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Leutkirch - Dank den beiden Initiatoren Roland Hess und Rainer Mack (Drucker und Schriftsetzer) mit Team verfügt die Heimatpflege Leutkirch seit Kurzem über eine komplett ausgestattete historische Druckwerkstatt im Museum im Bock, die am Freitagabend offiziell mit vielen Gästen eingeweiht worden ist. Das Museum im Bock hat im Unterschied zu anderen Heimatmuseen damit ein echtes Alleinstellungsmerkmal – neben der Otl-Aicher-Abteilung, der SZ-Ausstellung und dem Schwerpunkt Muna.

Gut zwei Jahre dauerte es, vom ersten Funken der Begeisterung seitens von Roland Hess, der seinen Freund und Berufskollegen Rainer Mack nicht lange überreden musste, bis zur Eröffnung. Zunächst galt es, die Vorstandschaft der Heimatpflege von der einmaligen Chance zu überzeugen, in der „Zeitungsstadt Leutkirch“ eine Druckwerkstatt im Museum im Bock einrichten zu können, um die alte Handwerkskunst von Satz und Druck für alle Generationen wieder neu erlebbar zu machen. Nachdem der Trägerverein Grünes Licht gegeben hatte, galt es, mit einem enormen ehrenamtlichen Kraftakt die Sache zu realisieren. Dabei konnten Hess und Mack auf viele begeisterte Helfer bauen.

40 Tonnen Material – vom Setzkasten bis zum Heidelberger Tiegel
Auslöser war die Tatsache, dass der AVA-Verlag in Kempten seine Druckerei aufgab und daher unter anderem das Prunkstück der Ausstellung, ein „Heidelberger Tiegel“ aus dem Jahr 1959, und manch anderes historisches Gerät seinem ehemaligen Mitarbeiter Roland Hess per Schenkung zur Verfügung stellte. Der war hellauf begeistert und der „Ur-Virus in seinem Druckerblut“ erwachte zum Leben. „Der Heidelberger Tiegel ist meine große Liebe“, sagte Roland Hess schmunzelnd beim Festakt im Freitagabend, wohlwissend, dass seine Sylvia diese Zuneigung richtig einzuschätzen weiß. Fast gleichzeitig erfuhr Rainer Mack von der Auflösung des Druckerei-Museums von Koesel in Krugzell und auch aus Immenstadt waren von der Druckerei Eberl weitere „alte Teile“ zu bekommen. Am Ende waren es 40 Tonnen Material an Maschinen und Zubehör, das auseinandergebaut, auf Paletten verstaut und nach Leutkirch transportiert wurde.

„Der größte Wunsch meines Lebens ging in Erfüllung: Einmal eine alte Druckmaschine wie den Heidelberger Tiegel zu bekommen“, erzählt „Role“ Hess bei einem kleinen „Talk im Bocksaal“ und schwärmt von seiner Liebe, die er schon als Kind zu Farbe, Satz und Druck samt zugehöriger Maschinerie und ureigenem  Geruch hatte. Auch Rainer Mack war von Anfang an überzeugt, dass es eine einmalige Chance für die Heimatpflege sein wird, diese Gerätschaften samt Mobilar wie einen kompletten Setzkasten, eine Handpresse, eine Schneidmaschine und anderes mehr fürs Museum zu bekommen.

Ideale Ergänzung zu vorhandenen Ausstellungen
Zusammen mit den aktuell laufenden Ausstellungen „100 Jahre Schwäbische Zeitung in Leutkirch“ und „Otl-Aicher zum 100. Geburtstag“ mit dessen weltbekannten Grafiken ergänzt die Einrichtung einer historischen Druckwerkstatt im Stadl am urigen Museumshöfle das Heimatmuseum im Bock in wohl in einmaliger Art und Weise. Dazuhin kommt, dass die Druckerei nicht nur besichtigt, sondern auch durch laufende Satz- und Druckvorgänge für jeden erlebbar, hör- und riechbar ist. Geplant sind Kooperations- und Workshops mit Schülern, Gruppen, Touristen usw., um das alte Gutenberg-Handwerk aus dem 15. Jahrhundert auch jüngeren Generationen nahe zu bringen.

