Kißlegg - Es ist schon etwas ganz Besonderes, das Kißlegger Fasnetsspiel. Seit weit mehr als hundert Jahren wird diese Tradition im Zwei-Seen-Ort gepflegt. Am Mittwoch vor dem „Gumpigen“ des Jahres 2023 wurde das Stück „Der (Wett)-Streit ums Goldene Kegelspiel" gegeben. Autor des Schauspiels ist Stephan Wiltsche. Regie führte Dr. Bernd Frey.
Erstmals war das Stück anno 2016 aufgeführt worden. Jetzt, am 15. Februar, gab es eine überarbeitete Neuauflage des Zweiakters. Der Platz vor dem Rathaus war rappelvoll, das Publikum wurde in das Stück einbezogen. Am Ende sangen alle das Kißlegger Fasnetslied und schunkelten.
Seit 1844
Fasnachtspiele waren einst weit verbreitet. Sie hatten Ventilfunktion. Man konnte die Obrigkeit unter dem Schutz der Narrenfreiheit mal so richtig triezen. In Kißlegg ist ein Fasnachtsspiel für das Jahr 1844 nachgewiesen. Mit Unterbrechungen wird dieses schöne Brauchtum seither gepflegt.
Spiritus rector des in den 1960ern wiederbelebten Kißlegger Fasnetsspiel war Manfred Schuwerk. In einem Sonderdruck aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Narrenzunft Hudelmale, groß gefeiert im Jahre 2017, schreibt Vizezunftmeister Markus Veser: „In den 1950er-Jahren hörte unser Gründungsmitglied Manfred Schuwerk erstmals vom historischen Kißlegger Fasnetsspiel. 15 Jahre später, mit der Gründung der Narrenzunft Kißlegg, dachte er sich, ,dass das Fasnetspiel zur traditionellen Fasnet am besten passen würde‘. Mit etwas Fantasie knüpfte er an alte Sagen und Begebenheiten an und schrieb ein neues ,historisches‘ Fasnetsspiel, dass seither große Beachtung im schwäbisch-alemannischen Raum gefunden hat. (...) Die unzähligen Fasnetsspiele von Manfred Schuwerk sind alle in hiesigem Dialekt in Reimform verfasst. Einer seiner Klassiker, ,Der Schatzgräber vom Kocherhof‘, wurde seit 1966 mehrere Male aufgeführt.“
In der Nachfolge von Manfred Schuwerk
Weiter heißt es in der vierseitigen, reich bebilderten Abhandlung: „Die nächste Autorengeneration hat sich bereits erfolgreich profiliert. 2009, 2015 und 2016 hat Stephan Wiltsche seine ersten Fasnetsspiele geschrieben und ist damit erfolgreich in die Fußstapfen von Manfred Schuwerk getreten. Seit mehr als zehn Jahren leitet Dr. Bernd Frey als Regisseur die jeweiligen Aufführungen der Kißlegger Fasnetsspiele.“
Das Kißlegger Fasnetsspiel ist Freilufttheater. Gespielt wird bei jeder Witterung. So sei es auch schon vorgekommen, dass die Schauspieler kurz vor der Aufführung die Bühne vom Neuschnee befreien mussten, heißt es in dem Faltblatt. Als Kulissen werden einfache bemalte Stellwände verwendet.
Eine Hommage an Paul Moser
Wie einst viele Fasnachtsspiele hat auch das Kißlegger Stück einen erzieherischen Aspekt. Nicht ohne Grund heißt es in den Untertiteln „Wer aufpasst, der überlebt“ und „Wie gewonnen, so zerronnen“.
Das erste Bild der aktuellen Aufführung zeigt eine Schulklasse der 1950er-Jahre. Der Schulmeister im würdigen Gehrock, die Schüler artig in den Schulbänken von einst. Die Schulstunde befasst sich mit den Sagen, die rund um Kißlegg einst geraunt wurden und die von dem ab 1938 in Kißlegg wirkenden Lehrer Paul Moser sorgfältig aufnotiert worden sind.
„Volkskunde findet man im Kisslegger Archiv vom Allerfeinsten,
mehr hundert Seiten, was in Kißlegg Brauch war einstens.
Was an Kultur lagert in der Rathaus-Hütte:
Meine Güte!
Kaum einer noch kennt des Sammlers Namen,
ähnlich wie ein Neuheide kennt kein Amen.
