Meersburg / Bad Wurzach - Wenn die Chance besteht, dass sich der Nebel im Lauf des Tages auflöst, so ist jetzt die schönste Zeit, um an den Bodensee zu fahren. Zurzeit gibt es dafür noch einen zweiten guten Grund. In Meersburg zeigt die Galerie Bodenseekreis unter dem Motto „Ins Offene“ eine über 100 Werke umfassende Ausstellung zu Sepp Mahler.
In der Vorankündigung und im Einführungstext in der Schau betont Kurator Volker Sonntag die „neue Aktualität“ des Künstlers und dass es ihm darum gehe, in der Ausstellung „Linien von der Vergangenheit in die Gegenwart“ zu ziehen. In einer Veranstaltung der Freunde und Förderer des Leprosenhauses in Bad Wurzach, wenige Tage nach der Eröffnung, hat Volker Sonntag seine Sicht auf den Künstler noch einmal erläutert. Uwe Degreif, der zweite Referent des Abends, hob dagegen das Zeitbedingte vieler Motive Mahlers hervor und warnte ironisch davor, den Künstler zum „Propheten des Biosphärengebietes“ zu machen. Über beide Veranstaltungen hat die Bildschirmzeitung berichtet.
Im Barockpalais
Die Ausstellung in den schönen Räumen eines ehemaligen Barockpalais ermöglicht es glücklicherweise nun, sich, ganz unabhängig von diesen verschiedenen Deutungsansätzen, selbst ein Bild zu machen. Überhaupt ist es erfreulich, dass wieder einmal ein wichtiges oberschwäbisches Ausstellungshaus das Werk des Wurzachers breit präsentiert. Und das macht es sehr überzeugend. In einem Eingangsraum im Erdgeschoss werden in einer bebilderten Biografie die wichtigsten Lebensdaten vermittelt. Daneben haben die Ausstellungsmacher hier über die Wände zahllose Stichworte mit Selbstbeschreibungen des Künstlers, Charakterisierungen und beruflichen Tätigkeiten verteilt, die neugierig machen. Die Auswahl reicht vom Antibürger über den Bänkelsänger bis zum Moormaler.
Eine Ausstellung in 12 Kapiteln
Dann führt die Ausstellung in 12 über die beiden oberen Geschosse verteilten Kapiteln durch das Werk Sepp Mahlers. Dabei werden einerseits wichtige Lebensabschnitte angesprochen wie etwa die „Vagabundenjahre“ oder, als „Dunkle Heimatjahre“, die NS-Zeit. Andererseits geht es um zentrale Motivfelder, etwa um Mahlers Interesse an sozial Ausgegrenzten, die er „Niemandsleute“ nennt, oder, natürlich, um das Ried. Ein kurzer Einleitungstext stimmt jeweils auf das Thema ein. In einem kleinen Kabinett berichtet auch der Künstler selbst per Band aus seinem Leben. Viele Besucher werden die Eckdaten der Biografie des 1901 in Bad Wurzach als Sohn des Torfwerkleiters Geborenen kennen: Lehre als Dekorationsmaler, Studium an Kunstgewerbeschule und Kunstakademie, Wanderschaft, Engagement in der Vagabundenbewegung, Inhaftierung durch die Nationalsozialisten und – manchmal recht prekäre – Existenz als Künstler.
Der Einfluss von Van Gogh, Munch und Klee
Auch in der Meersburger Ausstellung wird der schon oft angesprochene Einfluss jener Maler greifbar, die Sepp Mahler besonders inspiriert haben: Vincent Van Gogh, Edvard Munch und Paul Klee. Für kurze Zeit sind seine Zeichnungen auch kubistisch. In den 20er- und 30er-Jahren hatte Mahler auf seinen Reisen, aber vor allem durch seine Kontakte zu so renommierten Avantgarde-Galerien wie Herwarth Waldens Berliner „Sturm“ oder auch Valentien in Stuttgart, Gelegenheit, moderne Kunst kennenzulernen. Sich inspirieren zu lassen und auf der Suche nach dem eigenen Weg erst einmal in die Fußstapfen von Vorbildern zu treten, das lässt sich in fast jeder Künstlervita beobachten. So haben etwa alle Künstler der Gruppe „Brücke“ eine Zeit lang im Stil Van Goghs gemalt.
Symbolistisches: Mahler und Munch
Für Sepp Mahler war wohl der Norweger Munch, der in Deutschland seit der Jahrhundertwende hoch geschätzt wurde, besonders wichtig. Noch im Jahr 1930 besuchte zum Beispiel der gleichaltrige schwäbische Maler Richard Hohly Munch in dessen Atelier bei Oslo. In Meersburg ist im zweiten Obergeschoss eine bemerkenswerte Gruppe von Gemälden aus den 30er-Jahren zu sehen, in denen Munch am eindrucksvollsten nachwirkt. Einsame Frauen, für die dem Maler die aus Stuttgart zugezogene Textilgestalterin Anneliese Frey Modell stand, begegnen ihrem personifizierten Schatten oder dem Tod. Hier wirkt bei Mahler letztlich die Kunst des Symbolismus vom Ende des 19. Jahrhunderts nach. In diesen Bildern kreisen einsame Sonnen und Gestirne in wogenden Himmelsszenerien, ebenfalls Motive, für die Munch und Van Gogh Anregungen gaben.
Das Ried als Seelenlandschaft
Es sind diese meist mit breitem Pinsel gemalten und oft in gebrochenen Farben gehaltenen Szenen, in denen das Ried in eine melancholische Seelenlandschaft verwandelt wird, die den Kern von Mahlers Schaffen ausmachen. In diesen Werken findet der Künstler, um es salopp auszudrücken, zu einem – auch im Blick auf die deutsche Malerei des 20. Jahrhunderts insgesamt – unverwechselbaren Sound.
Der Charme der Federzeichnungen
Zugänglicher und beliebter sind jene Arbeiten Mahlers, die die Ausstellung abschließen. Dem Charme seiner kleinformatigen Federzeichnungen auf aquarelliertem Grund kann man sich kaum entziehen. Noch in den ausgesprochen poetischen Werktiteln wirkt hier der Einfluss von Paul Klee nach. Die Ausstellungsmacher wählten sicher auch deswegen eines dieser Blätter in Flyern und Plakaten zum Leitmotiv ihrer Schau. Von dieser Werkgruppe, aber auch von allen anderen wird dem Besucher in der Ausstellung, die noch bis zum 13. November dauert, eine breite und qualitätvolle Auswahl geboten.
Auf das schön gemachte und in jeder Hinsicht empfehlenswerte Katalogbuch für 20 Euro hat die Bildschirmzeitung bereits aufmerksam gemacht.
Text und Fotos: Herbert Eichhorn
Rotes Haus / Galerie Bodenseekreis
Schlossplatz 13, Meersburg
dienstags bis sonntags sowie feiertags 11.00 bis 17.00 Uhr
Moorhof, 1923
Nachtasyl, um 1928
Anneliese Frey im roten Gewand, um 1935
Toter Tag (Tod und Mädchen), 1937
In Pink, 1950/51