik entschieden hat und eben auch viele Drucke im Gemäldeformat schuf, so wie zum Beispiel diejenigen, die jetzt in der Galluskapelle hängen. Das hat sicher auch mit ihren Kontakten zu HAP Grieshaber zu tun. Der hielt in den Nachkriegsjahrzehnten, in denen eher die ungegenständliche Malerei den Ton angab, die Tradition des figurativen Holzschnitts hoch. Gerade zu Sießen, wo der Künstler 1963 bei seinem legendären Osterritt Station gemacht hatte, bestand eine besondere Beziehung.

Die Kunst des Expressionismus als Bezugspunkt
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass Sigmunda May – im Gegensatz gerade auch zu Grieshaber – ihre Arbeiten ausschließlich in Schwarz druckte. Das verstärkt die Kargheit und Strenge dieser künstlerischen Technik noch. Darin knüpft die Künstlerin natürlich auch an die expressionistische Kunst vom Beginn des 20. Jahrhunderts an. Deren Grafik ist ebenfalls weitgehend schwarzweiß. Die Holzschnitte mit Themen aus dem Neuen Testament, wie sie etwa die expressionistischen Künstler Max Pechstein oder Karl-Schmidt-Rottluff schufen, waren sicher überhaupt wichtige Anregungen für die Künstlernonne. Auch bestimmte stilistische Merkmale wie etwa die großen Augen oder die großen ausdrucksstarken Hände der Figuren verweisen deutlich zurück auf die Kunst des Expressionismus.

Darstellung ganz persönlicher Begegnungen mit Jesus
Der Titel der Präsentation in der Galluskapelle lautet „Liebe macht verletzlich“. Das überrascht zunächst etwas, beziehen sich doch viele der Darstellungen auf die Leidensgeschichte. Der Titel trifft aber einen Punkt, der für Sigmunda Mays biblische Szenen charakteristisch ist. Sie schildert häufig, auch in Massenszenen, ganz persönliche, ja intime Begegnungen mit Jesus. Da ist etwa die kauernde Kranke im Blatt „Und alle, die ihn berührten, wurden geheilt“. Sie fasst einen Zipfel von Jesu Gewand und er wendet sich ihr zu. In der in der Galluskapelle gezeigten Kreuzigung wählt Schwester Sigmunda jenen Moment, in dem sich Jesus dem Schächer zuwendet. Dessen Bitte „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst“ nimmt sie dann als Titel dieser Arbeit.

Schwester Sigmundas Darstellungen der altbekannten Szenen aus der Heilsgeschichte bedienen sich stilistisch einer expressiven Bildsprache. Diese nimmt verschiedene Anregungen aus der Kunst des 20. Jahrhunderts auf und interpretiert sie in unverwechselbarer Weise neu. Inhaltlich handelt es sich bei ihren Arbeiten um sehr persönliche Deutungen der Geschichten aus dem Neuen Testament. Der Besucher sollte daher bei seinem Besuch auf dem Winterberg genug Zeit und Muße mitbringen, um sich auch auf die Bilder von Schwester Sigmund May einlassen zu können.
Text und Fotos: Herbert Eichhorn

Galluskapelle Leutkirch-Tautenhofen
täglich 8.00 bis 20.00 Uhr

 

 

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