Ravensburg - Draußen vor dem Mehr Generationen Haus Gänsbühl, schräg gegenüber dem Amtsgericht macht ein Stand, an dem abgelaufene oder aussortierte Lebensmittel verschenkt werden, mit Transparenten wie „Jedes Lebensmittel hat ein Recht darauf, gegessen zu werden“, Essen-Retten-Gesetz-Jetzt“ oder der Frage Ist Müll retten Diebstahl? auf sich aufmerksam.

 

Eben wird noch eine ganze Kiste Zucchini und Gurken vorbei gebracht, denen man nicht ansieht, wieso sie nicht in den Verkauf gelangen. Für die Lebensmittelläden ist es Müll, der sogar kostenpflichtig entsorgt werden muss. Eine Passantin, die von der Anklage Lebensmittel gestohlen zu haben, erfährt, empört sich: „Nein, das glaube ich ja nicht“.

Um diesen Beweis, haben Samuel Bosch und Charlie Kiehne Lebensmittel gestohlen?, geht es später drinnen im Amtsgericht, Saal 8. Dort verhandelt die Richterin Frau Dr. Schneider den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft: gemeinschaftlicher Diebstahl. Die Verhandlung kann nur wenige Fakten aus der Aussage des einzigen Zeugen der Anklage ziehen. Der Polizist aus Weingarten Benjamin Kretzer hatte die beiden Angeklagten in der Nacht vom 4. auf 5. Februar dieses Jahres in ihrem Fahrzeug kontrolliert und darin Brötchen, Salate, sowie verpackte Ware von „Netto“ und „Norma“ festgestellt, nachdem er von einem Mitarbeiter von „Burger King“ in Weingarten gerufen wurde, der die beiden Angeklagten bei dem benachbarten Container des Lidl-Marktes, gesehen haben will.

Auf Nachfragen der Angeklagten, die sich selber verteidigen, bestätigt Kretzer, keine Gewissheit zu haben, wie die bei der Kontrolle beschlagnahmten Lebensmittel in den Besitz der Angeklagten gelangt sind. Er habe die Ermittlungen auch nicht zu Ende geführt, sondern an die Kollegen vom Staatsschutz abgegeben.

Bei dieser dünnen Beweislage ist es der Richterin schnell klar, es gibt keine Anzeige einer Lebensmittelkette, allein die Staatsanwaltschaft hat das Interesse an der Verfolgung. Deshalb schlägt sie vor, Einstellung nach § 47 , da sie wegen der Geringfügigkeit der Sache und der zu erwartenden Strafe kein Interesse an einer Ahndung hat. Bosch und Kiehne wollen sich darauf aber nicht einlassen, Sie wollen freigesprochen werden und stellen eine Reihe von Beweisanträgen zum Beweis ihrer Unschuld. Es sind nicht nur Inaugenscheinnahmen von Webseiten, die darlegen, dass Essen gerettet wird, ohne in Container zu steigen, dass der Zugang zum betreffenden Container von „Lidl“ verschlossen ist, und die Ladung von Zeugen und Ortsbegehungen. All dies sprengt den Rahmen der angesetzten Verhandlung, die deshalb auf 28.7. 11 Uhr vertagt wird.

Bei der Fortsetzung der Verhandlung sagt Nazim Kocak, der die Polizei gerufen hatte, nun aus, 2 Leute die mit einer Holzkiste zur Verladerampe von „Lidl“ liefen, gesehen zu haben. Auch das „blaue Fahrzeug“, das die Polizei später anhielt, weiß er zu identifizieren. Er hat nicht gesehen, dass Leute in eine Tonne gestiegen sind, und vermutet nur, dass an der Rampe Lebensmitteltonnen stehen.

Die zweite Zeugin, eine Mitaktivistin fiel krankheitsbedingt aus, und hätten die Angeklagten Bosch und Kiehne nicht jetzt die Tat eingeräumt, hätte die Richterin einen nächsten Verhandlungstag terminiert. "Wir wollen nicht, dass Menschen, die uns unterstützen in so eine Konfliktsituation kommen und gegen uns aussagen müssen, da belasten wir uns lieber selbst. Ein Ziel haben wir auf jeden Fall erreicht, die Staatsanwaltschaft hat dazu gelernt und sich um relevante Beweise gekümmert, genau das war unsere Bedingung für eine Verurteilung." erklärt Charlie Kiehne .

Die Staatsanwaltschaft machte außerdem klar, dass die Lebensmittel nicht durchgehend gekühlt worden seien und damit eine "Gesundheitsgefährdung" bestehe. Aus Sicht der Essenretterinnen spricht die Staatsanwaltschaft damit den Menschen, die Fähigkeit, schlechte Lebensmittel von guten zu unterscheiden, ab. Die Richterin bestärkte die Aktivistinnen in  diesem Punkt: "Aus meiner Sicht ist die Gesundheitdsgefährdung fraglich" so Dr. Schneider in der mündlichen Urteilsbegründung.

Am Ende der Verhandlung wurden die zwei Angeklagten zu je 10 Sozialstunden verurteilt. Diese müssen sie bis zum 30.09.2022 ableisten. Die Essensretter*innen machen in ihrem letzten Worten klar, dass sie eine Verurteilung nicht davon abhalten wird weiter Lebensmittel zu retten. Bosch zitierte eine Forsa -Umfrage aus dem Jahr 2020, nachdem 86 % Containern von Lebensmitteln nicht verurteilen würden.

Die Zahl der Menschen, die von Armut in Deutschland betroffen sind, betrug laut dem Paritätischen Armutsbericht 2021 13,8 Millionen Personen. Das ist faktische jeder Sechste:r in der Bundesrepublik. Gleichzeitig werden statistisch von jeder Verbraucherin und jedem Verbraucher 75 kg an Lebensmitteln im Jahr weggeworfen. Somit landen 46,5 Millionen Tonnen an Lebensmitteln im Müll. „Dieses Gesetz, das das Retten von Lebensmitteln bestraft, gehört in den Müll, forderten die Unterstützer vor dem Gerichtsgebäude.

 

Text und Bilder: Gerhard Maucher

 

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