Wolfegg - Landrat Sievers, Museumsleiterin Dr. Kreutzer, Kreiskulturchef Dr. Eiden und die vielen Schaffer und Macher, ehrenamtliche und hauptamtliche, die das Projekt „Hof Beck“ realisiert haben, sie alle strahlten am 19. März um die Wette: Es galt im Bauernhausmuseum Wolfegg wieder einmal die Eröffnung eines historischen Gebäudes zu feiern.

Fast 300 Jahre hat der Hof Beck auf dem Buckel. Einst hatte er in Taldorf bei Ravensburg gestanden. So wie er sich heute zeigt, nach der Translozierung nach Wolfegg, sieht man den baulichen und ausstattungsbezogenen Zustand von 1900. Das war den Machern der Dauerausstellung um Dr. Tanja Kreutzer ein Anliegen: Das Leben einer Bauernfamilie auf einem „kleineren Sach“ in der Zeit, in der es keinen Strom und kein fließendes Wasser gab, zu veranschaulichen. Dieses museumspädagogische Ziel wurde mit Bravour erreicht. Es gibt in dem historischen Gebäude eine Vielzahl von Stationen, bei denen in Wort und Bild das Leben unserer bäuerlichen Ahnen deutlich wird.

Barrierefrei in einem umfassenden Sinn
Ein zweites Anliegen wird ebenfalls vorbildlich in die Tat umgesetzt: Barrierefreiheit in einem weiteren Sinne. Es geht den Museumsleuten um mehr als die Vermeidung von Stufen und die Anbringung von Rampen. Mittels zahlreicher Tast- und Hörstationen, durch die Übertragung der Infotexte in Leichte Sprache sowie in die Deutsche Gebärdensprache werden die Infos zu Haus und Hof und Leben in alter Zeit auch für Menschen mit Handicaps zugänglich.

Dieser inklusive Ansatz, der auf eine Neukonzeption des Projekts "Hof Beck" durch die damalige Museumsleiterin Claudia Roßmann im Jahre 2018 zurückgeht, hat einen Bezugspunkt in der Familiengeschichte der Becks. Die ältere Schwester des Bauern Franz Beck, Sophia, hatte ein Handicap; in den kümmerlichen Unterlagen – der Alltag einfacher Leute wurde einst kaum dokumentiert – findet sich laut Tanja Kreutzer das Wort „geistesschwach“.

Unterstützt wurde das Museumsteam bei seinem inklusiven Ansatz von einem Arbeitskreis Inklusion, in dem Vertreter von Menschen mit verschiedenen Handicaps mitwirkten. Sie alle erhielten von Landrat Harald Sievers je eine Rose als kleines Dankeschön.

All die Helfer
Landrat Sievers, Dr. Maximilian Eiden, der Leiter des Kreiskulturamtes, und Museumsleiterin Dr. Tanja Kreutzer, sie wurden nicht müde, all den Helfern, Machern, Entscheidern, Konzipierern zu danken, die ein Projekt, das 2008 unter dem damaligen Museumsleiter Jürgen Fiesel begonnen worden war, zu einem wirklich guten Ende geführt haben.

Stellvertretend nennen wir Andrea Schreck, die mit Blick auf den Hof Beck wissenschaftliche Grundlagenforschung betrieben hat und zusammen mit Benjamin Riehl die Geschichte der Bewohner erforscht hat. Dabei konnten sich die Rechercheure auf die Taldorfer Pfarrchronik von 1991 und die Gemeindechronik von 2016 stützen. Um die Audiotexte waren Christine Brugger, Veronika Kolb und Dr. Tanja Kreutzer besorgt. Insgesamt führt das Faltblatt zur Eröffnung des Hofes Beck etwa 70 Namen von Projektbeteiligten auf.

Unter den Klängen des Musikvereins Taldorf
Nach der Eröffnungsfeier vor geladenen Gästen in der vollbesetzten Zehntscheuer Gessenried zog man unter den Klängen der Musikkapelle Taldorf zum Hof Beck. Dort sprach neben Tanja Kreutzer (Auszüge ihrer Rede am Ende dieses Artikels beim Bild „Hof Beck“), Landrat Sievers und Ravensburgs Bürgermeister Simon Blümcke auch Taldorfs Ortsvorsteherin Regine Rist. Sie zeigte sich dankbar dafür, dass ein wichtiges Stück Taldorfer Geschichte nun in guten Händen und für die Zukunft gesichert sei.

Für Bewirtung sorgten die Taldorfer Landfrauen. Lange saß man noch zusammen – zumal sich das Wetter von seiner freundlichen Seite zeigte.
Text und Fotos: Gerhard Reischmann

01Eiden

Dr. Maximilian Eiden als Hausherr – das kreiseigene Bauernhausmuseum Wolfegg fällt in sein Ressort – eröffnete den Reigen der Grußworte. Seine Ansprache wurde (wie alle Ansprachen) in Gebärdensprache übersetzt.

