Das Mindeste, das Unabdingbare, das man der Bürgerschaft in Bad Waldsee und seinem Umland nicht nehmen darf: Der Norden des Landkreises braucht eine 24-Stunden-Notaufnahme! Diese örtliche und überörtliche Notfallversorgung muss vor einer etwaigen Schließung des Bad Waldseer Krankenhauses geregelt sein. Das ist eine ultima ratio!
Moratorium und ein Systemwechsel
Seit Wochen beherrscht die Klinikkrise in Bad Waldsee und seinem Umland die öffentliche Diskussion. Zur Stunde kommt es im Kreistag zum Showdown, steht die Entscheidung über Sein oder Nichtsein des Bad Waldseer Krankenhauses auf der Tagesordnung. Es droht der Schritt über jenen Punkt hinaus, von dem es kein Zurück mehr gibt.
Kurz vor Torschluss wollen wir resümieren: Das BAB-Konzept folgt einem Weiter-so, ist ein Anpassungsprozess im vorhandenen System. Die Verluste sind systemimmanent. Landauf, landab sterben die kleinen Krankenhäuser. Da stimmt etwas im Grundsätzlichen nicht.
Es braucht einen Systemwechsel von der Wurzel her. Voraussetzung hierfür ist eine neue bundes- und landesrechtliche Rahmensetzung.
Zunächst sollte man sich auf den oberen Ebenen dafür einsetzen, die Rahmenbedingungen zu ändern. Ehe man voreilig das von unseren Altvorderen so mühsam Aufgebaute abwrackt.
Im Raum Leutkirch/Isny gibt es nicht Wenige, die den unwiederbringlichen Abbau der Eisenbahnverbindungen im Allgäu – neben Leutkirch-Isny wurde auch Isny-Kempten demontiert – bitter beklagen. Es kann gut sein, dass im späteren 21. Jahrhundert ein Eisenbahn-Anschluss auch für die Kleinstädte wieder ein wichtiger Standortfaktor sein wird.
So auch bei den Krankenhäusern.
Wir werben für ein Moratorium: Setzt den Beschluss von der Tagesordnung ab. Denkt noch einmal nach. Sucht nach neuen Lösungen. Klopft oben an. Kehrt zum guten alten einfachen, bürgernahen Kreiskrankenhaus zurück.
Das Krankenhaus Bad Waldsee sollte man zum Präzedenzfall machen. Das aktuelle Problem steht für ein grundsätzliches, steht für die Verödung der medizinischen Landschaft in der Provinz. Es ist ein bundesweites Generalproblem. Minister Lauterbach, übernehmen Sie!
App statt MVZ
Dr. Konstantin Eisele beschrieb bei der Bürgerinformation am 12. Mai in Reute die Dienstleistungswüste Deutschland und beklagte Kaputtsparen allenthalben. Bahn und Bundeswehr seien abgewirtschaftet worden und das Gesundheitswesen erleide einen nie dagewesenen Kahlschlag. Vehement wandte der pensionierte Landarzt sich gegen einen Rückzug aus der Fläche. In einigen Jahren werde man es noch bereuen, dass dezentrale Strukturen aufgegeben wurden. „Dann wünscht man sich das Krankenhaus Bad Waldsee zurück.“
Hat die Schließung Bad Waldsees auf Dauer einen Kosten-Einspar-Effekt? Das darf nach den Erfahrungen mit den Schließungen in Leutkirch und Isny mit Fug und Recht bezweifelt werden. Zwar habe es damals zunächst tatsächlich eine Kostenreduktion gegeben, aber diese sei hauptsächlich dem vereinbarten Sanierungstarifvertrag geschuldet gewesen – OSK-Geschäftsführer Prof. Adolph sprach denn auch wörtlich von einem Strohfeuer.
Ein Beispiel für kurzsichtigen Rückzug aus der Fläche: Die Bahnstrecke Leutkirch – Urlau, im 19. Jahrhundert erbaut, wurde 2001 stillgelegt. Im Jahre 2018 wurde neben der ehemaligen Bahntrasse die riesige Freizeitanlage Center-Parcs eröffnet. Heute wäre man heilfroh, man hätte Gleisanschluss.
Dem Hü und Hott in der Verkehrspolitik entspricht ein planloses Herumdoktern in der Gesundheitspolitik. Besinnt man sich heute in der Verkehrspolitik auf die Reaktivierung stillgelegter Strecken, so befindet man sich in der Gesundheitspolitik noch voll auf dem Zentralisierungstrip.
