Reute - Die Franziskanerinnen von Reute feiern am 2. Juli das 175-jährige Bestehen ihrer Ordensgemeinschaft. Aus den Anfängen mit fünf Frauen in Ehingen an der Donau ist eine Ordensgemeinschaft entstanden, die in der gesamten Diözese Rottenburg-Stuttgart und darüber hinaus in Indonesien und Brasilien wirkte und wirkt.
Im Jahr 1848 war es die erste Neugründung eines Ordens im Königreich Württemberg, die in den nachfolgenden Jahren schnell anwuchs. In ihrem Wirken waren die Schwestern aus Reute immer wieder Pionierinnen und packten dort an, wo niemand anderes anpacken wollte oder konnte – in der Hilfe für Kranke, Alte oder Pflegebedürftigen. Mit dem Klosterbergprojekt, dessen Baubeginn im September 2022 erfolgte, führen die Franziskanerinnen ihre Gemeinschaft und den Klosterberg in Reute in die Zukunft.
Festgottesdienst und Festakt
Ihr Ordensjubiläum feiern die Schwestern am 2. Juli mit einem Festgottesdienst um 10.30 Uhr in der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Reute.
Zum anschließenden Festakt haben sich neben Ministerin Nicole Razavi MdL für die Landesregierung von Baden-Württemberg auch Landrat Harald Sievers, Oberbürgermeister Matthias Henne (Bad Waldsee), der Oberbürgermeister der Gründungsstätte, Alexander Baumann aus Ehingen/Donau, Heike Engelhard MdB aus Ravensburg sowie Weihbischof Matthäus Karrer in Vertretung von Bischof Dr. Gebhard Fürst angekündigt.
Tag der Begegnung
Im Anschluss findet ein Tag der Begegnung statt, mit Führungen durch das Kloster und Informationen zum Klosterbergprojekt, Gartenführungen, Kirchenführungen zur Guten Beth, Kinderprogramm und einem Missionstag. Der Tag klingt um 16.30 mit einem liturgischen Abschluss im Festzelt aus.
175 Jahre alt und der Zukunft zugewandt
Sind Ordensschwestern ein Relikt aus früheren Zeiten? Schaut man einzig auf die rückläufigen Zahlen der Neueintritte, könnte man diesen Eindruck tatsächlich haben. Doch die Franziskanerinnen von Reute haben sich vorgenommen, diesem Trend ein mutiges Zukunftskonzept entgegenzusetzen. Und wenn in diesen Tagen die bisherige Region Indonesien zu einer selbstständigen Ordensgemeinschaft wird, dann zeugt auch dies von der Entschlossenheit und der Kraft der Gemeinschaft – Eigenschaften, welche die Schwestern seit der Ordensgründung stark prägen, die sich 2023 zum 175. Male jährt.
1848, im Jahr der Gründung, deutete noch wenig darauf hin, dass aus dem Anfang mit fünf Schwestern eine weltweit tätige Gemeinschaft werden würde. „Gott in der leidenden Menschheit dienen“ lautete die Mission, unter der sich 1848 fünf einfachen Frauen in Ehingen an der Donau zusammenschlossen, um, zunächst von ihren Elternhäusern aus, arme und verlassene Kranke zu pflegen. Sie überbrückten familiäre Notlagen, indem sie für erkrankte Mütter einsprangen und Haushalt und Kinder versorgten. Ein Sozialsystem wie in heutigen Zeiten gab es im bäuerlich geprägten Oberschwaben des 19. Jahrhunderts nämlich noch nicht. Die fünf Frauen lebten nach der Regel des klösterlichen Dritten Ordens des Heiligen Franziskus; der damalige Bischof von Rottenburg erlässt erste Statuten. Damit war die Gemeinschaft die erste Ordensneugründung in der damaligen Diözese Rottenburg nach der Säkularisierung. Das Engagement nahm Fahrt auf, der Bedarf an Krankendienst und Pflege war hoch und der Zuspruch für die Ordensschwestern groß: 1875, knapp 30 Jahre nach der Gründung, wirkten bereits 125 Professschwestern in 22 Niederlassungen. Sie kümmerten sich um Kranke, übernahmen die Kleinkinderschule und erteilten Handarbeitsunterricht. Es folgten die Eröffnung eines Krankenhauses in Ravensburg, einer Heil- und Pflegeanstalt in Heggbach sowie die Übernahme des Kneipp-Sanatoriums Jordanbad. Zu dieser Zeit hatten die Franziskanerinnen nach Stationen in Schwäbisch Hall und Biberach ihren Ordenssitz im alten Franziskanerinnenkloster auf dem Klosterberg in Reute gefunden, das sie in den kommenden Jahren stetig ausbauten und vergrößerten.
