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Leutkirch / Kißlegg - Kürzlich wurde es mit zwei Vernissagen eröffnet, das „Leutkirch-Kißlegger Kunstduett“, wie Karl-Anton Maucher das Projekt in seiner Begrüßung in Leutkirch nannte: Die Doppelausstellung „Außenweltstabilisatoren“ mit Malerei und Skulptur von Heiko Herrmann aus über 40 Jahren, für die auch zahlreiche attraktive Leihgaben aus verschiedenen Privatsammlungen ausgeliehen wurden, überzeugt an beiden Orten.

Den Besucher erwarten gegensätzliche Ausstellungserlebnisse
Der eigentliche Clou dieses „Kunstduetts“ ist, dass zwar beide Präsentationen Werke aus den gleichen Werkgruppen zeigen – Gemälde, Arbeiten auf Papier, Keramiken und nicht zuletzt Eisengüsse –, dass den Besucher aber trotzdem zwei völlig gegensätzliche Ausstellungserlebnisse erwarten. Es lohnt sich also, sowohl nach Leutkirch als auch nach Kißlegg zu fahren. Dazu besteht die Gelegenheit bis zum 9. Juli, wenn die Präsentation in Wolfgang Hubers Schauraum und Kabinett in Kißlegg zu Ende geht. Die Ausstellung im Gotischen Haus in Leutkirch läuft dann noch bis 6. August.

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Ausstellungseröffnung in Kißlegg. In der Mitte Wolfgang Huber, der wichtigste Ermöglicher des Doppelprojekts.

Klassische Ausstellungsräume in Kißlegg
Den Unterschied machen die so gänzlich verschiedenen räumlichen Gegebenheiten aus. Beide Orte zählen sicher zu den, auf jeweils ihre Art, spektakulärsten Ausstellungsräumen, die das württembergische Allgäu zu bieten hat. Die Kißlegger Räume wurden mit großem Einfühlungsvermögen eigens für die Präsentation zeitgenössischer Kunst konzipiert und gebaut. Sie würden genauso auch in München oder Berlin Eindruck machen. Indirekt fließt das natürliche Licht an den großen weißen Wänden in die Räume. Die sind deutlich dem Prinzip des weißen Würfels („white cube“) verpflichtet als dem idealen, weil möglichst neutralen Ausstellungsraum für moderne Kunst. Hier werden in streng klassischer, aber gleichzeitig sehr großzügiger Hängung 83 Arbeiten von Heiko Herrmann präsentiert, darunter auch viele großformatige Gemälde.

Inszenierung in historischen Räumen in Leutkirch
Ganz anders die Situation im Gotischen Haus. Bei der Sanierung wurden die beiden heute für Ausstellungen genutzten Geschosse bewusst sozusagen in einem Rohzustand belassen, der die Lebensspuren aus über fünf Jahrhunderten bewahrt. Bohlenwände, malerische Reste von Putz, ja selbst alte Tapeten geben den Räumen einen starken Eigencharakter. Hier haben die Ausstellungsmacher konsequenterweise die Zwiesprache zwischen Heiko Herrmanns Arbeiten und den unterschiedlichen Räumen regelrecht inszeniert. Die Einzelwerke bekommen sehr viel Raum. Manchmal leistet man sich sogar den Luxus, in einem Raum nur ein einziges Kunstwerk zu präsentieren. Besonders beeindruckt zum Beispiel die Stube mit der gerade mal 40 Zentimeter hohen, glänzend glasierten Keramik „Roter Kopf“.

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Heiko Herrmanns „Roter Kopf“ (2000), eindrucksvoll inszeniert im Gotischen Haus.

Die Arbeitsweise des Künstlers
Bei der Eröffnung in Leutkirch gewährte Heiko Herrmann im Gespräch mit Otto Schöllhorn vom Galeriekreis interessante Einblicke in seine Arbeitsweise, die er mit dem Feuermachen verglich. Erst bringe er das „Gerümpel“, also die Farbe, spontan auf die Leinwand, dann greife er ordnend ein, schaffe Formen und Strukturen, die er dann aber oft wiederholt übermale. Wenn ein Werk etwas abstrahlen könne, sei es schließlich fertig, zünde gewissermaßen. Es erhalte dann seinen Titel, der aber in der Regel nicht viel erklärt. Dann ist der Betrachter gefragt, denn ohne diesen gibt’s keine Kunst, so Herrmann.