Zum Spannungsfeld Zentralität – Dezentralität ergriff Dr. Horst Gehring am 12. Mai mehrfach das Wort. Der mutige Mediziner in Diensten der OSK beschrieb funktionierende Doppelstrukturen in seiner Allgäuer Heimat und warb mit guten Gründen für die Erhaltung des Standorts Bad Waldsee. Wenn Bad Waldsee schlösse und Wangen zur Fachklinik würde, dann wäre das EK in Ravensburg das einzige Haus im ganzen Landkreis mit Grund- und Regelversorgung und müsste entsprechend Personal aufbauen.
Die Proteste gegen Szenario 3 der Gutachter von BAB zeigen erste Wirkung: Wangen wird wohl die Geburtshilfe behalten. Für den Ostteil des Landkreises eine gute Nachricht. Auch soll es dort nun doch unter bestimmten Bedingungen eine Notaufnahme geben.
Aber was ist mit dem Norden des Landkreises, der mit 1632 Quadratkilometern flächenmäßig der zweitgrößte Kreis in Baden-Württemberg ist? 1632 Quadratkilometer – das ist die dreifache Fläche des Bodensees.
Die Frage der flächendeckenden Sicherheit schien auch beim Statement von BAB-Gutachterin Meike Thun auf, als sie einräumte: „Bei der Notaufnahme in Ravensburg müssen wir ansetzen.“ Auch Berater sind manchmal ratlos und so verwies sie allen Ernstes angesichts des Notaufnahme-Fiaskos auf Doktor-Apps, bei denen man im ersten Moment eines medizinischen Notfalls per Video-Chat Rat einholen könne. Vermutlich wird Dr. Google dann sagen: Fahren Sie ins nächstgelegene Krankenhaus.
Wie man es besser macht, wurde beim Statement von Chefarzt Dr. Thomas Sapper deutlich. Formell sei die durchgehende chirurgische und internistische Notfallversorgung im Waldseer Krankenhaus keine Notaufnahme. „Wir leisten es aus unserem täglichen Tun heraus.“
Handeln statt Googeln – das ist die Devise des Waldseer Teams.
Wir brauchen im Norden des Landkreises eine funktionierende 24-Stunden-Anlaufstation. Wir brauchen keine Stroke Unit in Bad Waldsee. Da ist Ravensburg die richtige Adresse. Aber eine Versorgungsstation, die so ausgestattet ist, dass der Rettungswagen nicht vorbeifährt.
Das Vorbeifahren des Rettungswagens am Bad Waldseer Krankenhaus passt ins Bild von der schleichenden Entwertung durch fehlende Reinvestition, die seit Jahren zu beobachten ist.
MVZ – was heißt das?
M – V – Z, das sind zunächst drei volltönende Buchstaben. Ausgeschrieben bedeutet das „Medizinisches Versorgungszentrum“. „Zentrum“ – das ist ein vollmundiger, ein Vieles versprechender Begriff.
Wofür steht die Buchstaben-Kombination? Ist das ein Ärztehaus, das um 17.00 Uhr Feierabend macht? Oder ist das eine Einrichtung, die rund um die Uhr Versorgungsleistungen anbietet?
Die Einwohnerschaft von Bad Waldsee, Bad Wurzach, Aulendorf und auch Bad Schussenried lebt seit Jahrzehnten in dem sicheren Gefühl: Im Notfall kann man in Bad Waldsee Hilfe erlangen.
Wenn dieses Sicherheitsnetz zerrissen wird, dann wächst der Druck auf die ohnehin schon heillos überlastete Notaufnahme in Ravensburg noch weiter. Gewiss, die gesundheitsökonomischen Weichensteller haben in Aussicht gestellt, dass dort nachgebessert werden soll. Doch es wird ein Flaschenhals bleiben, ein Engpass.
Das medizinische Personal in der Ravensburger Notaufnahme leistet Enormes. An der Kompetenz und am Einsatz der an dieser Front Kämpfenden gibt es nichts herumzudeuteln. Das ist aller Ehren wert. Der Fehler ist ein systemischer. Und der wird durch die Flucht aus der Fläche noch verschärft. Wenn es abwiegelnd heißt, für Bad Waldsee bleibe „eine Notfallversorgung durch den Rettungsdienst“ erhalten, wie die „Schwäbische Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 11. Mai mit Bezug auf das BAB-Gutachten formulierte, dann ist das schlicht zynisch.
Soll es künftig nur noch zwei Notaufnahmen im Kreis geben? Zwei für eine Fläche, die dreimal so groß ist wie der Bodensee? Von den Rändern des großen Flächenlandkreises Ravensburg in zwölf oder 15 Minuten zur Notaufnahme im EK oder gegebenenfalls in Wangen? Das ist eine Illusion.