Viel Muskelkraft, Knowhow und ehrenamtliche Stunden
Michael Waizenegger, der 1. Vorsitzende der Heimatpflege, die, wie er sagte, obacht auf die Heimat gäbe, erläuterte, dass erst nach und nach allen bewusst geworden war, was für eine „Riesensache“ die Idee von Roland Hess und Rainer Mack werden würde, nicht nur räumlich, sondern auch handwerkstechnisch. Viel Muskelkraft und Knowhow, unzählige ehrenamtliche Stunden und noch mehr Leidenschaft für die Schwarze Kunst waren über zwei Jahre gefragt und die beiden Initiatoren hatten es nicht schwer, eifrige Mitstreiter aus der Branche zu finden wie Richard Tritschler (ehemaliger Schriftsetzermeister der „Schwäbischen Zeitung“ aus Altmannshofen), dessen Schwiegersohn Wolfgang Diesch, Vorstand des Memminger MedienCentrums, Peter Neidhardt (Druckerei in Aichstetten), Martin Schöllhorn aus Reichenhofen und andere, die sich über Monate wöchentlich getroffen haben, um die historische Druckwerkstatt im Museum aufzubauen und einzurichten.

Voll des Lobes war natürlich auch Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle, der diesen neuen Anziehungspunkt als große Bereicherung für Leutkirch sieht. „Es macht wahrlich Ein-Druck“, meinte er nicht nur über die selbstgedruckte Einladungskarte, sondern ging auf den Zusammenhang zwischen der Druckkunst und ihrem Beitrag zur Demokratisierung ein bis hin zur Pressefreiheit und der Geschichte der Zeitung in Leutkirch mit dem ersten „Intelligenzblatt“ aus 1825.

Raimund Hasers Worte geben zu denken
Besonders eindrückliche Worte fand auch der Landtagsabgeordnete Raimund Haser, der sich tief mit Redaktion, Druck und Medien aus seiner früheren beruflichen Tätigkeit verbunden zeigte. Haser, ein gebürtiger Leutkircher, arbeitete früher als Redakteur bei der „Schwäbischen Zeitung“. Insbesondere würdigte er den Wert der Langsamkeit, der in der alten Handwerkskunst aufscheine. Alles gehe heute schnell und hektisch, aber bei der Kunst der Gutenbergjünger seien die Uhren bedächtiger, achtsamer und sorgfältiger gegangen. Er betonte, dass die Druckerkunst, die ersten Presseartikel wie auch die erste E-Mail aus Deutschland kamen und nicht zu Unrecht heiße es, dass die Erfindung der beweglichen Buchstaben aus Blei wertvoller für die Menschheit war als Gold. Ohne diese Kunst aus der Mitte des 15. Jahrhunderts hätte Wissen nie so schnell geteilt werden können, wäre vielleicht auch die Reformation nicht gekommen, wüssten wir kaum etwas von anderen Ländern ...

Haser gab zu bedenken, dass ein Schriftsetzer früher 2000 Zeichen in einer Stunde schaffte, heute aber ein Kind dies in 10 Minuten ins Handy tippe. Mit den besten Wünschen zur erlebbaren Druck-Werkstatt, in der sauber und korrekt gearbeitet werde, denn nicht nur beim Setzen der Buchstaben müsse man seine Worte wohl wählen, schloss Haser sein Grußwort

Spanische Gitarrenmusik von De Nada
Sehr unterhaltsam war nicht nur das Gespräch von Michael Waitzenegger mit Roland Hess und Rainer Mack, sondern auch die Musik der Band De Nada, die mit südländischer Gitarrenmusik, mit Gypsy-Jazz und eingängigen Melodien für entspannte Gemütlichkeit im Bocksaal sorgte. Die beiden Leutkircher Marco Müller an der Gitarre und Hardy Pfahl am Bass gaben zusammen mit Gitarrist Lukas den Besuchern ein bisschen Urlaubsgefühl mit, bevor alle ins Museum zu Sekt, Wasser oder Wein eingeladen waren und sich von der Erlebbarkeit  der Druckwerkstatt überzeugen konnten.