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Blick in die Ausstellung in Kißlegg, unter anderem mit dem Großformat „Wiedehopf“ (1978)

Tatsächlich entdeckt man als Besucher Gemälde wie etwa „Große Mutter“ oder „Wiedehopf“, in denen Formen und Strukturen dominieren. Man erkennt Reste von Gegenständen, ohne dass hier freilich eine Geschichte erzählt werden soll. In anderen Arbeiten ist die Malerei an sich das eigentliche Thema. So bestimmen etwa in dem Großformat mit dem schönen Titel „An der Kreuzung von 2 Sonnen und 5 Wegen“ die malerische Aktion und die Spuren wiederholter Übermalungen den Gesamteindruck. Heiko Herrmanns Vorgehensweise bedingt natürlich auch die häufig gebrochene Farbigkeit der Gemälde. Reine Farben sind eher selten.

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Blick in die Ausstellung in Kißlegg, unter anderem mit dem Großformat „An der Kreuzung von 2 Sonnen und 5 Wegen“ (1987)

Von München in die Oberpfalz
Heiko Herrmann, der 1953 in Schrobenhausen geboren wurde, hat an der Münchner Kunstakademie studiert. In den siebziger Jahren gehörte er zusammen mit u.a. Heimrad Prem und Helmut Sturm zur Münchner Künstlergruppe „Kollektiv Herzogstraße“. Rege politische Diskussionen und gemeinsames Arbeiten im Kollektiv passten damals in die Zeit. Seit 1991 arbeitet der Künstler vor allem in einem Dorf in der oberpfälzischen Provinz. Seither beschäftigt er sich auch mit Plastik. Zunächst entstand, quasi als Zwischenstufe zwischen Malerei und Plastik, Keramik, die er bemalte und von der die Ausstellungen einige wenige schöne Beispiele zeigen.

Eisengüsse in verlorener Form
Seit 2006 entstehen nun kleine Skulpturen in Eisenguss. Hier geht der Künstler tatsächlich von Gerümpel aus, konkret: von Verpackungsmaterial wie Wellpappe und vor allem Styropor. Daraus montiert er die Gussformen, die in dem archaischen Verfahren der verlorenen Form mit Schamott ummantelt werden und schließlich quasi verdampfen. So entstehen Arbeiten, die einen ganz anderen Ton anschlagen als die Gemälde. Das hat zunächst mit dem einheitlichen Rostrot des Materials zu tun, das zudem eine schöne samtige Oberfläche aufweist. Auch meint man in den Eisengüssen, die den zweiten Schwerpunkt der beiden Ausstellungen ausmachen, geradezu klassische Konstellationen der europäischen Bildhauertradition zu erkennen. Die stehenden, sitzenden und liegenden Figuren und Figurengruppen scheinen über Künstler wie etwa Henry Moore zurück bis in die Antike zu verweisen.

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Die Eisengüsse „Die Säulenheiligen“ (2016) in der Ausstellung in Leutkirch

Das Nebeneinander von Heiko Herrmanns energiestrotzenden Gemälden mit den stilleren, fast schon klassischen Skulpturen des Künstlers – und beides präsentiert in so außergewöhnlichen Räumen – macht den besonderen Reiz des diesjährigen „Leutkirch-Kißlegger Kunstduetts“ aus. Bei der Eröffnung der Leutkircher Ausstellung bedankte sich Heiko Herrmann vor allem bei Wolfgang Huber. Wie ein unermüdlicher Prinz Eisenherz habe dieser als Initiator und Ermöglicher maßgeblich zum Gelingen dieses rundum überzeugenden Ausstellungsprojekts beigetragen.
Text und Fotos: Herbert Eichhorn

Aus Anlass der Ausstellungen ist zum Preis von 15 € ein schön gestalteter Katalog zu den Eisenskulpturen erschienen, von dem auch eine Vorzugsausgabe mit einer Radierung des Künstlers angeboten wird.

Am 26. Mai und am 7. Juli
In Leutkirch lädt der Galerieverein am Freitag, 26. Mai, und am Freitag, 7. Juli, jeweils um 18.00 Uhr unter dem Motto „Eine Stunde Kunst“ zu einem Gespräch zur Ausstellung ein.

Schauraum und Kabinett Wolfgang Huber
Schlossstraße 58/1, Kißlegg
bis 9. Juli 2023
freitags 19.00 bis 21.00 Uhr
samstags und sonntags 14.00 bis 17.00 Uhr

Gotisches Haus
Marktstraße 32, Leutkirch
bis 6. August 2023
montags bis freitags 9.00 bis 18.00 Uhr
samstags 11.00 bis 13.00 Uhr
sonn- und feiertags 15.00 bis 17.00 Uhr

 

 

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halloRV

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