Hauerz -Wilhelm Geyer (1900 – 1968) war ein bedeutender Sakralkünstler der Moderne, der auch in unserer Raumschaft gewirkt hat. So stammen die Glasfenster im Chor der Pfarrkirche Hauerz von seiner Hand. Im soeben herausgekommenen Kalender der Seelsorgeeinheit Bad Wurzach ist auf dem Januarblatt die Dreikönigsszene Geyers aus dem Hauerzer Zyklus abgebildet (Aufnahme: Stefan Maier).
Fünf Chorfenster mit jeweils sechs biblischen Szenen hat Geyer für Hauerz entworfen. 1965 wurden sie in die dortige Martinskirche eingebaut, als im Rahmen einer großen Innenrenovation der Altarraum im Sinne des Zweiten Vatikanums neu gestaltet wurde (Volksaltar von Josef Henger, Ravensburg). Ausgeführt wurden die Entwürfe Geyers, der als wichtiger Vertreter des expressiven Realismus gilt, von der Ulmer Werkstatt Deininger. Die insgesamt 30 Segmente, verteilt auf die fünf Fenster, stellen uns Jesus in einem großen theologischen Bogen vor, verbinden alttestamentarische Verheißungen mit der Erfüllung im Neuen Bund.
Der für Hauerz zuständige Stadtpfarrer Stefan Maier hat uns ein Faltblatt zur Verfügung gestellt, das wohl zu Zeiten Geyers ausgelegt worden war. Leider ist es weder datiert noch signiert. Der Autor des Faltblatts erkennt im Geyer’schen Zyklus einen roten Faden und formuliert: „Das Gesamtthema lautet: Christus, der erhöhte Herr, ist unter uns, betet mit uns und für uns und schenkt sich uns im heiligen Mahl.“
Die einzelnen Motive können wie folgt gedeutet werden (in Anlehnung an das Faltblatt):
Linkes Fenster: In Jesus wird Gott Mensch. Geyer fasst das Geheimnis in die Bilder „Verkündigung durch den Engel“ (zweites Bild von oben), „Geburt des Messias aus dem Stamme Davids“ / Davidsstern über der Krippe), „Erscheinung des Herrn“ (unten; das von den Heiligen Drei Königen verehrte göttliche Kind hat einen Heiligenschein); er ergänzt die Weihnachtsgeschichte mit den alttestamentarischen Motiven (blau umrandet) „Gott in Gestalt von drei Männern (Dreifaltigkeit?) besucht Abraham“ (dem alten Abraham und seiner Frau Sara – links im Zelt zu sehen – wird die Geburt eines Sohnes verheißen) und „Gott erscheint Moses im brennenden Dornbusch“
.Fenster halb links: Der Mensch Jesus ist der Messias, der verheißene Retter. Das bezeugt Gott in Gestalt der Taube bei der Taufe Jesu im Jordan (oben); das bezeugt Petrus (mit Zeigegestus) aus der Schar der Apostel heraus (bei Caesarea Philippi: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ / drittes Bild von oben); das wird deutlich beim gar so unköniglichen, aber frenetisch gefeierten Einzug auf einem Esel in Jerusalem (zweites Bild von unten; gezeigt wird ein Jubelnder mit Palmzweig; ein den Messias Begrüßender breitet seine Kleidung aus – ein Huldigungsritual für einen König).
Geyer stellt den neutestamentlichen Szenen dieses Fensters folgende alttestamentarische Pendants gegenüber (blau umrandet): Salbung des jungen David (drittes Bild von unten); der ägyptische Josef, nach großer Drangsal nun erhöht auf dem Wagen des Pharaos (Bild ganz unten); die Rettung des Volkes Israel beim Durchzug durch das Rote Meer unter Führung von Moses (zweites Bild von oben).
Im Fenster halb rechts geht es um Leiden und Sterben Jesu. Dem Faltblatt zufolge sind im vierten Segment von oben Jesaja und Jeremia zu sehen, die in ihren Prophetien auf die Passion hinweisen.
