Bad Wurzach (rei) - Hansjörg Schick, Jahrgang 1940, hat über Jahrzehnte in der Kommunalpolitik in Arnach und Bad Wurzach sowie auf Kreisebene mitgewirkt. Er war Ortschaftsrat, Stadtrat, Kreisrat. Gut erinnert er sich an die Zeit der Eingemeindung. Arnach, wozu sein Wohnplatz Gensen gehört, wurde vor 50 Jahren nach Bad Wurzach eingemeindet, genau: am 1. Juni 1972. Hansjörg Schick hat einen zwei Seiten umfassenden Erinnerungstext aufgesetzt, den wir hier wiedergeben (die Zwischentitel wurden von der Redaktion der Bildschirmzeitung eingefügt). Sein Text sei eine subjektive Erinnerung, betont Schick, „keine historische Ausarbeitung“. Er schreibt:
„Die Verwaltungsreform der Landesregierung Baden-Württemberg hatte im Wesentlichen das Ziel, auf der Gemeindeebene leistungsfähige Einheiten zu schaffen. Voraussetzung dazu war nach damaliger Ansicht der Zusammenschluss der Gemeinden. In der Konsequenz bedeutete das die Aufgabe der Selbständigkeit für die große Mehrzahl der Kommunen.
Es war ein sehr emotionales Thema! Ich war damals noch nicht in den politischen Gremien, es gab viel Kritik. Dass die Reform unumgänglich war, das war wohl bald klar. Arnach hatte ja wie viele andere Gemeinden keinen Fach-Bürgermeister und wurde daher von einem Vewaltungsaktuar betreut. Dieser hatte auch erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen. Er forcierte den Zusammenschluss von etwa gleichen Gemeinden zu ländlichen Zentren. In der Diskussion standen Zusammenschlüsse, zum Beispiel Arnach mit Immenried, Eintürnen und Diepoldshofen. Eintürnen hatte mit Bürgermeister Hermann Hecht einen Fachbürgermeister. Er hätte einem Zusammenschluss wohl zugestimmt, sofern er bei einer Fusion eben Bürgermeister der neuen Gemeinde geworden wäre. Die Meinung in Arnach: Wir sind die finanzstärkste Gemeinde (durch die Gewerbesteuer von Ziegelwerk und Ingenieurbüro). Arnach hatte als einzige Gemeinde eine neue Schule und eine Kläranlage sowie eine zentrale Wasserversorgung. Die erheblichen Anschlussbeiträge dafür waren noch in frischer Erinnerung. Die meisten Gemeindestraßen waren schon asphaltiert. Also Arnach war prädestiniert für den Verwaltungssitz und damit auch für den Namen!
Arnach war nach Leutkirch orientiert
Der Vorschlag, Arnach zum Verwaltungssitz zu machen, fand bei den anderen Ortschaften wenig Gegenliebe. Die Rivalität der Gemeinden, der Bürgerstolz, waren erheblich. Diepoldshofen hat sich dann in Richtung Leutkirch orientiert. Ich war als Zuhörer bei einer Sitzung des Gemeinderates Arnach. Zitat eines Rates: Wenn me d'Selbständigkeit scho verlieret, noch ganget mer zum Schmied und it zum Schmiedle! Der besagte Schmied, das war Leutkirch. Arnach war im Wesentlichen nach Leutkirch orientiert. Am Gallusmarkt gab es vorzeitig schulfrei, dazu das Kinderfest. Wurzach hatte da nicht viel zu bieten. Auch die Postanschrift war: Arnach über Leutkirch. Soweit ich mich erinnere, gab es eine starke Tendenz in Richtung Leutkirch.
Auch die Gemeinde Seibranz wollte, wenn schon, unbedingt nach Leutkirch. Seibranz und Unterschwarzach versuchten den Anschluss an Bad Wurzach mit einem Normenkontrollverfahren zu verhindern und wurden erst, meine ich, zwei Jahre später eingemeindet (am 1. Januar 1975 aufgrund landesgesetzlicher Vorgabe / Anm. der DBSZ-Redaktion). Mit Arnach und Seibranz wäre Leutkirch wohl auch zu groß geworden. Die Eingemeindung sollte ja „freiwillig“ sein, daher wurden die Eingemeindungsverhandlungen mit Bad Wurzach geführt. Die dabei geschlossenen Verträge sind mir nicht mehr bekannt. Ich denke, diese Dokumente wären in der Nachsicht sehr interessant. Das Misstrauen gegenüber der Verwaltung war ja erheblich. Schule, Feuerwehr, Kindergarten, bis zur Haltung des Gemeindefarrens (der gemeindeeigene Deckbulle), einfach alles, was erhaltenswert schien, wurde im Eingemeindungsvertrag festgehalten.
