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Weingarten / Bad Waldsee - Paul Maucher aus Bad Waldsee-Neuurbach feierte beim diesjährigen Blutritt in Weingarten ein seltenes Jubiläum: Heuer ritt er zum sechzigsten Mal in der größten und bekanntesten Reiterprozession Deutschlands mit. Unser Reporter Erwin Linder hat ihn bei seinem Jubiläumsritt begleitet.

Im Quartier
Freitagmorgen um fünf Uhr. Draußen ist es noch dunkel. Die Bad Waldseer Blutreitergruppe im „Quartier“ in einem Gehöft in Niederbiegen. Es riecht heimelig nach Pferd und Heu. Rundherum sind die Pferde angebunden, die bei der Prozession die Reiter tragen. Die Atmosphäre ist ruhig, unaufgeregt. Die Pferde fressen noch an ihrem Heu. Die Blutreiter, im Arbeitsmantel über weißen Hemden und Krawatten, unterhalten sich in gedämpften Ton. Richten ihre Pferde her. Da wird noch geputzt und gestriegelt. Eine Paste gegen Mücken und Fliegen aufgetragen. Man kann ja nie wissen. Die Satteldecken werden aufgelegt; alle in einheitlichem Blau, mit einem doppelten gelben Rand versehen und mit einem Bad Waldseer Wappen.

Mitten drin Paul Maucher. Er reitet an diesem Freitag zum 60. Mal als Blutreiter in der Prozession. Seit 2002 führt er die Bad Waldseer Gruppe an. 17 Reiter aus Bad Waldsee, die bei der Prozession durch zwölf aus Molpertshaus verstärkt werden. Paul Maucher ist das Herz der Gruppe. In seiner freundlichen, unaufgeregten Art spricht er mit den einzelnen Reitern.

Die Pferde werden aufgesattelt. Das Zaumzeug angelegt, nochmals kontrolliert. Die Mähne von Paul Mauchers Pferd, einer besonders ansehnlichen großen Stute, wurde von der Tochter mit schönen , kleinen Zöpfchen versehen. Die Stute wird von der Tochter normalerweise bei Springreiter-Turnieren geritten. Jetzt ist es für das Pferd schon eine Umstellung, in der Prozession mitzugehen. Alles muss geübt und eintrainiert werden.

Mittlerweile ist auch Pfarrer Werner eingetroffen. Auch er bekommt ein Pferd aus Mauchers Stall.

Die Pferde sind gesattelt. Die Reiter tragen Frack und Zylinder. Ein paar Mädchen sind auch dabei, sie tragen Ministranten-Gewänder. Pfarrer Werner zieht sein Messgewand an. Legt sich seine Stola um. Paul Maucher rückt sie noch ein bisschen zurecht, damit sie gut sitzt.

Pferde und Reiter sind gerichtet. Paul Maucher hält noch eine kleine Ansprache an seine Reiter. Pfarrer Werner gratuliert Paul Maucher zum 60-jährigen Jubiläum und stimmt den Kanon „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen“ an, in den alle aus voller Kehle einstimmen.

Dann heißt es: aufs Pferd!

Wie alles begann
In den Fünfziger- und Anfang der Sechziger-Jahre im letzten Jahrhundert gab es auf jedem Hof noch Arbeitspferde. Sie wurden für alle schweren Zugarbeiten an Pflug und Egge, Karren und Kutsche eingesetzt.

So auch im elterlichen Hof von Paul Maucher senior. Zwei Pferde, Max und Gretel, waren zum Arbeiten auf dem Hof. In den Fünfziger- und Sechziger-Jahren war es üblich, dass die Kinder ihre Eltern bei der Arbeit unterstützten. So lernte Paul junior schon in seiner Schülerzeit den Umgang mit den Pferden und, unter strenger Anleitung seines Vaters, auch das Reiten.

Für das bäuerliche Brauchtum ist der Blutritt in Weingerten eines der bedeutendsten. Die Reliquie mit dem heiligen Blute Jesus Christie wurde im Jahr 1090 von Welf IV. dem Kloster in die Obhut gegeben.