Für Kißlegg war es einst ein wirklich Großer.
Sein Name sei hier genannt: Paul Moser!"
Diese Zeilen wurden zur Einführung in das Stück von Sprecher Markus Veser kundgetan. In einer der von Paul Moser einst aufgeschriebenen Sagen ist von einem goldenen Kegelspiel die Rede und damit weckt der Herr Lehrer das Interesse seiner Schüler. Lebendig erzählt der Lehrer von all den Geistern, die rund um Kißlegg ihr Unwesen treiben, von der weißen Spinnerin, vom Henker vom Galgenbühl, vom Schrättele und den Räubern, von Schlossgespenstern, vom Schwarzen Höllenhund und vom Schwarzen Katzaboahle und vom Markenrücker, der im Leben einst Grenzsteine verrückt hatte und zur Strafe dafür ewig in einem blauen Irrlicht gefangen ist. Und dann wird es ganz spannend:
„Im Burgberg selber, Kinder, losat zu, ist gar ganz verdeckt,
unter Mauerresten im Keller unten tief verschteckt,
ein unvorschtellbar reicher Schatz begraba.“
Auch gebe es dort ein goldenes Kegelspiel. Die Kinder sind ganz Ohr und wollen den Schatz haben. Aber:
„Jedoch, auf d‘r Kischta hockt a Viech, a Riasa-Tier,
des goht it vo de Schatzkischta rab, sell versprich i dir.
Do hockt d‘r schwaaze Katzaboahle
auf dr Truhe mit Gejohle.“
Die kecke Leni lässt sich davon nicht schrecken und ruft: „Herr Lehrer, wia kennt ma denn ibrhaupt den Schatz gewinna?“ Des Schulmeisters Antwort ist vielversprechend:
„Zur Goischt‘rstund tief im Burgberg dinna!
Es goht bloß in a baar wenig Nächt, in der Fasnet vor dem Oschterfaschta,
do kennt ma´n finda ihn im Kaschta."
Und außerdem brauche es dazu die richtigen Lösungssprüche. Lehrer Moser zeigt ein grünes Heft:
„In meim Aufschrieb honn i a paar scho gsammlat.
Dia ma braucha kennt, wenn‘s reacht manglat.“
Die kesse Leni schafft es, dem Lehrer das Heft abzuluchsen und so machen sich Anton, Zenzi und Leni auf zur Schatzsuche. Kurz vor der Geisterstunde erscheint der Höllenhund und gräbt selbst nach dem Schatz. Zenzi, ganz ohne Furcht, gruschtelt in Lenis Rucksack und findet etwas, um den Höllenhund abzulenken:
„Für den Köter, für den hond mir ebbes Guates halt:
An Ring Schwarzwurscht, schee speckig und alt."
Der Höllenhund apportiert und bringt seine Beute in ein Versteck. Jetzt ist der Weg frei zum Schatz. Leni, Zenzi und Anton finden ein goldenes Kegelspiel. Überglücklich vergessen sie Dunkelheit und Gefahr, stellen die goldenen Kegel auf und fangen an zu spielen.
Es schlägt zwölfe. Geisterstunde. Die Kinder müssen sich sofort verstecken und schaffen es nicht mehr, den Schatz zu sichern.
Die weiße Spinnerin ruft:
„Etz luaga no na, des edle Kegelspiel liegt offa rum.
Katzaboohle, warsch zum Bewache wieder mol zu dumm.“
Der Boahle wehrt sich:
„Was fallt Dir ei, du bleeder Schratt, de Höllahund heit zu bewacha hat.“
Einer der Schlossgeister klagt:
„Seit tausende von Johr wird sellr Schatz bewacht,
doch heit hot ghet der Köter keine Acht.“
Der Räuber vermutet:
„No muass jo jemand do sei umanand,
wer an den Schatz hot glegt sei Hand."
Und das Schrättele wittert:
„Jetzt still, ich riech doch ebbes hier.
wie Menscha, die ganz nahe mir.“
Die Kinder werden entdeckt und es beginnt ein schauriges Spektakel mit wüsten Drohungen der Geister:
„Wer Goischtr bestiehlt, dem schlaegt die letschte Stunde!
Ein jeder hörte schon die Kunde.
