Kißlegg - Der Tag des offenen Denkmals, der in diesem Jahr zum 30. Mal stattfand, ist ein Erfolgsmodell. Er gilt mittlerweile als Deutschlands größtes Kulturevent. „Talent Monument“ lautete in diesem Jahr sein Motto. Am Sonntag, 10. September öffneten bundesweit über 5500 Kulturdenkmäler ihre Pforten und ermöglichten dem Publikum den Zugang zu historischen Räumen, die sonst nicht zugänglich sind. Auch die Gemeinde Kißlegg bot aus diesem Anlass unter anderem zwei spezielle Führungen durch das Neue Schloss an.

Exklusive Führung durch das Dach des Neuen Schlosses
Bei der ersten Führung machte sich ein gutes Dutzend Besucher mit der Gästeführerin Hildegard Lang auf Spurensuche im riesigen Dach des Schlosses. Dass die Teilnehmerzahl hier aus statischen Gründen begrenzt werden musste, leuchtete einem schnell ein: Beim Gang durch das zweite Stockwerk konnte man zwischen den federnden Brettern gut auf die darunterliegende Ebene schauen. Insgesamt zweieinhalb Stockwerke und rund 4.500 Kubikmeter umbauten Raum umfasst das Walmdach des in den Jahren 1721 bis 1727 erbauten Schlosses. Die Besucher erfuhren, dass es sich hier um eine Kombination von Kehlbalkendach und Pfettendach auf liegendem Stuhl handelt und dass die letzte grundlegende Sanierung in den Jahren 1998 bis 2000 stattgefunden hatte. Dabei waren auch die Dachgauben, die im 19. Jahrhundert eingebaut worden waren, wieder entfernt worden.

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Gästeführerin Hildegard Lang vermittelte spannende Fakten

Rußige Kamine und barocke Schönheit
Aber mehr als über solche Zahlen und Fakten staunte die Gruppe über das, was sie zu sehen bekam. Am meisten Eindruck machten die mächtigen gemauerten Kamine, die schräg, um nicht zu sagen: kreuz und quer, durch die Etagen des Daches verlaufen, um dann ganz oben zusammengeführt zu werden. Zum Teil werden sie dazu seit der Sanierung von mächtigen Stahlkonstruktionen gestützt. Hildegard Lang ließ ihre Truppe auch in die großen Kamine hineinschauen, wo fettige Schichten von Glanzruß an die Zeiten erinnerten, als das Schloss tatsächlich über diese Kamine beheizt wurde. Ansprechend dagegen manches barocke Detail, bei dem die Zimmerleute vor 300 Jahren den Hängesäulen und selbst manchem an sich banalen Dachbalken noch etwas vom Schönheitsideal ihrer Zeit mitgegeben haben.

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Wo Alt und Neu zusammenkommen

Alte und neue Technik
Besonders interessant wurde es da, wo der Dachstuhl aus der Barockzeit bei der Sanierung vor 25 Jahren durch neue Elemente ergänzt werden musste. Über die Jahrhunderte war an einigen Stellen Nässe von oben durch das Dach eingedrungen. Andererseits war durch die veränderte Nutzung des Gebäudes im 20. Jahrhundert – etwa als Krankenhaus, später als Schule – auch von unten Feuchtigkeit ins Dach gelangt. Balken verfaulten. Der Hausschwamm konnte sich ausbreiten. Die entsprechenden Teile wurden entfernt und durch neue Elemente ersetzt. Wo Alt und Neu zusammenstößt, fällt ein entscheidender Punkt sofort ins Auge. Die ursprüngliche Konstruktion kam ganz ohne Metall aus. Hölzerne Dübel schufen Verbindungen, während die modernen Ergänzungen selbstverständlich mit Elementen aus Metall zusammengehalten werden.

Obwohl am Sonntagnachmittag die Temperaturen im Schlossdach natürlich heftig waren, folgte die Gruppe den Erläuterungen der Führerin bis zum Schluss mit großem Interesse und spendete ihr schließlich ausgiebig Applaus.

