Haisterkirch - Am Freitagabend (24.2.) hielt die Bürgerinitiative Lebenswerter Haistergau e. V. unter ihrer Vorsitzenden Andrea Hagenlocher ihre Jahreshauptversammlung ab. Dazu kamen knapp 100 Personen in die Turn- und Festhalle Haisterkirch. Publikumsmagnet war sicherlich der Vortrag von Friedrich-Thorsten Müller, Bad Wurzach, zum Thema „Denkfehler bei der Energiewende.“
Die Jahreshauptversammlung
Gut vorbereitet und straff organisiert zog Andrea Hagenlocher die Jahreshauptversammlung der BI in einer Viertelstunde durch, denn sie wusste, dass die Besucher gespannt auf den Vortrag warteten.
Begrüßt wurden eigens Rosa Eisele, die Ortsvorsteherin, sowie etliche Stadt- und Ortschaftsräte von Bad Waldsee und befreundete und verbundene BIs und Nuturschutzvereinigungen. Andrea Hagenlocher stellte die Beschlussfähigkeit der Versammlung fest und leitete zum Rechenschaftsbericht über. Kurz und knapp gab sie einen Überblick über die geleistete Arbeit, die eine große Anzahl von Terminen umfasste.
Zum Rechenschaftsbericht des Vorstandes gab es keine Fragen, so dass Heinrich Henne den Kassenbericht vorlegen konnte. Die Finanzen der BI sind solide. Die Kassenprüfer bescheinigten eine sorgfältige und übersichtliche Kassenführung und empfahlen den Anwesenden die Entlastung des Vorstandes, die bei zwei Enthaltungen (der Betroffenen) erfolgte. Heinrich Henne stellte sich als Kassier nicht mehr zur Verfügung und wurde von Andrea Hagenlocher mit lobenden Worten und zwei Gläsern selbstgemachter Marmelade zum Abschied bedacht.
Dann schritt man zügig zu den Neuwahlen. Andrea Hagenlocher als 1. Vorsitzende, Franz Scheifele als 2. Vorsitzender und Petra Kraus als 3. Vorsitzende sowie die neue Kassiererin Birgit Merk wurden einstimmig gewählt und nahmen ihre Wahl an.
Genauso zügig wurden die Beisitzer en bloc von der Versammlung gewählt und auch zwei neue Kassenprüfer konnten gefunden werden: Thomas Angele und Gerlinde Steffen. Bei den Wahlen und Entlastungen waltete Armin Kohler seines Amtes als Sitzungsleiter. Die Namen aller Gewählten sind bei der Bildunterschrift oben genannt.
Mit den vorgenannten Regularien war der satzungsgemäßen Pflicht der Hauptversammlung Genüge getan und Friedrich Thorsten Müller konnte mit seinem Vortrag beginnen.
Der Vortrag
„Die Denkfehler der Energiewende – Wie wir unsere Landschaften verlieren, ohne das Weltklima zu retten“ – so lautete der Titel seines Vortrages.
Die zentrale Aussage Müllers lautet: Nur wenn das angestrebte Ziel der Dekarbonisierung unseres Landes mittels Windrädern und Freiflächen-PV-Anlagen auch erreicht werden kann, ist die Opferung unserer Landschaft „ein kleineres Übel“ und zu rechtfertigen. Und nur wenn die ganze Welt ebenfalls erfolgreich CO2 reduziert, wird das Opfer einen Sinn gehabt haben!
In seinem Vortrag ging Müller sehr detailreich auf die Planungen der Politik, auf den geplanten Zubau an Wind- und PV-Anlagen ein. Nach seiner Berechnung kämen auf den Landkreis Ravensburg alleine über 90 WK-Anlagen zu, mit einer Bauhöhe von 260 m bis 300 m.
Mit einigen Fotomontagen stellte Müller bildlich dar, wie der Haistergau, der Altdorfer Wald, der Blick übers Ried bei Wurzach aussehen könnte.
Insgesamt zwölf Denkfehler zählte Müller in seinem Vortrag auf. Der entscheidende sei, dass Wind und Sonne keinen gleichmäßigen Strom liefern können. Industrie und private Verbraucher seien aber darauf angewiesen, beständig und zuverlässig Strom zu bekommen. Das bedeutet laut Müller wiederum, dass die Lücke zwischen den regenerativ erzeugten Strommengen und den tatsächlich benötigten mit Gaskraftwerken geschlossen werden müssten. Topografisch gebe es in Deutschland einfach von Natur aus viel zu wenig Potenzial für Pumpspeicherkraftwerke – im Unterschied zum Beispiel zu Norwegen.
Das bedeute wiederum, je mehr Grundlastkraftwerke, also Kohle und Atom, vom Netz genommen werden, umso höher ist die Versorgungslücke, die mit Gaskraftwerken oder später Wasserstoff-Kraftwerken geschlossen werden muss. Wasserstoff-Kraftwerke seien aber noch sehr lange keine realistische Option.