Euar Leben isch verlora:
Ihr werrat in der Hölle schmora.“
Der kluge Anton, in höchster Not, macht den Geistern einen Vorschlag:
„Bevor ihr uns maltretiert und an an Galga bindat,
ihr vielleicht Gfalla am ma Wettstreit findat.“
Die Geister, denen das ewige Rumgeistern fad geworden war, gehen darauf ein. Aber zu ihren Bedingungen:
„Dia Art des Wettkampfs bestimmat nemlich mir:
Sprücherätsel hond zum lösen diese drei Befzger hier!
Ob ihr alte Kißlegger Sprüchla erkennt,
di heit fascht koi Menschaseel meh nennt?“
Da ist nun Lehrer Mosers Heft mit den Lösungssprüchen von entscheidendem Nutzen. Alle Fragen der Geister werden beantwortet und das höllische Gesindel ist zunehmend verzweifelt.
Da nimmt das Schrättele den Kindern das Heft weg. Der Henker schwenkt eine Pfanne mit einem Fasnetskiachle und will das zugehörige Sprüchle wissen. Anton fleht die Zuschauer an:
„Liebe Leit, mir breichtat dringend eier Hilf!
Wie kennt des Sprichle lauta, wie?
Wemm mir´s it wissat, sind mir glei hi.“
Aus den Reihen der Zuschauer kommt die Lösung:
„Lustig ist die Fasenacht,
wenn mei Muett’r Küchla bacht.
Wenn se aber koine bacht,
noch pfeif i auf die Fasenacht.“
Die Kinder sind erlöst. Doch der Henker gibt sich noch nicht geschlagen:
„Die letschte Hürde hond se gar it selber gnomma!
Nur mit fremder Hilf sind se uns entkomma.“
Und das Schrättele pflichtet bei:
„Den Goldschatz, den hond ihr eich domit verdorba,
doch andererseits an wahra Schatz erworba.
Zum erschta: Euer Leaba, Ihr wissat schon.
Zum Zwoita a Stückle Tradition."
Und die Moral von der Geschicht? Lehrer Moser weiß die Antwort:
„Schüalar: Bassat zukünftig auf, wenn d‘r Lehrer verzellt von gruselige Gestalta.
Denn ‘s Wissa hilft, sei Leaba zu erhalta.“
Text und Fotos von der aktuellen Aufführung: Gerhard Reischmann
Historische Fotos: Narrenzunft Kißlegg
Der Henker (Bernd Frey) möchte der Schülerin Zenzi (Marit Schleifer) den Garaus machen.
Der Höllenhund (Stephan Wiltsche) mit den goldenen Kegeln.
Zuvor hatten die Kinder die Kiste mit den Kegeln gefunden. Schüler Anton (Linus Grupp) hält einen der Kegel triumphierend hoch.
Lehrer Paul Moser (André Radke) besitzt ein Heft mit Lösungssprüchen. Schülerin Leni (Emilia Müller) kann es ihm abluchsen.
Einer der bösen Geister: der Markenrücker (Daniel Grupp).
Der schwarze Katzaboahle (Paul Wiltsche).
Die weiße Spinnerin (Angela Hirscher) verbreitet Angst und Schrecken.
Die Kinder können mit Hilfe von Lehrers Heft die Aufgaben der Geister lösen; es geht um Leben und Tod.
Weitere Mitwirkende
Das Stück "Der (Wett)-Streit ums Goldene Kegelspiel" aus der Feder von Heimatpfleger Stephan Wiltsche wurde anno 2016 erstmals aufgeführt. Bei der überarbeiteten Neuauflage am 15. 2. 2023 wirkten neben den oben im Bild gezeigten Schauspielern noch die nachstehend genannten Akteure mit:
als Sprecher Markus Veser
als Schrättele Daniela Grupp-Genal
als Räuber vom Grindlaried Tobias Dunst
als Schlossgesit 1 Nina Dunst
als Schlossgeist 2 Johanna Grupp
Ehe das Schauspiel begann, wurden verdiente Narren geehrt. Den höchsten Orden der Hudelmale, den Dux-Bembo-Orden, bekam Peter Martin verliehen. Mit ihm freut sich Zunftmeister Hajö Schuwerk.
Plakat zum Fasnetsspiel "Prinz Leonis" von 1899.
Manfred Schuwerk, der Vater des modernen Kisslegger Fasnetsspiels.
Fasnetsspiel 2013.
Fasnetsspiel 2016 (auswärts in Wolfach).