Am 3. August 2012 wurde Pfarrer Dr. Deogratias Bukenya zu Grabe getragen – in Haisterkirch, wo er bei der Familie Kübler sein Zuhause hatte. Gerhard Reischmann hat damals eine Würdigung des charismatischen Priesters für das Oberschwaben-Magazin „Blix“ geschrieben. Hier die erweiterte Fassung jenes Textes:
3. August, 13.30 Uhr: In Haisterkirch wird ein Landpfarrer zu Grabe getragen. Mit allem, was zu einem großen Leichenbegängnis in Oberschwaben dazugehört. Mit wehmütigen Chorälen. Mit Fahnen und Standarten. Unter großer Anteilnahme einer außerordentlich großen Trauergemeinde.
Im übervollen Gotteshaus zu Haisterkirch. Die Schützen im Jägerlook betreten die Kirche. Der Kriegerverein zieht ein, schärpengeschmückt. Die Feuerwehr in Uniform, der Musikverein in Tracht, die Narrenzunft „Chadaloh“ in Zivil, nicht im Häs. Die Blutreiter, angetan mit Frack und Zylinder. Bad Wurzachs Bürgermeister kommt herein. Örtliche Prominenz ist da und viel einfaches Volk. Am linken Seitenaltar und im Chor sind sie aufgepflanzt, die Fahnen und Standarten der Vereine. Trotz Trauerflors ein pittoreskes Bild. Auf dem Altar das Bildnis des Verstorbenen, ebenfalls trauerbeflort.
Trommeln – ganz leise. Dann das Crescendo
Der Sarg des Verstorbenen wird hereingetragen. Alles erhebt sich. An der Spitze des Konduktes der Kreuzlesträger. Am schlichten Holzkreuz das Sterbebildle und der Name. Es folgen die Ministranten, eine stattliche Schar. Dann die Kleriker, drei Dutzend an der Zahl, Priester aus der ganzen Raumschaft und von ganz weit her, Diakone. Trommeln setzen ein, ganz leise, dann im Crescendo. Leise, laut, im markanten Wechsel. Wer nicht von hier ist, wundert sich. Wer von hier ist, macht mit. Klatscht in die Hände. Wiegt sich im Rhythmus. Lässt sich mitreißen. Normalerweise. Heute nicht.
Es sind afrikanische Rhythmen. Der oberschwäbische Landpfarrer war – ein Afrikaner.
Dr. Deogratias Bukenya war einer der allerersten Priester aus Afrika, die im Missionsland Deutschland wirkten. Ende der 1970er war nach Oberschwaben gekommen. Gefördert von der Pfarrgemeinde Haisterkirch. In liebevoller Verbundenheit mit der Familie Kübler. 1966 hatte er hier seine Primiz gefeiert.
Die ersten Jahre nach der Priesterweihe wirkte Deogratias Bukenya in seiner Heimat Uganda. War Regens am Priesterseminar. 1975 weilte er in Rom. Wurde krank. Um wieder auf die Beine zu kommen, kam er nach Oberschwaben. Und blieb. Wohnte in Haisterkirch, amtierte im benachbarten Haidgau. Zunächst als Pfarrvikar. 1982 wurde er von Bischof Moser zum Pfarrer von Haidgau ernannt. Der Afrikaner war in Oberschwaben angekommen. Nicht nur das „Katholische Sonntagsblatt“ staunte. Ist das die Lösung angesichts des Priestermangels, spekulierte das Magazin der Diözese seinerzeit.
In der Tat: Heute sind Priester aus Afrika und Indien in Oberschwaben nichts Ungewöhnliches mehr.
Rückblick. Ein Besuch beim Pfarrer von Haidgau. Wir schreiben das Jahr 2007. Dr. Deogratias Bukenya steht in seinem 30. Amtsjahr in der oberschwäbischen Pfarrei.
Im Pfarrhaus zu Haidgau
Das Amtszimmer im altehrwürdigen Pfarrhaus in Haidgau: Neben Kruzifix und Benedikt-Konterfei hängt das Bild von St. Gyaviira. Das Heiligenbild ist aus der Staude einer Banane gearbeitet, aufgebracht auf einer Unterlage, die vom Mutuba-Baum stammt. Gyaviira ist einer der 22 ugandischen Märtyrer, die Ende des 19. Jahrhunderts dem Druck ihres eigenen Königs widerstanden und für den christlichen Glauben in den Tod gingen. Für Deogratias Bukenya, dessen Eltern schon Christen waren – der Vater hatte im Alter von zehn Jahren die Taufe erhalten, die Mutter als Fünfjährige – sind die afrikanischen Blutzeugen vom Volk der Baganda wegen ihrer unbeirrten Gottesliebe große Vorbilder. „Jesus ist das Licht“ steht auf einer Kerze. Daneben afrikanische Accessoires. Der schlanke, agile Priester ist von ganzem Herzen Afrikaner.
Und er ist auch Oberschwabe. Auf der Kommode stehen die gerahmten Bilder des Haidgauer Kirchenchores und der Haidgauer Frauengruppe. Neben einem Uganda-Motiv sieht man die Foto-Collage der Ministrantengruppe. „Herzlichen Glückwunsch zum 40-jährigen Priesterjubiläum“, steht darauf, garniert mit den Bildnissen der etwa zwei Dutzend Köpfe zählenden Schar, mehrheitlich Mädchen. Im Vorjahr (2006) war das Jubiläum gewesen.
72 ist er jetzt, aber den Ton bei der Jugend trifft nach er wie vor. Und die dankt es ihm.