Darunter sieht man Jesus am Ölberg, umgeben von schlafenden Jüngern, bei seinem flehenden Gebet: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Eine Entsprechung sieht unser unbekannter Interpret in der flehentlichen Bitte des Propheten Elia auf dem Berg Karmel um Regen (blaue Wolke). Warum Wilhelm Geyer für diese Szene (Bild unten) zwei – unterschiedlich gewandete – Protagonisten nebeneinander gestellt hat, bedarf der näheren Untersuchung. Vielleicht will der Künstler eine zeitliche Abfolge deutlich machen.
Im dritten Bild von oben ist die unrechtmäßige Verurteilung Jesu durch Pilatus dargestellt.
Ganz oben die Schmerzensmutter, der der vom Kreuz abgenommene tote Sohn in den Schoß gelegt ist.
Das alttestamentarische Motiv oben (blau umrandet) zeigt die Jona-Geschichte (er wird von der Schiffsbesatzung ins Meer geworfen). In der anschließenden Verschlingung des Jona durch den Wal (nicht dargestellt) und der Rettung nach drei Tagen wird ein Symbol für den Tod und die Auferstehung Jesu nach drei Tagen gesehen. Der neutestamentliche Bezug dazu ist das von Matthäus (12,40) überlieferte Wort Jesu: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.“
Fenster ganz rechts: Das Bild unten schildert – indirekt – die Auferstehung. Das Grab ist leer. Drei Frauen sind zu sehen. Zwei tragen Binden herbei, eine hat ein Behältnis in Händen, darin wohl die Duftöle, von denen die Bibel berichtet. Die drei Frauen wollten den Leichnam einbalsamieren. Der Engel zeigt nach oben.
Zum dritten Segment von oben heißt es im Faltblatt: „Nach seiner Auferstehung gibt Jesus seine göttliche Vollmacht an die Apostel weiter.“ Bei Johannes steht geschrieben (20, 21-23): Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an (Detail im Bild) und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.
Laut Faltblatt zeigt das zweite Bild von unten den Dulder Hiob, der von Gott schwer geprüft wird, mit Gott hadert, aber treu alles erträgt. Unser Autor hat wohl die Verse 25 und 26 aus Kapitel 19 des Buches Hiob im Blick, wenn er von der Auferweckungshoffnung des Hiob schreibt. Diese Verse („Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, / als Letzter erhebt er sich über dem Staub“ und „Ohne meine Haut, die so zerfetzte, / und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen“) werden von alters her auf Christus und die christliche Auferstehungshoffnung bezogen. Während die gebeugte Haltung des rechts Abgebildeten = Hiob für sich spricht, ist die links dargestellte Szene offen für eine Analyse.
Klar dagegen ist die Pfingstdarstellung im zweitobersten Bild. Erfüllt vom Heiligen Geist tragen die Apostel die Frohe Botschaft in verschiedenen Sprachen in alle Welt – was in deutlichem Kontrast zur babylonischen Sprachverwirrung im Bild darunter steht (Menschen halten sich die Ohren zu, gehen ratlos auseinander).