Roland Hess, Rainer Mack und Peter Neidhardt zogen ihre Schürzen mit dem Aufdruck „Gott grüß die Kunst“ an, machten sich an die Arbeit und zeigten mit leuchtenden Augen „ihre" Maschinen, die Buchstaben im Setzkasten, druckten auf Wunsch Postkarten und hatten auch ihre bisherigen Werke ausgestellt. Wunderschön war auch das Ambiente im Museumshöfle, wo ein Feuer brannte, Bistro-Tische und neue bunte Stühle zum Bleiben einluden. Erst weit nach 23 Uhr verließen die letzten Gäste das Museum, angefüllt mit vielen neuen „Ein-Drücken!“
Text/Bilder: Carmen Notz

Infos: Das Museum im Bock ist an Sonn- und Feiertagen von 13.00 bis 17.00 Uhr geöffnet sowie am 1. Samstag im Monat und mittwochs von 14.00 bis 17.00 Uhr. Führungen werden bekannt gegeben. Derzeit sind zudem die Sonderausstellungen „100 Jahre Schwäbische Zeitung in Leutkirch“ sowie zu Grafiker Otl Aicher zu sehen.
Infos im Internet unter: www.heimatpflege-leutkirch.de
01Wai begrüßt

Michael Waitzenegger, der 1. Vorsitzende der Leutkircher Heimatpflege, begrüßte  die zahlreichen Besucher bei der Eröffnung der Historischen Druckwerkstatt.

02Henle begrüßtOberbürgermeister Hans-Jörg Henle bei seinem Grußwort. 

03Haser Grußwort

Raimund Haser MdL schlug einen großen Bogen von Gutenberg bis zur Jetztzeit. Der Abgeordnete ist selbst ein Zeitungsmann.

04Denada 2JPG

Ihre Musik ging ins Ohr: das Trio De Nada.

05Bocksaal voll

Der Bocksaal war rappelvoll.

06Mack und HessLebendiger Vortrag: Rainer Mack (li.) und Roland Hess erzählten vom Werden ihrer Museumsdruckwerkstatt.

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Blick durchs Fenster der Museumswerkstatt. Sie ist im Stadl neben dem Bock-Gebäude untergebracht.

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Rainer Mack an der Liberty-Presse, eine über ein Fußpedal betriebene Tiegeldruckpresse. Das Leutkircher Exemplar stammt aus dem Jahre 1886. Erfunden wurde die Libertypresse um 1850 von Friedrich Otto Degener (* 1813 in Hannover, † 1873 in Brooklyn/New York). Am 17. November 1857 erhielt er sein Patent darauf (laut Wikipedia).

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Roland Hess an "seinem" Heidelberger Tiegel. Das Bild stammt von einer früheren Vorführung. Archivbild: Carmen Notz 

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Vorführung des "Heidelberger Tiegels" für Schüler in der Corona-Zeit. Archivbild: Carmen Notz

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Peter Neidhardt an der Druckmaschine.

11bSetzkastenschrank

Alles akkurat verstaut: der Setzkasten-Schrank. Ordnung muss sein.

12Drucksachen

In der Museumsdruckerei Hergestelltes.

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Weitere Drucksachen und ein Plakat aus der Zeit, als der Bleisatz vom Fotosatz abgelöst wurde.

14Innenhof

Innenhof zwischen Bock-Gebäude und Drucker-Stadl.

15WirtNatürlich wurde auf die Eröffnung angestoßen. Für die Bewirtung sorgten Rudi Dentler und Frau.

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Angeregter Small Talk nach der offiziellen Eröffnung.

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Gekommen waren natürlich auch einige Zeitungsleute (hier Rolf Waldvogel,  Michael Wulf und Roland Rasemann / von links). Anwesend war auch Wolfgang Wild, der ehemalige Druckereileiter des Leutkircher SZ-Lokalverlages Rudolf Roth. Wild wurde als Ehrenbürger der Stadt Leutkirch vom OB eigens begrüßt.

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Print und Nonprint: Der Freie Journalist Gerhard Reischmann (links) vertrat die Bildschirmzeitung „Der Leutkircher“, Rolf Dieterich war einst stellvertretender Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“. In ihrem Gespräch ging es viel über die früher in Leutkirch ansässige Zentrale der „Schwäbischen Zeitung“, in deren Dienst einst auch Gerhard Reischmann gestanden hatte. 

 

 

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halloRV

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