Krankendienst wird ausgedehnt und international
Das erste Haus für Kinder mit einer geistigen Behinderung bauen die Franziskanerinnen von Reute 1911 in Ingerkingen. Das Engagement wurde dort bis 1980 immer wieder ausgeweitet. Weitere Meilensteine waren die Eröffnung eines Kindergärtnerinnenseminars in Ulm 1918 und die Gründung einer land- und hauswirtschaftlichen Töchterschule in Ochsenhausen. Bildung und Ausbildung junger Frauen nahmen die Schwestern früh in die Hand!
1786 Schwestern in 276 Filialen
1940 erlebten die Franziskanerinnen von Reute mit 1786 Schwestern in 276 Filialen den Höchststand in der Geschichte. 1964 schließlich entsendete die Generaloberin Mutter M. Coletta die ersten fünf Schwestern nach Übersee: Das Ziel war die indonesische Insel Sumatra. Hier begannen sie, sich in der Krankenpflege, bei Entbindungen und der Aufnahme von Waisenkindern zu engagieren. Sie fanden einheimische Frauen, die sich ihnen anschlossen und ebenfalls dem Auftrag „Gott in der leidenden Menschheit zu dienen“ erfüllten. Heute leben 157 indonesische Schwestern im Orden, der am 17. Juni 2023 als „Kongregasi Suster Fransiskanes Sibolga OSF“ eigenständig wird.
Begegnung als erweiterter Dienst an den Menschen
In den Filialen außerhalb von Reute sind die Schwestern zunehmend als Gemeindereferentinnen und Seelsorgerinnen gefordert. Die ehemals schwesterngebundene Krankenpflege geht schrittweise in zivile Ausbildungsberufe über. Die Möglichkeit klösterliches Leben für Außenstehende zu erleben, gibt es direkt in Reute. Zusätzlich schaffen die Franziskanerinnen gemeinsam mit den Kapuzinerbrüdern ein ähnliches spirituelles Angebot in Stühlingen am Rande des Schwarzwaldes, auch dort gibt es bis 2022 die Gelegenheit, im Kloster mitzuleben.
1992 fliegen die ersten Schwestern in den Nordosten Brasiliens, wo bis heute eine vierköpfige Gemeinschaft aus zwei Brasilianerinnen, einer Indonesierin und einer Deutschen Schwester Kinder und Familien in schwierigen Verhältnissen begleitet. Parallel schreitet in Deutschland die Entwicklung des Gesundheitswesens mit großen Schritten voran und fordert neue Organisationsformen: 1997 gründen die Stadt Ravensburg und der Landkreis den Klinikverbund Oberschwabenklinik (OSK), acht Jahre später geben die Franziskanerinnen von Reute ihre Anteile am St. Elisabeth-Krankenhaus dort hinein und damit an die öffentliche Hand.
Die Elisabeth-Stiftung
Mit der Gründung der St. Elisabeth-Stiftung wurde zudem im Jahr 2000 die Grundlage für eine eigenständige Organisation für die Einrichtungen der Alten-, Behinderten- und Gesundheitshilfe geschaffen.
In den Jahren nach der Stiftungsgründung richteten die Franziskanerinnen von Reute den Blick auf die Zukunft der Gemeinschaft. 2016 initiieren sie einen Visions- und Zukunftsprozess, der 2020 in das Klosterbergprojekt mündet.
Das Projekt "Klosterberg"
Im September 2022 wurde der Baubeginn für die umfassende Sanierung und Neugestaltung des Klosterbergs in Reute gefeiert. Der Blick der Schwestern ist stets auf den nächsten Schritt gerichtet. Die Zuversicht gründet auf einem tiefen Glauben, ohne die manch „unmögliches Vorhaben“ erst gar nicht angegangen worden wäre. Neues zu wagen ist eine herausragende Eigenschaft der Gemeinschaft, die sich künftig deutlich auf die oberschwäbische Heimat fokussiert und auf dem Klosterberg Reute einen Ort schafft, an dem Menschen zusammenkommen können: einfach – offen – nah.
Text: Claus Mellinger, Bettina Eilers-Häußler
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