Komplizierte Herrschaftsverhältnisse
Wer danach noch Lust hatte, konnte gleich im Anschluss an einer zweiten Führung teilnehmen. Diese führte durch die barocken Prachträume der Beletage. Diese sind zu den Öffnungszeiten des Schlosses frei zugänglich und vielen Kißleggern etwa durch den Weihnachtsmarkt bekannt. Aber mit einer kundigen und humorvollen Führerin wie Hildegard Lang durch die Räume zu gehen, lohnt sich dann doch besonders. Man erfährt von ihr viel über die ehemals recht komplizierten Machtverhältnisse in Kißlegg, wo ursprünglich die Schellenberger das Sagen hatten. Bereits 1381 allerdings wurde die Herrschaft im Ort entlang der Ach geteilt. 1669 gelangte ein Teil über viele Umwege an die Waldburg-Trauchburger, die schließlich auch das Neue Schloss erbauten. 1708 kam der andere Teil in den Besitz des Hauses Waldburg-Wolfegg; Vertreter dieses Geschlechtes bewohnen bis heute das Alte Schloss. Über die letzte Herrin des Neuen Schlosses, die 1941 starb, weiß Frau Lang ebenso die eine oder andere Geschichte zu erzählen wie von den Problemen, die die späteren Nutzungen mit sich brachten. 1960 erwarb schließlich die Gemeinde das Schloss.

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Nicht so niedlich wie sein Honigschlecker in Birnau: Feuchtmeyers berühmte Sybillen im Treppenhaus

Prachtvolle Decken
Ein Höhepunkt in der Ausstattung des Schlosses und natürlich auch der Führung sind die acht Statuen der Sybillen im Treppenhaus. Die Figuren dieser Prophetinnen aus der Antike schuf der große Barockbildhauer Joseph Anton Feuchtmayer, dessen Hauptwerk schließlich die Ausstattung der Wallfahrtskirche Birnau werden sollte. Sowohl in der Schlosskapelle als auch in den verschiedenen Sälen lenkte die Führerin dann allerdings die Aufmerksamkeit der Gruppe vor allem auf die Decken. Es sind die Motive der Deckengemälde, denen die Räume ihre Namen verdanken: der Cäsarsaal, der Esthersaal, das Parzenzimmer und – vielleicht am eindrucksvollsten – der Samsonsaal.

Wahrscheinlich noch qualitätvoller als die Malerei sind an der Decke die raffinierten Stuckarbeiten. Was es da nicht alles zu entdecken gibt: die grotesken Masken, die einen im Cäsarsaal aus den Ecken anglotzen und von denen eine sogar die Zunge rausstreckt, oder das Arsenal akribisch nachgebildeter Waffen im Samsonsaal. Man nimmt sich vor, beim nächsten Besuch ausschließlich nach oben zu schauen und die Decken der Säle dann einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

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An der Decke der Schlosskapelle sind auch die drei Hausheiligen der Waldburger zu finden: Walburga, Willibald und Wunibald

Mit dem Blick nach oben durch Kißlegg
Im Schloss einmal auf den Geschmack gekommen, geht man mit diesem nach oben gerichteten Blick weiter. Und man fährt damit ganz gut, wenn man sich ein Bild machen will vom Anspruch und von der Prachtentfaltung der beiden Linien des Hauses Waldburg in einem einzigen Ort. Das im kommenden Jahr anstehende 1200-Jahr Jubiläum Kißleggs wäre zum Beispiel eine gute Gelegenheit, das einmal auszuprobieren. In der prachtvollen Pfarrkirche St. Gallus und Ulrich erinnern die Grabtafeln der Schellenberger und der Waldburger, aber auch die beiden Herrschaftsemporen an die Machtverhältnisse rechts und links der Kißlegger Ach. Und darüber wölbt sich ein prächtiges Deckengemälde, auf dem entspannte Heilige hinter eleganten Balustraden auf einen herunterschauen. Und natürlich lohnt sich der Blick nach oben auch in der Friedhofskapelle St. Anna, wo ein weiterer Hauptmeister des Barocks mit dem Deckengemälde beauftragt wurde: der Münchner Cosmas Damian Asam.
Text und Fotos: Herbert Eichhorn

 

 

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halloRV

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