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Ein Teil der Projektbeteiligten. Landrat Sievers (am Pult) dankte ihnen.

03Akteure Brugger und Riehl

Christine Brugger und Benjamin Riehl aus der Schar der Projektbeteiligten.

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Günter Redle (links), der Generalunternehmer für die Translozierung, und Architekt Wolfgang Selbach, der für den Wiederaufbau verantwortlich zeichnete.

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Museumsleiterin Dr. Tanja Kreutzer gab bei ihrer Ansprache in der Zehntscheuer einen Ausblick auf das Museumsjahr 2023. Jenseits des Hofes Beck, der heuer im Mittelpunkt stehe, gebe es noch viele weitere attraktive Angebote.

05Shahab Sangestan

Shahab Sangestan, Leiter der Landesstelle für Museen Baden-Württemberg, vertrat beim Festakt das Bundesland. Er berichtete, dass das Land das kreiseigene Bauernhausmuseum in Wolfegg in den vergangenen Jahrzehnten mit insgesamt 7,5 Millionen € gefördert habe. Die Translozierung des Hofes Beck von Taldorf nach Wolfegg und den Wiederaufbau am neuen Standort habe das Land mit 1,1 Millionen € unterstützt. Damit trug das Land etwa zwei Drittel der Kosten. Das andere Drittel kam vom Kreis. Landrat Sievers dankte dem Kreistag für die Bewilligung der Mittel. Namentlich erwähnt wurde der ehemalige Kreisrat Rudi Hämmerle, der aus Taldorf-Alberskirch stammt und sich gehörig für das Projekt ins Zeug gelegt hatte.

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Klaus Peters vom Blinden- und Sehbehindertenverband dankte den Museumsmachern für ihr inklusives Konzept, an dessen Zustandekommen er mitwirken konnte.

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Der gehörlose Ege Karar dankte für die Beteiligung am Inklusionskonzept mittels Gebärdensprache. Eine Gebärdensprach-Dolmetscherin übersetzte seine Ausführungen.

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Für die musikalische Umrahmung des Festaktes in der Zehntscheuer Gessenried sorgte das Quintett „Männer und Tenöre“ mit feinstem A-cappella-Gesang. Zu hören war unter anderem „Am Brunnen vor dem Tore“.

09MV Taldorf Abmarsch

Der Musikverein Taldorf geleitete die Besucher mit schmissigen Klängen von der Zehntscheuer Gessenried zum neuerrichteten Hof Beck.

10MV Taldorf vor Hof Beck

Vor dem Hof Beck brachte der Musikverein Taldorf unter dem Dirigat von Stefanie Hairbucher unter anderem das getragene Stück „Eventide Fall“ nach Alfred Bösendorfer zu Gehör. Im Hintergrund – links vom Fachwerk – sieht man einen Anbau, der zum ursprünglichen Hof nicht gehört hatte; er birgt barrierefreie museumspädagogische Räume, darunter eine Holzwerkstatt.

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Tanja Kreutzer ging am Hof Beck auf die Geschichte des Anwesens ein.

12Promis BESSER

Prominenz am Gartenzaun (von links): Taldorfs Ortsvorsteherin Regine Rist, Landrat Harald Sievers, Ravensburgs Bürgermeister Simon Blümcke, Landtagsabgeordneter August Schuler, Wolfeggs Bürgermeister Peter Müller, Kreisrat Rolf Engler, Bundestagsabgeordneter Axel Müller, Kreisrat Josef Forderer, etwas verdeckt Kreisrat Rudolf Bindig MdB a.D., Bundestagsabgeordnete Heike Engelhardt, Landtagsabgeordnete Petra Krebs; anwesend war auch Kreisrat Waldemar Westermayer MdB a.D.

13SchereLandrat vor Türe

Noch ist die Tür des Hofes Beck geschlossen, noch ist das rote Band intakt: Landrat Sievers kurz vor der förmlichen Eröffnung.

14Schere Rist und Blümcke Scheren

Simon Blümcke und Regine Rist rüsten sich zum Durchschneiden des Bandes.

15Rist Türe

Freut sich, dass der historische Hof aus Taldorf nun einen guten Platz hat: Taldorfs Ortsvorsteherin Regine Rist.

16Engelhardt

Die Bundestagsabgeordnete Heike Engelhardt versuchte sich beim Behauen eines Baumstammes.

17Der Hof Beck

Der Hof Beck in seiner heutigen Gestalt stammt von der vorletzten Jahrhundertwende. Zur Geschichte der Hofstelle, die über mehr als zwei Jahrhunderte im Besitz ein und derselben Familie war – der Name hatte durch weibliche Hofnachfolge gewechselt – hat das Museum Vieles erhoben. Wir geben hier Auszüge aus der Ansprache von Dr. Tanja Kreutzer wieder:
„Als das Hofgebäude 1728 gebaut wurde, hatten Anna Weißhauptin und Michael Rittler die Hofstelle inne. Sie waren Lehensbauern des Klosters Weißenau. Martin Rittler arbeitete vermutlich als Rebknecht in den klösterlichen Weinbergen. Die beiden waren nach dem Tod von Annas Mutter vom Kloster erneut mit der Hofstelle belehnt worden. 13 Jahre nach der Hofübernahme ließen sie das alte Hofgebäude abreißen und neu errichten. Die Landwirtschaft auf dem Hof Beck sicherte der Familie wohl allein kein ausreichendes Einkommen. Deswegen übten die nachfolgenden Generationen an Hofbewohnern zunächst zusätzlich alle noch ein Handwerk aus – als Wagner und Schreiner.