Seit alters her ziehen die Bauern hoch zu Ross auf ihren herausgeputzten Arbeitspferden zur Prozession um Weingarten. Die Reliquie in ihrer kostbaren Monstranz segnet die Fluren und die Bauern bitten um gutes Wetter und eine reiche Ernte.

1958, mit sieben Jahren, nahm ihn Vater Paul seinen Filius zum ersten Mal mit zum Blutritt. Wie noch heute die Kinder ritt auch Paul Maucher jun. viele Jahre in seinem Messdiener-Gewand bei der Prozession mit. Mit 14 bekam er vom Großvater einen Zylinder und eine Frack und konnte fortan mit den „Großen“ mitreiten.

Der Unfall als Kind
In den frühen Jahren gab es keine Pferdeanhänger. Man fuhr mit dem „Landauer“, einer viersitzigen Kutsche, vor die zwei Pferde gespannt waren, zur Prozession. 1960, auf der Heimfahrt nach Waldsee, ging die Begegnung zwischen Fortschritt und Tradition nicht gut aus. Am Weingartner Bahnhof schrillte die Dampfpfeife einer Lokomotive. Die Pferde gingen durch. Der junge Paul landete im Straßengraben. Der Vater wurde von den Pferden mitgeschleift und schwer am Kopf verletzt. Paul junior musste zehn Tage im Weingartener Krankenhaus „Vierzehn Nothelfer“ das Bett hüten. Der Vater ging trotz dringenden ärztlichen Rates nicht ins Krankenhaus, denn er hatte ja zu Hause den Hof zu versorgen. Letztendlich haben alle den Unfall glimpflich überstanden und sowohl Vater als auch Sohn konnten in ihrer Blutreiter-Tradition weitermachen.

Wandel in der Landwirtschaft
In den Sechziger-Jahren verdrängten die Traktoren die Pferde aus der Landwirtschaft. Die Blutreitergruppe wurde immer kleiner. Auch bei Mauchers gab es ab 1962 keine Pferde mehr auf dem Hof. Johannes Scheerer hielt noch Pferde in seiner Baumschule. Mit diesen zog man dann einige Jahre zum Blutritt.

1977 holte Paul Maucher sein erstes eigenes Fohlen auf den Hof. Drei Jahre brauchte es Zeit, bis es groß und ausgebildet genug war, um am Blutritt teilzunehmen. Heute hat Paul Maucher sieben Pferde zur Zucht auf dem Hof. Sie werden nicht mehr zur Arbeit, sondern im Turniersport eingesetzt. Seine beiden Töchter nehmen mit den elterlichen Pferden erfolgreich an Springreiten teil. Pfarrer Werner und verdiente Reiterkameraden bekommen von Paul Maucher die Pferde für den Blutritt gestellt.

Aufbruch zur Prozession
Paul Maucher als Gruppenführer der Bad Waldseer Blutreiter, Pfarrer Werner und die 16 anderen Blutreiter sitzen auf. Hoch zu Ross geht es aus dem Quartier hinaus bei bestem Wetter Pauls Mauchers 60. Blutritt entgegen.
Text und Fotos: Erwin Linder

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Im Quartier in Weingarten am frühen Morgen des Blutfreitags.

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Kurz vor dem Ritt noch eine letzte Portion Heu.

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Pfarrer Werner beim Satteln.

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So hat auch Paul Maucher angefangen.

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Weltlicher und geistlicher Führer der Bad Waldseer Blutreitergruppe: Pfarrer Stefan Werner und Gruppenführer Paul Maucher.

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Pfarrer Werner stimmt den Kanon zu  Ehren von Paul Maucher an.

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Nochmaliges Überprüfen: Birgit Maucher sorgt für den letzten Schliff.

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Dem Morgen entgegen. Ein schöner Blutfreitag liegt vor Paul Maucher.

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Paul Maucher an der Spitze der Bad Waldseer Gruppe auf dem Weg zu seinem 60. Blutritt.

 

 

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halloRV

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