Leutkirch - Thomas Alber, Buchautor und Vortragsreferent mit christlich orientierten Themen (zum Beispiel über Pater Leppich und ganz aktuell über Willi Graf), stellte bei seinem Vortrag im Leutkircher Tagungshaus Regina Pacis am 25. Februar klar: Die Kernmitglieder der Widerstandgruppe „Die weiße Rose“, die sich im Jahr 1942 als Anti-Hitler- und Regime-Kritiker-Vereinigung im Untergrund formierte hatte, konnte trotz Tausender von Flugblättern den Kriegsverlauf nicht beeinflussen, zumindest nicht messbar. Der unschätzbare Wert dieser Widerstandsbewegung ist: Man kann mit Fug und Recht sagen: Nicht alle Deutschen waren Nationalsozialisten und antisemitisch orientiert.
Bezug zu Leutkirch
Ein hochsachkundiger Referent und ein interessiertes Publikum machten den Vortrag zur Weißen Rose, fast auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Tod von Hans und Sophie Scholl und Christoph Propst unter dem Fallbeil, zu einem spannenden Abend. Der Besucherstrom hätte wahrlich breiter fließen können, es blieben nicht wenige Sitze leer; das wurde mit Erstaunen registriert, gibt es doch sogar eine Geschwister-Scholl-Schule gleich neben dem Haus Regina Pacis und wird das Andenken der Ermordeten gerade in Leutkirch besonders hochgehalten. Zudem wohnte Inge Aicher-Scholl (Schwester der Geschwister Scholl) in Rotis mit ihrem international bekannten Mann Otl Aicher; beide sind auf dem Friedhof in Hofs bei Leutkirch begraben.
Thomas Alber aus Friedrichshafen ging zunächst kurz auf die Persönlichkeiten der sechs Kernmitglieder der Weißen Rose ein, gab Einblicke in deren meist sehr religiöses oder akademisches Elternhaus und erläuterte, wie sich diese Sechs dann später an der Ludwig-Maximilians-Universität in München oder gar schon zu Gymnasiumszeiten kennengelernt und zusammengefunden hatten.
Die sechs Mitglieder der Kerngruppe
Da waren die Geschwister Hans und Sophie Scholl aus Ulm (später München), da gab es den Alexander Schmorell aus Orenburg (Russland), ein russisch-orthodox getaufter Deutscher aus gutem Hause. Da waren Willi Graf aus Kuchenheim bei Euskirchen, aus streng katholischem Elternhaus, und Christoph Probst aus Murnau/Bayern, Jahrgang 1919, ein philosophisch-entspannter Zeitgenosse, der aufgrund von zwei Scheidungen seiner Mutter in jungen Jahren ein kurvenreiches Leben hatte. Und nicht zuletzt gilt es Prof. Dr. Kurt Huber zu erwähnen, gebürtig aus Chur/Schweiz, Jahrgang 1896, der bei seinen Vorlesungen an der Ludwig-Maximilians-Uni bei entsprechenden Themen immer wieder zwischen den Zeilen regimekritische Bemerkungen einfließen ließ.
Die NSDAP wollte unter Hitler die Umgestaltung der Gesellschaft und (miss)brauchte dafür vor allem die Jugend, indoktrinierte sie unter anderem mit dem Glauben an die reine deutsche Rasse, die besseren Menschen, die Arier.
Einige Kernmitglieder der Weißen Rose waren anfangs sogar engagiert bei der Hitler-Jugend dabei, absolvierten auch den Reichsarbeitsdienst, doch der Drill und der Ton im Arbeitsdienst, bei politischen Propaganda-Reden, aber auch die abnehmende geistige Freiheit unter der Hitler-Ideologie gefiel nicht und sie hassten das immer mehr.
Die Geschwister Hans und Sophie ebenso wie ihr Vater Robert Scholl sahen mit dem Regime das Ende der Zukunft für Deutschland kommen, trotz unter anderem des Autobahnbaus und der Schaffung von Arbeitsplätzen; eine gesicherte Zukunft mit gutem Beruf, Haus und Familiengründung sahen sie unter Hitler sehr skeptisch. Zu sehr war die Sache durch die SS, die Gestapo und Spione im Volk bereits am Laufen, die Jugend und junge Menschen in festen Bünden zusammengefasst und unter Kontrolle, inklusive dem „Heil Hitler“.
Nachgesprochene Original-Texte
Alle Bilder und Texte, zudem nachgesprochene Originaltexte durch Bekannte, hat Thomas Alber nach akribischer Kleinarbeit in diversen Stadtarchiven, in Museen und privaten Akten herausgesucht und dem Publikum im Regina Pacis mittels Beamer präsentiert. Er zeigte den Weg der Kernmitglieder auf, von den hitlerfreundlichen Studenten bis hin zur antinazistischen Wandlung mit heimlicher Verteilung von Flugblättern, die das Regime stark kritisierten und die Bürger wachzurütteln versuchten, die versuchten, die Wahrheit kundzutun.
Man konnte keinem mehr trauen
Schon ab 1933 war eine Zeit, in der der eine dem anderen nicht mehr trauen konnte, Familien, Freunde und Nachbarn sich bespitzelten, ob auch ja alle treue Hitlerbefürworter sind und hinter seinen unsäglichen Machenschaften standen, so Alber in seinem Vortrag. Daher waren die Treffen und das Vervielfältigen der ersten Flugblätter sehr riskant und fanden bei „Nacht und Nebel, in Kellern und Gewölben“ statt.