Bad Waldseer, kämpft für eine 24-Stunden-Notaufnahme! Der Norden des Landkreises braucht eine eigene Anlaufstation. Lasst Euch nicht mit vagen Versprechungen für die Zeit nach der Schließung abspeisen! Die örtliche Notfallversorgung muss vor einer etwaigen Schließung des Krankenhauses geregelt sein. Das muss man zur Bedingung machen.
Der alte Arzt und Björn Borgs Sieg
Es war in den 1990ern. Der alte Arzt hatte Kuba bereist, lange bevor es hip war. Dr. R. aus Leutkirch wusste Aufschlussreiches aus dem abgeschotteten Reiche Fidel Castros zu berichten. Die Apotheken seien mager ausgestattet, ganz anders als in der boomenden BRD jener Jahre. Aber die Basismedikamente seien vorhanden. Wie überhaupt im sozialistischen Inselstaat die medizinische Grundversorgung in ausreichendem Maße gegeben sei. Flächendeckend gebe es kleine Krankenhäuser und auch auf dem flachen Land könne man ohne Mühe einen Arzt aufsuchen.
Das hatte sich auch in den statistischen Daten zur Volksgesundheit niedergeschlagen. Kuba hatte in den 1990er-Jahren (wie heute auch) eine deutlich höhere Lebenserwartung als die anderen Staaten in Mittelamerika.
Im Königreich Württemberg hatte jedes der drei im Verbreitungsgebiet der Bildschirmzeitung damals vorhandenen Oberämter – Wangen, Leutkirch, Waldsee – ein eigenes Krankenhaus. Das heutige Bad Waldseer Krankenhaus wurde 1907 gebaut. Daneben gab es auch noch Krankenhäuser in Aulendorf, Wurzach und Isny. „Schwierige Fälle“ wurden in der Universitätsklinik Tübingen behandelt.
Und heute?
Im wohlhabenden Deutschland des Jahres 2022 ist eine flächendeckende Grundversorgung anscheinend nicht mehr organisierbar. Leutkirch wurde 2013, Isny bald darauf geschlossen. Jetzt steht Bad Waldsee zur Disposition.
Das Wimbledon-Finale 1979 ist dem Schreiber dieser Zeilen unvergessen. Es war am 7. Juli, einem Samstagnachmittag. Roscoe Tanner, der Außenseiter, hatte Björn Borg, den Titelverteidiger, am Rande einer Niederlage. Doch gesehen hat der Schreiber dieses Kommentars nahezu nichts vom Tenniskrimi. Der Nachbar kam mit blutender Hand herübergestürzt: „Kasch me ins Krankahaus fahra? I hon me neigsäget.“ Die elf Kilometer nach Leutkirch waren rasch zurückgelegt und der Fahrer verbrachte seinen Wimbledon-Nachmittag im Wartezimmer.
Auch eine Nacht im März 1988 hat sich in des Schreibers Gedächtnis eingebrannt. Bei der schwangeren Gattin platzte die Fruchtblase und man fuhr ins nahe Bad Waldsee. Kurz nach Mitternacht klingelten die werdenden Eltern am Krankenhaus.
Und heute?
Heute gibt es im EK in Ravensburg eine völlig überlastete Notaufnahme. Und ständig Blaulicht auf der Straße. Und Sturzgeburten im Auto.
Jeder Landkreis doktert an seiner Zentralklinik herum. Oft werden sie zu Hightech-Häusern allerhöchsten Niveaus aufgerüstet.
Solche Häuser braucht es zweifelsohne.
Aber nicht in jedem der 35 Landkreise in Baden-Württemberg. Ein Top-Haus pro Region – das wären zwölf – das reicht. Und daneben flächendeckend Häuser der Grundversorgung. Wie in Kuba.
Was im ärmlichen Kuba der 1990er-Jahre möglich war und dort auch heute noch so praktiziert wird, muss im reichen Deutschland doch auch machbar sein.
Gerhard Reischmann
Die Bildschirmzeitung ist in drei Kommentaren für den Erhalt des Bad Waldseer Krankenhauses eingetreten. Dr. Konstantin Eisele, der altruistische Mann aus Reute, hat bei der Bürgerinformation am 12. Mai in Reute ein prophetisches Wort gesagt: „In zehn Jahren wird man es bedauern, dass es das Krankenhaus Bad Waldsee nicht mehr gibt.“ Dieses Wort aufgreifend, haben wir im vorstehenden Text das in den drei Kommentaren (veröffentlicht am 8.4., 12.5. und am 13.5.) Gesagte zusammengefasst und einen Appell „Bitte tut’s nicht!“ vorangestellt.