Bad Waldsee - Bei einer sehr privaten Runde feierten Susanne und Rudi Spieß mit ihren beiden treuen Seelen Pia Sproll, Service und Rudi Kohler, Küche, sowie Dieter Holdschuer von der Brauerei Max Leibinger ihre 35 erfolg- und ereignisreichen Jahre in der Gaststätte zur Versteigerungshalle.
Wissen Sie noch, was vor 35 Jahren alles passierte? Den Russen flog ihr Kernkraftwerk Tschernobyl um die Ohren. Die Amerikaner sahen voll Entsetzen zu, wie ihr Raumshuttle explodierte und alle Astronauten ums Leben kamen. Und in Bad Waldsee gab es einschneidende Veränderungen, die das Stadtbild nachhaltig prägten. Im Zuge der Innenstadt-Umfahrung mit der Bleichestraße wurde die alte Viehversteigerungshalle mitsamt den Stallungen abgerissen und eine völlig neue Viehversteigerungshalle „auf der grünen Wiese“ an der Straße nach Hopfenweiler gebaut.
„Damals gab es hier ja nichts“ erzählt Rudi Spieß. „nur den Golfplatz und daneben noch die Gebäude der ehemaligen fürstlichen Domäne Hopfenweiler.“
Er war noch nicht ganz fertig mit seinem Meisterkurs, als die Verpachtung der Gaststätte in der neuen Viehversteigerungshalle ausgeschrieben wurde. Deshalb stieg zunächst sein Vater, der Rudi Spieß vom Paradies an der Aulendorfer Straße, in den Pachtvertrag ein und erst ein paar Monate später, als sich Rudi Spieß Junior mit seinem Meistertitel schmücken durfte, ging die Pacht auf den jetzigen Chef über.
Ja, der Rudi Spieß und seine Frau Susanne haben eine Menge erlebt und können viel erzählen „Früher, da war das noch ganz anders mit den Versteigerungen. Das ging über zwei Tage. Am ersten Tag erfolgte die Körung. Da werden die Rinder zur Zucht ausgewählt. Und am zweiten Tag dann die Versteigerung der Rinder. Das war ein Ereignis für die ganze Familie. Da kamen die Bauern aus nah und fern mit Kind und Kegel. Da ging es nicht nur um das Vieh, auch manche Ehe wurde hier angebahnt. Und getrunken wurde auch. Es war keine Seltenheit, dass einer mit 10 Halbe vom Tisch aufstand und seinen Nachhauseweg suchte. Mancher hat auch Hänger und Vieh vergessen. Aber es ist nie was passiert“.
„Am 26. August 1986 kochten wir das Eröffnungsessen. Die Töpfe und Pfannen für die Küche wurden grade noch rechtzeitig angeliefert. Kurz ausgewaschen und dann haben wir ein kalt/warmes Buffet für 500 Personen mit Tafelspitz zubereitet und in den Stallungen aufgebaut. Da waren vor der Eröffnung ja noch nie Rinder drin gestanden. Siegfried Giesser und Dieter Holdscheuer von der Leibinger Brauerei haben das Bier gezapft. Und dem Leibinger sind wir bis heute treu geblieben.“
In den Anfängen waren die Versteigerungstage die Hauptumsatzträger. Jeden Monat einmal, Donnerstag und Freitag, fanden die Auktionen statt. Im März und im September wurden noch Zwischenmärkte durchgeführt. Eine zeitlang versuchte man auch einen Schweinemarkt zu etablieren. Aber Oberschwaben ist kein Schweinegebiet. Und so wurde der Versuch wieder aufgegeben.
In den letzten 35 Jahren wandelte sich die Landwirtschaft stark. Viele Familienbetriebe gaben die Höfe auf. Die Einheiten wurden größer. 2001 fusionierten der Württembergische Braunviehzuchtverbandes und die Rinderunion Baden-Württemberg. Aus den zwei Tagen mit Körung und Versteigerung wurde ein Markttag. Jeden zweiten Mittwoch im Monat finden jetzt die Auktionen statt.
„Die Versteigerungen heute haben viel von ihrem alten Flair verloren. Die heutigen Bauern haben nicht mehr soviel Zeit mehr für die Geselligkeit. Alles muss schnell gehen.“
Und so wandelte sich im Laufe der Jahre auch die Ausrichtung der Gaststätte in der Versteigerungshalle. Umsatz, der bei den Auktionen zurückging, musste über das „ à la Carte“- Geschäft ausgeglichen werden.
Mit Qualität und Liebe zum Handwerk erkochte sich Rudi Spieß mit seiner Mannschaft einen guten Ruf weit über Bad Waldsee hinaus. „Aus dem Umkreis von 60, 70 km kommen jeden Sonntag Gäste und essen bei uns. Was sie schätzen ist, dass bei uns alles wirklich frisch und im Haus gemacht wird. Spätzle, Kartoffelsalat, alles selbst gemacht. Kein Convenience.“ Was, wenn man es aus dem englischen übersetzt, ja auch „Bequemlichkeit“ heißt. „In der Spargelsaison hört man mich bis in die Gaststube, wie ich die Hollandaise aufschlage“ schmunzelt Rudi Spieß. „Und Fitness Studio brauch ich auch nicht, die Muskeln werden beim Spätzle hobeln genug trainiert.“
Saisonale Küche, frische Ware aus der Region, einheimische Wildspezialitäten vom befreundeten Jäger, damit kann Rudi Spieß bei seinen Gästen punkten. Auch mit Familien- du Firmenfeiern ist man bei Rudi Spieß gut aufgehoben.
Nach und nach kommt er ins Erzählen. 25 Mark, das war der erste Tagesumsatz. „Das kann ja lustig werden“ dachte sich das Wirtsehepaar.
Die Räumlichkeiten und das Gelände sind auch prädestiniert für große Events. Zweimal schon war die Tour de Ländle mit 7000 Teilnehmern zu Gast. Amviehtheater, Zunftball, Openair, Golden Memories, Flohmärkte, Wahl der Braunviehkönigin, Opel- und VW-Treffs, Sportfreunde Stiller, die Liste der Veranstaltungen ist endlos.
Besonders stolz ist Rudi Spieß auf seine Küchenevents „Kochen mit Freunden“ . Da schwangen lokale und internationale Chefs den Kochlöffel in Hopfenweiler: Anton Lanz aus Stockenweiler, bekannt für seine Krebse; Walter Bauhofer, Bouley-Schüler, Fernsehkoch, und Buchautor; Alexandra Lang, Pâtissière des Jahres 2010; Manfred Lang, Sternekoch vom Casala in Meersburg; Ralf Hörger, Berater der Aktion Landzunge; Christian Freudental, bekannt aus der Regio-TV Küche; Peter Bentele, Koch des Jahres 2001.
„Wir sind mit der Maul- und Klauenseuche und dem Rinderwahn fertig geworden, wir werden auch die Corona-Krise meistern. Wir bleiben bei unserem Erfolgsrezept: Saisonal, regional mit bester handwerklicher Kochtradition.“
Auf unserem Bild von links nach rechts: Pia Sproll, seit 35 Jahren im Service, mit Urkunde und Goldmedaille, Dieter Holdschuer, mit Ehrung der Max Leibinger Brauerei, Susanne und Rudi Spieß, Rudi Kohler, mit Urkunde und Goldmedaille für 30 Jahre Zughörigkeit zur Küchenbrigade.
Text und Bild: Erwin Linder