Unechte Teilortswahl eingeführt
Zur politischen Vertretung im Stadtrat wurde die Unechte Teilortswahl eingeführt. Dieses Wahlrecht gilt bis heute noch. Das politische Engagement wurde damit nicht gerade gefördert, denn es gibt ja garantierte Sitze im Stadtrat. Negatives Beispiel vor Kurzem: der Rücktritt des einzigen Stadtrates aus Haidgau. Die Auflösung der Unechten Teilortswahl wäre doch ein Jubiläumsgeschenk für die Demokratie in Bad Wurzach! Soweit meine persönliche Meinung.
Das Thema "Verwaltungsgemeinschaft", es gibt ja mehrere davon im Landkreis Ravensburg, kam aus welchen Gründen auch immer bei uns nicht in Frage.
Nochmals zurück zum Anfang der geplanten Reform. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung im „Adler“ in Bad Wurzach. Dabei hat sich der damals neugewählte Bürgermeister einer Teilgemeinde vehement gegen einen Anschluss gewehrt mit dem Argument: „Ich wurde von meinen Bürgern gewählt mit der Aufgabe Nr. 1: Gospoldshofen muss selbständig bleiben!" Dieser Widerstand der Bürgermeister verringerte sich aber ganz erheblich, als die Landesregierung bekanntgab, dass am Gehalt der Bürgermeister nicht gerüttelt wird, auch wenn die Betroffenen nur noch „Ortsvorsteher“ sind. Ein weiteres Lockmittel für einen freiwilligen Zusammenschluss war die von der Regierung zugesagte, nicht unerhebliche Anschlussprämie. Zahlen dazu müssten eigentlich in den damaligen Haushaltsplänen zu finden sein.
Die Arnacher stellten sich musikalisch vor
Nun, der Anschluss zur Großgemeinde Bad Wurzach fand statt und die befürchteten Nachteile für die Nur-noch-Ortschaft Arnach waren nicht erkennbar. Die Menschen haben sich mit der neuen Situation arrangiert. Ein Beweis dafür: mein erster Besuch im Dienstzimmer des Bürgermeisters Georg Hirth in Bad Wurzach. Es ging um die Anmietung der Turn- und Festhalle Bad Wurzach für eine Veranstaltung der Arnacher Vereine unter dem Motto: „Arnach nach Noten, Arnach, wie es singt und lacht". Teilnehmer waren: die Musikkapelle Arnach, der Männerchor Arnach-Immenried, die Bauernkapelle, der Schülerchor Arnach, dazu kleine Gesangsgruppen. Ich war Organisator und auch der Ansager des Abends. Hintergrund war: „Wir, die Arnacher", stellen uns der neuen Großgemeinde vor, in der Annahme, dass weitere Ortschaften folgen. Die „Schwäbische Zeitung“, Herr Klein, hat ausführlich über diese Veranstaltung berichtet. Unsere Veranstaltung war ein voller Erfolg, auch Bürgermeister Hirth war unter den Besuchern. Leider blieb die Veranstaltung aber ein Unikat!“
So weit der Erinnerungstext von Hansjörg Schick.
Schick plädiert für Aufhebung der Unechten Teilortswahl
Hansjörg Schick ist Träger der Bürgermedaille der Stadt Bad Wurzach. Unser Bild entstand am 10. Januar 2020 bei der Verleihung. Schick dankte für die Auszeichnung und nutzte die Gelegenheit auch für grundsätzliche Anmerkungen zur Kommunalpolitik. So beklagte er die abnehmende Bereitschaft zu Kandidaturen zu den Ortschaftsräten und zum Gemeinderat. Wenn das so weitergehe, dann werde er 2024 mit dann 84 Jahren noch einmal antreten, sagte er scherzhaft.
Mittlerweile ist der alte kommunalpolitische Fahrensmann Hansjörg Schick kein Anhänger des Systems der Unechten Teilortswahl mehr. Das über viele Jahre brauchbare Verfahren, das den Ortschaften jeweils eine festgelegte Anzahl an Sitzen garantiert, habe in jüngster Zeit zu Verzerrungen geführt, die demokratisch fragwürdig seien, erklärte er dieser Tage im Gespräch mit der Bildschirmzeitung. Es könne nicht angehen, dass für einzelne Wahlbezirke nur ein einziger Kandidat antrete, der dann am Tage seiner Kandidatur aufgrund des Wahlverfahrens der Unechten Teilortswahl seinen Sitz im Gemeindeparlament schon sicher habe. Schick empfiehlt die Abschaffung der Unechten Teilortswahl. Dazu bräuchte es einen Gemeinderatsbeschluss, in dem die diesbezüglichen Bestimmungen in den alten Eingemeindungsverträge aufgehoben werden. Leutkirch und Aulendorf sind diesen Weg gegangen, Bad Waldsee und Kisslegg halten an der Unechten Teilortswahl fest. Foto: privat