1978
Als Deogratias Bukenya 1978 in der 900-Seelengemeinde am Rande des Wurzacher Riedes anfing, gründete er umgehend die Jugendgruppe, auch eine Frauengruppe; dem Kirchenchor hauchte er neues Leben ein. Wie fast alle Afrikaner ist er sehr musikalisch und so wundert es keinen mehr, dass die Pfarrgemeinde Haidgau auch afrikanisches Liedgut im Repertoire hat. Das braucht natürlich Pflege und dann und wann kommt es vor, dass Pfarrer Bukenya nach dem sonntäglichen Schluss-Segen sangeslustige Gemeindemitglieder zum Üben einlädt.
Einmal im Jahr gibt es in Haidgau eine afrikanische Messe. Schon Tage zuvor hört man aus dem Pfarrhaus Trommelklänge. Eine Gruppe Jugendlicher bereitet sich unter dem Leitwort „Mujje Tutendereze Omukama“ – zu deutsch: „Kommt, lasset uns den Herrn preisen“ – auf die multikulturelle Eucharistiefeier vor. Es ist eine begeisternde, fröhliche und zugleich von tiefem Ernst getragene Feier, bei der die ganze Gemeinde mitmacht, klatschend, singend, betend.
1996
Der Priester aus Uganda, kommt bei den Leuten hier gut an. Das zeigt auch die Motorradweihe, die er seit 1996 veranstaltet und zu der Biker aus dem ganzen Umkreis kommen. „Fahrt nicht schneller, als Euer Schutzengel fliegen kann“ – mit solchen Worten gewinnt er die Biker. Der Menschenfischer vom Viktoriasee belässt es aber nicht bei Verkehrserzieherischem. Er wirbt für die Tankstelle Gottes; der Treibstoff dort sei unbezahlbar und zugleich kostenlos, zielführend und unerschöpflich.
„Wir haben einen tollen Fang gemacht“, schreibt ein Gemeindemitglied in der Zeitschrift „missio“ (Ausgabe 2/2000). „Er ist ein warmherziger und sensibler Mensch und ein großartiger Seelsorger. Ich weiß, wie schwer es Pfarrer Deogratias gefallen ist, sich hier einzugewöhnen. Das war hart für ihn. Umso bewundernswerter ist für uns die Leistung unseres Pfarrers: Er hat es fertiggebracht, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen harmonisch zusammenleben. Leute wie Pfarrer Bukenya sind auch deshalb ein Segen, weil sie Ausländerfeinden den Wind aus den Segeln nehmen.“
1992 haben die Haidgauer auch mit ihrem Pfarrer dessen Heimat besucht. Matthias Bohner, der Zweite Vorsitzende der Pfarrei, erinnerte daran bei der Beerdigung. Arm seien die Leute dort, aber fröhlich. Die Fröhlichkeit Afrikas hat die Besucher aus Oberschwaben tief beeindruckt. Und die Not. Das Schicksal der Aidswaisen. Das wird nun ein Anliegen der Pfarrei. Bukenya ist nicht nur Menschenfischer, sondern auch Geldsammler.
Heimweh? Ja, auch das
Gegen aufkommendes Heimweh helfen dem in der Fremde lebenden Priester Besuche in der alten Heimat. Und aus der alten Heimat. Im Pfarrhaus zu Haidgau geben sich hochrangige Würdenträger aus Afrika die Klinke in die Hand.
Wie selbstverständlich Schwarz und Weiß in Haidgau harmonieren, zeigt folgende Begebenheit: Als einmal ein weißer Geistlicher zur Aushilfe da war, hätten Kinder – die ja nie einen anderen Pfarrer als ihren Deogratias Bukenya hatten – gefragt, ob der Fremde auch ein „richtiger“ Priester sei, berichtet der Dorfpfarrer schwarzer Hautfarbe schmunzelnd.
Nun haben sie ihn zu Grabe getragen, ihren schwarzen Pfarrer. Mit allem, was in Oberschwaben dazugehört. Seit Dr. Deogratias Bukenya gehört auch eine Trommlergruppe dazu. Die Trommler tragen farbenfrohe Langhemden im ugandischen Stil. In einem gewissen Abstand zum Grab kauern sie auf dem Boden. Sie trommeln. Ganz leise. Dann mit Crescendo.
Dr. Deogratias Bukenya, der bis zu seinem 75. Lebensjahren seiner Pfarrei in Oberschwaben diente, hat noch ein Buch herausgebracht. Meditativ-Theologisches mischt sich mit Heimatlich-Oberschwäbischem, mit Heimatlich-Afrikanischem. „Ich habe gesät“ – so lautet der Titel.
Ja, sie werden in lange in ihrem Herzen haben, den bescheidenen, warmherzigen Gottesmann aus Schwarzafrika, der nun in fremder Erde ruht. In fremder Erde, die ihm Heimat geworden ist.
Gerhard Reischmann (2012)
Dorfrundfarhrt mit Hochwürden. Foto (2008): Uli Gresser
Deogratias Bukenya bei Papst Paul VI. Vermutlich 1975. RR-Archivbild
Deutsche Weihnacht. Pfarrer Bukenya am Stephanstag des Jahres 2007. RR-Archivbild
Trommeln im Haidgauer Pfarrhaus: Pfarrer Bukenya 2007. Foto: Gerhard Reischmann
August 2012: Zum Begräbnis in Haisterkirch waren seine engsten Verwandten aus Uganda gekommen. Rechts Anni Kübler, seine Haisterkircher „Mutter“. Foto: Gerhard Reischmann
Die Haidgauer Trommlergruppe – hier eine Aufnahme von 2013 – besteht noch heute. An diesem Sonntag, 9. Juli, sind die Haidgauer Trommler beim Gedenkgottesdienst in St. Nikolaus zu hören (10.30 Uhr). Foto: Gerhard Reischmann