Bad Wurzach - Endlich ist es soweit: Nach einem Jahr kann das Naturschutzzentrum Wurzacher Ried nun seine Dauerausstellung Moor Extrem und die erste Wechselausstellung des Jahres „Im Rosengarten“ mit filigranen und auf den ersten Blick täuschend echt aussehenden Pflanzenobjekten der Allgäuer Künstlerin Anne Carnein im Gewölbegang eröffnen.
Für Horst Weisser ist diese erste Ausstellung zugleich eines der Highlights der fünf geplanten Wechselausstellungen in diesem Jahr. Denn diese Ausstellung sei eine sehr hochwertige: Anne Carnein gelinge es mit ihren Werken hervorragend „die Wunder der Natur“ herauszuarbeiten oder wie es die Künstlerin selbst formuliert „zu modellieren.“
Die Künstlerin wurde in Rostock geboren, kam 2007 zum Kunststudium an die staatliche Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Professor Stephan Balkenhol, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Bildhauerei – weltberühmt ist u.a. seine Skulpturenserie „Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose“. Nach dem Abschluss ihres Studiums 2012 besuchte Carnein für zwei Jahre die Meisterklasse Balkenhols und wurde dabei auch in einem Dokumentarfilm von Nicola Graef, der 2014 erstmals auf Arte lief, portraitiert.
Irgendwann vermochte ihr das Arbeiten mit Holz, Stein und Metall, den üblichen Werkstoffen des Bildhauers nicht mehr die künstlerische Befriedigung zu verschaffen. Also suchte sie sich ein neues Betätigungsfeld und vor allem im Wortsinne einen neuen Werkstoff. Aus dem Recycling besser gesagt dem Upcycling von Stoffen aller Farben, Strukturen und Materialien, denn daraus macht die Künstlerin filigrane und damit höherwertige Kunstobjekte. Für die sehr zeitaufwendige Modellierung ihrer Objekte setzt Anne Carnein zwischen sechs Wochen und ein ganzes Jahr an. Denn oft legt sie, wenn sie das Gefühl hat nicht weiter zu kommen, das Objekt erst einmal zur Seite. Bis sie eine mit einer neuen Idee weitermachen kann.
Dass die Werke der Künstlerin, die in ihrer Zeit in Karlsruhe ihre Mann kennengelernt hat und der Liebe wegen im Süden blieb, auch international hochgeschätzt sind, zeigt ein Blick auf ihren künstlerischen Werdegang: Etwa das Ausstellung-Triple „Salem2Salem“ mit zwei Ausstellungen in der US-amerikanischen Stadt Salem im Bundestaat Massachusetts und dem Standort des weltberühmten Internats am Bodensee (2017-2019). Oder die Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen mit dem Titel „Supernatural – Skulpturale Visionen des Körperlichen“ 2020, eine Ausstellung die zur Zeit im Oulu Museum of Art in Oulu, Finnland präsentiert wird und zu der gerade aktuell ein kleiner Ausstellungskatalog unter dem Titel „Kleine Landschaft“ mit einem Text von Dr. Nicole Fritz, der Direktorin der Kunsthalle Tübingen, erschienen ist. Zahlreiche Fotos illustrieren darin die Arbeitsweise der Künstlerin.
Diese stellt gerne in Räumlichkeiten aus, wo durch die Arbeit – wie hier in Maria Rosengarten – zahlreiche Menschen mit ihren Werken in Kontakt kommen. So war es für sie bei einer Ausstellung in einem Durchgangsbereich des Botanischen Gartens in Berlin interessant zu beobachten, wie sich Betrachter ihren Objekten näherten: nach einem ersten Blick auf die Werke stutzten sie, blieben stehen und näherten sich dann Schritt für Schritt den auf die Distanz täuschend echt aussehenden Pflanzenblättern und Wurzelwerken. Bis sie die Ursache ihrer Irritation erkennen konnten, dass die Objekte nämlich mit durchaus groben Stichen aus Stoff um ein Drahtgerüst genäht sind. Ihr Hauptarbeitsmaterial verschiedenfarbige Stoffe – denn das Bemalen ihrer fertigen Objekte kommt für sie nicht in Frage – hat bereits so manchen ihrer Galeristen um seinen edlen Zwirn fürchten lassen, wenn sie mal wieder eine Bemerkung fallen ließ, wie: „Oh, was für ein schönes Jackett“.
Auch wenn sich ihre Sujets auf die Natur beziehen: Die Natur bildet nur vordergründig das Vorbild ihrer Werke. Zahlreiche Farbnuancen an Stoffen sind etwa erforderlich, um für ein Wurzelgeflecht die passenden Farben zu finden. Wenn sie bei einem Projekt die anfangs wirren Ideen sortiert und Farbgebung und Formen festgelegt hat, kann es durchaus sein, dass sie in dem langwierigen Prozess das gute Stück auch einmal für längere Zeit aus der Hand legt, bis sie an ihm mit einer neuen Inspiration weiterarbeitet.
Gerade rechtzeitig vor dem Lockdown hat Anne Carneis ihr Atelier in Diepoldshofen bezogen. „Damit war ich während der Pandemiezeit gut beschäftigt.“ Die (Vor-)Urteile über die Allgäuer kann sie nicht nachvollziehen: Sie fühlt sich im Allgäu sehr wohl und angenommen. Denn die Mentalität der Menschen sei im Allgäu von ähnlich natürlichen Hindernissen geprägt – hier die Berge, dort das Meer – wie in ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern. Ein größeres Problem, das sie wie viele andere Künstler betrifft, sieht sie im Erliegen des Ausstellungsbetriebes: „Kunst lebt vor allem vom gesehen werden.“
Äußerst Spannend findet sie ihr neuestes Projekt: An der TU Dresden ist sie eingeladen, im Fachbereich Bodenkunde bei einer Studie die Perspektive der Kunst mit einzubringen. „Die Blüten braucht um ihre Pracht zu entfalten und zu überleben als Gegenstück die Wurzeln.“ Ebensolche „Wurzelwerke“ werden in der Ausstellung „Im Rosengarten“ im Gewölbegang des Naturschutzzentrums ausgestellt, die noch bis 27. Juni läuft. Anne Carnein versprach, sofern die Corona-Regeln es zulassen sollten, eventuell bei einer Finissage Interessierte in kleinen Gruppen durch die Ausstellung zu führen.
Bericht und Bilder: Ulrich Gresser