Deutschland habe heute schon die höchsten Strompreise in der Welt. Und die auf Wind und Sonne setzende Energiewende werde die Preise noch weiter nach oben treiben. Unternehmen, wie zum Beispiel BASF wanderten in andere Länder ab, wo sie günstiger produzieren könnten. Derzeit investiere die BASF 10 Milliarden € in China.
Auch Atomenergie dürfe kein Tabu sein. Das Problem mit der Endlagerung sei ohnehin schon vorhanden. Und das strahlungsreiche Material passe in einen Würfel mit einer Kantenlänge von 30 Metern. Wenn da noch was dazu komme, wäre das kein grundsätzlich neues Problem.
Der Überschuss, den Windkraft- und PV-Anlagen erzeugen können, stehe oft dann nicht zur Verfügung, wenn man ihn gerade bräuchte, da es auf absehbare Zeit keine ausreichenden Speichermöglichkeiten gebe.
Die geplanten Energie-Einsparziele hält Müller ebenfalls für unrealistisch. Um alleine die Hausdämmung umsetzen zu können, kämen Kosten von 50.000 bis 100.000 € auf jeden Einwohner zu.
„Es droht De-Industrialisierung und Verarmung“
Wenn man die geplanten Maßnahmen der Regierung genau betrachte, erkenne man, dass sie nicht umsetzbar seien; sie führten zu einer De-Industrialisierung und Verarmung Deutschlands, warnte der Referent. Er fürchte, dass die propagierte Energiewende auf halbem Wege steckenbleibe.
Der detailreiche und mit mehr als 60 Folien ausgearbeitete Vortrag stellte die Geduld des Publikums auf eine harte Probe und so meldete sich zum Ende des Vortrages ein Zwischenrufer mit der Frage, was Herr Müller denn für Alternativen zu den regenerativen Energien habe.
Neun Punkte zählte Müller auf, die seiner Ansicht nach erfolgversprechend wären:
• „Energie sparen, Gebäude sanieren, europaweites Stromnetz ausbauen!
• Windräder dort, wo sie den doppelten und dreifachen Ertrag bringen (an de Küste, im Meer …)
• PV in Südeuropa sowie bei uns auf Dächern oder über Parkplätzen
• CO2-Abscheidung – für 88 bis 219 €/t CO2 lauteiner Studie der Harvard-Universität (USA). Bei 9 t CO2 pro Einwohner in Deutschlabd = 792 bis 1971 € pro Jahr)
• Wasserstoff statt Öl und Gas importieren – wenn dafür Erzeugerländer Öl und Gas im Boden lassen!
• Massiv Einfluss nehmen auch auf „Entwicklungsländer“ wie China oder Indien!
• Atomkraft positiv hinterfragen, Deutschland ist momentan neben Taiwan das einzige Land auf der Welt, dass noch aus der Atomkraft aussteigt. Deindustrialisierung droht!
• Eigenes Erdgas nutzen – statt für die Übergangszeit alte Kohlekraftwerke hochfahren
• „Wenn Energie nicht so schnell gespart werden kann, wie dies nötig wäre, dann verzichtet um Gottes Willen nicht auf jene Energie, die CO2-arm ist!“
Text: Erwin Linder
Kontroverse Diskussion nach dem Vortrag von Friedrich-Thorsten Müller
Der Vortrag von Friedrich-Thorsten Müller im Rahmen der Jahreshauptversammlung der Bürgerinitiative Lebenswerter Haistergau e. V. wurde kontrovers diskutiert. Die Reaktionen aus dem Publikum gingen von „Das war spitze“ bis zum Einwurf „Wo sind die Alternativen?“.
„Eine Stunde und 20 Minuten haben Sie referiert, wie es nicht geht, und fünf Minuten, wie es gehen könnte. Das ist mir zu wenig“, war eine Stimme aus dem Publikum zu vernehmen. Der diesbezüglich mehrfach angegriffene Referent erklärte im späteren Verlauf der kontroversen, aber stets sachlichen Diskussion: „Mein Anspruch ist es, die Probleme darzulegen, nicht Lösungen aufzuzeigen.“ Er sei ein besorgter Bürger, der vor Fehlentwicklungen warne, kein Politiker. Diese hochbezahlten Kräfte seien gefordert, Wege aus der Energiekrise aufzuzeigen. „Der Ball für die Lösungssuche ist im Feld der Politik.“
Eine Frau problematisierte Müllers Energiekosten-Szenario („die Kosten der Erneuerbaren sind so hoch, dass die Industrie abwandert und die Armut in Deutschland einzieht“) mit der Frage: „Haben Sie die Kosten der Klimakrise einkalkuliert?“ Es gebe durch die CO2-bedingte Erwärmung vermehrt Stürme und Überschwemmungen. Müller wiederum hatte keineswegs eine Lanze für die fossilen Energien gebrochen, sondern wiederholt die CO2-neutrale Atomkraft ins Spiel gebracht – und das Energiesparen; und er hat sich für die Erneuerbaren ausgesprochen „da, wo sie ertragreich sind“. Im Norden sei die Windkraft-Ernte um den Faktor 2,5 höher. Aber dann müsse man Kabel legen, wogegen sich vielerorts Widerstand rege, hieß es aus dem Publikum.