In Warschau wird das Juden-Schicksal grausam deutlich
Sehr eindrücklich war der zweite Teil des Vortrags nach der Pause, als es „zur Sache ging“: Im Sommer 1942 mussten die Studenten der Weißen Rose (alle außer Probst, der in der Luftwaffe im Dienst war) als Heeressoldaten über Warschau nach Russland, wo sie in Polen die erschütternde und ernüchternde Wahrheit über die grauenhaften Vorkommnisse gegen die Juden erfuhren. Ab 1. August 1942 sind sie an der Ostfront kurz vor Moskau, alle als Sanitäter eingesetzt. Sie beschließen nach der Rückkehr, ihren Widerstand zu verstärken, und beginnen, heimlich weitere Flugblätter zu drucken und zu verteilen, eine lebensgefährliche Sache, weil keiner wusste, wer und wo die Spitzel des Regimes waren und lauerten. So wurde Anfang 1943 ein weiteres Flugblatt vorbereitet mit Entwurf von Hans Scholl. Rund 6000 Blätter sollten Menschen auch in Salzburg, Augsburg und Ulm erreichen.
Zwei Ereignisse trafen zusammen, die den Kernmitgliedern der Weißen Rose noch mehr Auftrieb gaben: Am 3. Februar 1943 ereilte der 6. Deutschen Armee die Niederlage bei Stalingrad in einem grausamen Winter mit insgesamt einer halben Million toter Soldaten und Zivilisten.
Der zweite Anlass für die Kernmitglieder war die Rede von Gauleiter Paul Giesler beim Jubiläum „470 Jahre Ludwig-Maximilian-Universität“, wo neben namhaften Bürgern und politischen Funktionären die ganze Studentenschaft anwesend war. Giesler meinte lautstark, die Studentinnen sollten jedes Jahr dem Führer ein Kind schenken anstatt zu studieren.
Flugblätter in der Uni ausgelegt
Die Geschwister Scholl legten am 18. Februar Flugblätter in Gängen und Hörsäalen der Uni aus, warfen welche über die Balustrade in den Lichthof. Dabei wurden sie vom regimetreuen Hausmeister Jakob Schmid beobachtet und festgehalten. Die Geschwister Scholl und Christoph Propst wurden von der Gestapo festgenommen und am 22. Februar in einem willkürlichen Schnellverfahren zum Tod verurteilt; gegen Willi Graf und die beiden anderen wurde der Schauprozess erst im April eröffnet (ebenfalls mit Todesurteilen).
Gefasst gingen sie in den Tod
Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst wurden unmittelbar nach dem Urteil (Vorsitzender Richter: Roland Freisler) enthauptet. Man berichtet, dass alle dem Tod durch das Fallbeil gelassen und mutig entgegensahen. Ihnen war die ganze Zeit über bewusst gewesen, dass ihr Tun lebensgefährlich war und sie keine Gnade erwarten konnten. Sophie Scholl sagte zur Gestapo: „Ich würde alles wieder genauso machen.“
Die Eltern Scholl konnten gerade noch mit dem Zug anreisen, um ihre Kinder in Stadelheim aus dem Leben zu verabschieden. Probst ließ sich vor der Hinrichtung katholisch taufen. Sie alle schritten aufrecht zum Schafott, wie der Titel des neuen Buches von Thomas Alber über Willi Graf lautet.
Die gesamte Familie Scholl kam in Sippenhaft, alle Kernmitglieder wurden hingerichtet. Der Hausmeister wurde als Held gefeiert, die NS-Presse schmähte die abtrünnigen Volksverräter.
Nach dem Krieg bekam die Ermordeten lange nicht die ihnen zustehende Anerkennung als Helden des Widerstandes. Inzwischen gibt es viele Veröffentlichungen, Würdigungen, Straßenbenennungen und Verneigungen vor dem heroischen Mut dieser jungen Leute. Der Mythos Weiße Rose lebt.
Thomas Alber gelang mit seinem Vortrag, untermalt von vielen aufschlussreichen Fotografien, ein fundiertes Referat, das – trotz des traurigen Themas und der doch fordernden zeitlichen Länge – kurzweilig war. Pater Hubertus vom Haus Regina Pacis und Thomas Alber bedankten sich beim Publikum fürs Kommen und die ungeteilte Aufmerksamkeit bei dieser nicht ganz leichten Kost.
Das Buch „Willi Graf – Aufrecht zum Schafott“ gibt es in Regina Pacis, im Buchhandel und beim fe-Verlag in Kißlegg-Immenried für 12,80 € zu kaufen.
Text: Carmen Notz
Der Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität in München. In den Lichthof warfen die studentischen Widerstandskämpfer ihre Flugblätter. Foto: Alber
Thomas Alber bei seinem Vortrag über die Weiße Rose im Tagungshaus Regina Pacis am vergangenen Samstag (25. Februar). Foto: Carmen Notz
Nicht alle Plätze im doch recht kleinen Saal waren belegt. Foto: Carmen Notz
Pater Hubertus (links), Leiter von Regina Pacis in Leutkirch, sagt dem Referenten Dank. Foto: Carmen Notz
Thomas Alber mit seinem Buch "Aufrecht zum Schafott", das sich vor allem mit Willi Graf befasst, einem der sechs Kernmitglieder der Weißen Rose. Foto: Carmen Notz