1852: Überführung des Pachthofes ins Eigentum
Als das Kloster Weißenau im Zuge der Säkularisation aufgelöst wurde, fiel dessen Besitz wenige Jahre später an das Königreich Württemberg. Wenig später schaffte König Wilhelm I. die Leibeigenschaft ab. Die Hofbewohner waren also ab sofort freie Bürger und Pächter. 1852 erwarb Simon Masal, der damalige Pächter des Hofs Beck, den Hof als Eigentum. Simon Masal baute den Hof nochmals um und erweiterte ihn. Seine Tochter Maria Masal, die Ururenkelin von Anna Weißhauptin, heiratete schließlich Benedikt Beck und konnte aus dem Vermögen ihres Mannes gleichzeitig die große Menge Schulden tilgen, die im Lauf der Jahre zusammengekommen waren, weil selbst Landwirtschaft und Handwerk wohl nicht immer ein Auskommen sicherten. Das Ehepaar hatte neun Kinder, deren jüngstes Franz Beck den Hof 1899 von seiner Mutter übernahm.

Die Zeit um 1900
Wir zeigen den Hof im Museum so, wie er um 1900 ausgesehen hat – als Eindachhof mit Wohntrakt und anschließendem Wirtschaftstrakt in Fachwerkbauweise inklusive Tenne und Kuh- sowie Schweinestall. Es ist diese Zeit, die wir hier im Museum einfangen und die Bewohner/innen des Hofs Beck aus den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts werden in der Ausstellung sichtbar: Franz Beck, seine Frau Maria, die drei Kinder Kreszentia, Franz junior, die jüngste Tochter Anna und Franz Becks ledige ältere Schwester Sophia. Sie erzählen vom Leben und Arbeiten auf einem oberschwäbischen Bauernhof um 1900 und berichten dabei immer wieder auch Details aus dem Taldorfer Gemeindeleben, von der Schule, vom Metzgermeister Stotz aus Dürnast, vom Stromanschluss und vom Maschinenpark, den die Taldorfer Bauern sich gemeinsam angeschafft haben.

Nachempfundene Berichte aus dem Alltag
Während der Wortlaut der Erzählungen der einzelnen Familienmitglieder natürlich erfunden ist, denn wir konnten sie ja nicht mehr befragen, sind gerade diese Details aus Taldorf alle urkundlich belegt. Außerdem geht es im Hof um das tägliche Leben auf einem Bauernhof: Von den Mahlzeiten zur Vorratshaltung, von Hygiene bis Schlafen, von der Arbeit auf dem Feld und im Haushalt bis hin zur Stallarbeit und zur Störmetzgerei, von der Wasserversorgung bis zum Brennholz können unsere Besuchenden hier umfassend erfahren, wie sich die Einzelheiten des Alltags vor über 100 Jahren in Taldorf gestalteten. (...)

Wie heute so ist auch im Jahr 1900 Bauernhof nicht gleich Bauernhof. Es gab reiche Bauern, wie beispielsweise die Bewohner/innen unseres Hofs Reisch, die ein gänzlich anderes Leben führten als ärmere Familien. Der Hof Beck ist, wenn man seine Flächen (1907: 7 Hektar; überwiegend Ackerbau; ein Stück Wald) und die räumlich begrenzten Möglichkeiten im Stall (drei Kühe, ein Jungrind; Schweinehaltung) und Wirtschaftsbereich berücksichtigt, wohl eher im kleineren Milieu anzusiedeln. Gleichwohl ist die Familie wohl auch nicht ganz unten in der Hierarchie anzusiedeln: Immerhin wagte sie um 1900 den Schritt zur Selbstversorgung (Vollerwerb), modernisierte und erneuerte den Hof, hatte neben dem Zugochsen auch ein Pferd im Stall, was durchaus dafür spricht, dass Franz Beck die Absicht hegte, ein ,Pferdebauer‘ zu sein.“

Der Hof-Auf- und -Ausbau wurde jäh gestoppt, als Franz Beck in den Ersten Weltkrieg ziehen musste, aus dem er nicht mehr zurückkam. Seine Frau Maria starb 1945.

Letzter Besitzer war die Familie Fugel, die das aus der Zeit gefallene Bauernhaus dem Landkreis zur Wiedererrichtung im Bauernhausmuseum im Wege einer Schenkung überließ.

 

 

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halloRV

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