Kerndissens war die Frage: Reichen die Erneuerbaren, um in absehbarer Zeit die Klimaneutralität bei voller Versorgungssicherheit zu erreichen? „Ich vertraue einer Studie aus Freiburg. Bis 2045 schaffen wir das“, sagte eine Frau. Müller konterte, bei solchen Hochrechnungen seien Luftbuchungen mit Wasserstoff dabei, das seien „Absichtserklärungen, die noch lange nicht tragen“.
Müllers Plädieren für die Renaissance einer modernisierten Atomkraft wurde das Beispiel der französischen AKW entgegengehalten, die im vergangenen Sommer „weitgehend“, wie ein Redner sagte, wegen Kühlwassermangels stillgestanden seien.
"Nicht in der Nähe von Mooren!"
Dr. Carmen Pöhl, Mitglied sowohl in der BI Haistergau als auch bei den Bad Wurzacher Landschaftsschützern, warnte vor dem Austrocknen der hiesigen Moore durch das Errichten von Großwindanlagen. „Es ist auch der Bundesregierung bekannt, dass Windkraftanlagen eine lokale Erwärmung verursachen.“ Die Moore seien wichtige CO2-Speicher. In deren Nachbarschaft WKAs zu errichten, „das macht keinen Sinn“.
In die Kalkulation der Wind-Energie müsste man auch die ökologischen Folgekosten der Beschädigung des Öko-Systems Wald einkalkulieren, sagte Helmut Fimpel (Wolfegg) mit Blick auf die WKA-Planungen im Altdorfer Wald. „Was der Wald uns gibt, fehlt in jeder Windrad-Kalkulation.“ Er appellierte an ein kreatives Miteinander im Dorf, im ganzen Land, um Auswege aus der Energiefalle zu finden. Jede Energie habe auch Schattenseiten. „Wir brauchen Lösungen im sozialen Konsens. Wenn wir das nicht schaffen, geht Deutschland kaputt.“
Rosa Eisele stellte anhand der von Friedrich-Thorsten Müller gezeigten Folien einen Energieverbrauchsrückgang aufgrund der Pandemie fest. Man könne an diesen Verlaufskurven das – durch öffentliche Verbote realisierte – Sparpotenzial erkennen. Doch leider, so ihre Beobachtung, sei es mit dem freiwilligen Energiesparen nicht weit her.
Mikroplastik und Insektensterben seien ein Riesenthema in der Gesellschaft – „nur nicht bei Windrädern“. Diese unterschiedliche Problemwahrnehmung könne er nicht verstehen, sagte Reinhold Mall, der Vorsitzende des Vereins Landschaftsschützer Oberschwaben-Allgäu e. V.
Achim Schodlok, Ehrenvorsitzender des Landschaftsschützervereins, warnte unter Nennung namhafter Firmen vor einer sich verstärkenden Abwanderung der deutschen Industrie ins Ausland. Der teure Öko-Strom sei der Hauptgrund für die industrielle Landflucht.
Eine Frau stand zu vorgerückter Stunde auf und sagte, sie müsse nun heim. „Wenn die Windräder kommen, dann kann ich nicht mehr schlafen.“
Stadtrat Matthias Covic warf den Blick zurück auf die örtliche Windkraftdebatte des Jahres 2014. „Wir sind keinen Schritt weiter.“ Man drehe sich im Kreis.
Sehr betroffen zeigte sich eine Diskutantin, als der Referent ein Foto einer Kleinstadt in Thüringen zeigte, die von Windkraftanlagen umstellt ist. „Die stehen ja mitten im Dorf“, rief die Frau im Publikum aus. „Nein, da sind schon ein paar hundert Meter Abstand“, gab Friedrich Thorsten Müller zur Antwort. Reinhold Mall erläuterte, dass in Baden-Württemberg ein Abstand von 450 bis 700 Meter gelte, je nachdem, ob es sich um ein Einzelgehöft oder einen Weiler oder eine geschlossene Siedlung handle. (rei)
Anmerkung der DBSZ-Redaktion: Da die Diskutanten sich nicht vorgestellt hatten, konnten wir nur jene Redner namentlich nennen, die uns persönlich bekannt waren.
Korrektur: Der von uns in einer früheren Version genannte Siegfried Merk war bei der Versammlung gar nicht anwesend. Die ihm zugeordnete Äußerung stammt von Helmur Fimpel aus Wolfegg. Wir bitten die Verwechslung zu entschuldigen.
Friedrich-Thorsten Müller beim Vortrag in Haisterkirch. Foto: Erwin Linder