Das Mittelfenster wird vom Autor des Faltblattes wie folgt beschrieben: „Der menschgewordene, gestorbene und auferstandene Gottessohn ist mitten unter uns, hier und jetzt, um mit uns und für uns am Thron seines Vaters (der Thron ganz oben im Fenster) zu beten, wie Moses auf dem Berg für das Volk in der Schlacht gebetet hatte (Mitte). Jesus hält mit uns das heilige Mahl (unten), wie die Israeliten vor ihrem Auszug aus Ägypten das Pascha-Lamm gegessen hatten (ganz unten).“
Unsere Bildinterpretation entlang dem Faltblatt des anonymen Autors ist sicherlich da und dort diskutabel. Eingeladen zu Ergänzung, Korrektur oder alternativer Bewertung ist jedermann. Der Verfasser der hier veröffentlichten Zeilen, ein theologischer Laie, freut sich über Rückmeldungen. Scheuen Sie sich nicht, mailen Sie an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
Zur Person des Künstlers: Wilhelm Geyer, geboren in Stuttgart, hatte laut der in Wikipedia veröffentlichten Biografie von 1919 bis 1926 an der Kunstakademie Stuttgart studiert. 1927 übersiedelte er nach Ulm und heiratete dort im Jahr darauf. 1929 beteiligte sich Geyer an der Gründung der Künstlergruppe Stuttgarter Neue Sezession und übernahm deren Vorsitz. 1935 gestaltete er seine ersten Glasfenster (in Magolsheim / Schwäbische Alb). Von 1940 bis 1942 war er Soldat. 1943 kam er mit dem Kreis der Weißen Rose um die Geschwister Scholl in Berührung und wurde deshalb von der Gestapo verhaftet. In seinem Prozess vor dem Sondergericht 2 beim Landgericht München wurde er am 13. Juli 1943 aber freigesprochen, weil man ihm eine Tatbeteiligung nicht nachweisen konnte.
Der Ulmer Maler gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der religiösen Kunst des 20. Jahrhunderts. Schon in den 1920er-Jahren fand Geyer mit großen Altarbildern und Graphiken mit religiöser Thematik weite Anerkennung. Bekannt wurde er vor allem durch seine Bleiglasfenster, die er für nahezu 200 sakrale Gebäude entworfen hat, unter anderem für den Kölner Dom, die Frauenkirche in München und das Ulmer Münster.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Geyers Arbeiten zu „Entarteter Kunst“ erklärt und aus den Museen in Stuttgart und Ulm entfernt. Geyer setzte sich nach dem Krieg für die Wiedereröffnung der Stuttgarter Kunstakademie ein und war einer der Initiatoren der Beuroner Kunsttage. Er war 1945 bei der Gründung der ersten Gesellschaft Oberschwaben in Aulendorf mit dabei und ist auch einer der Begründer der Oberschwäbischen Sezession (1947; später SOB genannt). In Ulm wirkte er als Dozent an der 1946 von Inge Aicher-Scholl mitbegründeten Ulmer Volkshochschule (vh ulm). Weiter war er Mitglied der sogenannten Freien Gruppe im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart.
1954 erhielt Wilhelm Geyer den Oberschwäbischen Kunstpreis und 1957 die Goldmedaille der internationalen Biennale für christliche Kunst. Die baden-württembergische Landesregierung ehrte Wilhelm Geyer 1960 mit dem Professorentitel.
In unserer näheren Nachbarschaft sind Werke Geyers zu finden in der Pfarrkirche Immenried und in Ravensburg (Liebfrauen und Jodok). Hier eine Auswahl seiner Werke:
1949: Glasfenster für den Dom St. Viktor in Xanten
1952–1967: Glasfenster für das Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd
1953: Kreuzweg für St. Michael zu den Wengen in Ulm
1953: Glasfenster für das Ulmer Münster (Brautfenster)
1956: Glasfenster in der Marienkapelle des Kölner Doms (Piusfenster / den vier letzten Pius-Päpsten gewidmet)
1959: Glasfensterzyklus in der Liebfrauenkirche in Ravensburg, unter anderem zu den Themen Taufe, Ehe, Buße
1961: Glasfenster für die Frauenkirche in München
1965: Glasmalereien (Szenen der Heilsgeschichte) in der Pfarrkirche St. Jodok in Ravensburg
Text / Fotos: Gerhard Reischmann
Anmerkung: Die Fotos, von unten aufgenommen, leiden unter perspektivischen Verzerrungen; das mittlere Glasfenster konnte in diesen Tagen nicht fotografiert werden, da es durch einen großen Christbaum verdeckt ist. Wünschenswert wären frontale Nahaufnahmen, wozu es allerdings einer entsprechenden Aufstiegshilfe bedürfte.
Vom Kalender der Seelsorgeeinheit mit seinem Wilhelm-Geyer-Motiv liegen in St. Verena in Bad Wurzach noch letzte Exemplare aus (6 €).