Leutkirch - Unter dem Titel „Tönendes Rot und Grün“ zeigt die Galerie im Kornhaus über Ostern und noch bis zum 15. April über 40 Werke der Malerin Dietlinde Stengelin aus Langenargen.
Großes Landesprojekt des Künstlerbundes
Die Leutkircher Ausstellung ist Teil des großen Landesprojektes „Trüffelsuche“ des Künstlerbundes Baden-Württemberg. Es geht dabei um das Knüpfen neuer Netzwerke und Beziehungen. Ein Jahr lang bringt die Künstlervereinigung kleinere Kunstvereine sowie weniger bekannte oder auch nur temporäre Ausstellungsräume im ganzen Land mit Künstlerinnen und Künstlern zu neuen Projekten zusammen. Bis zum Sommer werden schließlich insgesamt 75 Ausstellungen und Aktionen mit fast 250 Beteiligten realisiert worden sein.
Kooperation zwischen Leutkirch und Langenargen
In diesem Kontext kam auch die Kooperation zwischen dem Galeriekreis Leutkirch und dem Museum Langenargen zustande. Im Kornhaus wird nun die Malerei von Dietlinde Stengelin präsentiert. Gleichzeitig zeigt Wolfgang Henning, der in Leutkirch und Karlsruhe-Durlach lebt, seine Werke in Langenargen.
Begegnung mit einer älteren Künstlergeneration
Neben dem Herstellen neuer Kontakte hat das Trüffelsuche-Projekt auch einen reizvollen Nebeneffekt: Die Ausstellungen ermöglichen immer wieder auch die Begegnung mit dem Werk von zu Unrecht etwas aus dem Blick geratenen Vertretern einer älteren Künstlergeneration; sind es doch sonst eher jüngere Künstler, die das aktuelle Ausstellungsgeschehen bestimmen.
Dietlinde Stengelin etwa ist Jahrgang 1940 und hat in den 1960er-Jahren an den Kunstakademien in Stuttgart und Karlsruhe studiert. Dort war sie Meisterschülerin von Georg Meistermann. Sie hat lange als Lehrerin gearbeitet und ist bis heute als Malerin aktiv.
Farbe spielt Schlüsselrolle im Werk
Wenn man im Kornhaus in die erste Ausstellungsebene hinaufkommt, wird sofort klar, dass der Farbe eine Schlüsselrolle im Werk von Dietlinde Stengelin zukommt. Das gilt nicht nur für das einzelne Werk, in dem oft schon sehr viele verschiedene Variationen einer einzigen Farbe Verwendung finden. Die Künstlerin hat in der Ausstellung einige Bildserien gehängt, in denen über mehrere Einzelbilder hinweg vor dem Betrachter eine geradezu verschwenderische Vielfalt an Farbabstufungen aufgefächert wird. Für die auf den ersten Blick ungegenständlichen Arbeiten wird die Acrylfarbe mit breitem Pinsel lasierend, aber auch mit gerissenen Formen von dünnem eingefärbtem Papier auf die Leinwand gebracht.
Spuren von Gegenständlichem
In diesen opulenten Farbräumen entdeckt das Auge aber auch immer wieder Spuren von Gegenständlichem, häufig Blütenformen oder auch einmal einen Vogel, der aus seinem Nest flieht. Immer wieder Körperpartien: ein Gesicht, ein Kopf, Beine, eine Hand. Und der titelgebende Stolperstein, der in einer Leinwandarbeit und einer großen Zeichnung auftaucht, ähnelt wohl nicht zufällig einem Totenschädel.
Auseinandersetzung mit Bibel und Mythos
Mit der Vermutung, dass neben der Begeisterung für das Material Farbe noch etwas Anderes für die Schöpfungen der Malerin bestimmend ist, steigt man zur zweiten Ausstellungsetage hinauf. Dort erwartet einen dann ein Kabinett mit großformatigen Arbeiten auf Papier mit weiblichen Figuren. Die Farbe ist in diesen Werken etwas zurückgenommen. Weiß-, Rosa- und helle Blautöne dominieren. Werktitel wie „Eva und die Schlange“ oder „Daphne“ verweisen auf Bibel und Mythos, also auf eine gewichtige inhaltliche Ebene, die Dietlinde Stengelin offensichtlich auch beschäftigt.
Ausstellungstitel bei Georg Trakl entlehnt
Jetzt kommt einem auch der poetische Titel der Leutkircher Ausstellung wieder in den Sinn. Die Künstlerin hat ihn in dem Gedicht „Die Bauern“ des expressionistischen Dichters Georg Trakl gefunden. Gleich im ersten Vers scheint dort eine Gegenwelt zu der düsteren Stimmung auf, in der das Mittagsmahl der Bauern „im schwarzverräucherten, niederen Saal“ beschrieben wird: „Vorm Fenster tönendes Grün und Rot“. Der Ausstellungstitel signalisiert also bereits, dass die opulenten Farbklänge im Schaffen von Dietlinde Stengelin, das man im Kornhaus erkunden kann, nicht nur für sich stehen, nicht bloßer Selbstzweck sind. Sie sind vielmehr auch ein tönender Echoraum für ein Nachdenken über ganz existenzielle Fragen.
Partnerprojekt in Langenargen vor Kurzem eröffnet
Vor wenigen Tagen wurde übrigens im Museum Langenargen sozusagen das Partnerprojekt eröffnet. Unter dem Titel „Porträts und Jagdgesellschaften“ sind dort bis 5. November Arbeiten des Leutkircher Malers Wolfgang Henning zu sehen.
Die Bildschirmzeitung wird demnächst auch diese Ausstellung besprechen.
Text und Bilder: Herbert Eichhorn
Galerie im Kornhaus
montags 9.00 bis 18.00 Uhr
mittwochs 14.00 bis 18.00 Uhr
donnerstags 10.00 bis 12.00 und 14.00 bis 19.00 Uhr
freitags 14.00 bis 18.00 Uhr
samstags 10.00 bis 12.00 Uhr
sonntags 15.00 bis 17.00 Uhr
Blick in Ausstellung mit Bildserie in Grün und Blau
Stolperstein, 2010, Acryl, Papier, Leinwand
Vertreibung 1, 2011, Acryl, Papier, Leinwand
Figürliche Arbeiten auf Papier auf der zweiten Ausstellungsebene