Bad Waldsee - Wenn einem an den kommenden Feiertagen der Gänsebraten doch zu schwer im Magen liegen sollte, dann bietet sich in Bad Waldsee immer eine Runde um den Stadtsee an. Wem dann auch noch der Sinn nach Abwechslung von der optischen Reizüberflutung durch Tannengrün und Christbaumkugeln steht, der sollte unbedingt Station im Haus am Stadtsee machen. Im Kunstraum / Kleine Galerie ist dort noch bis zum 1. Januar eine Auswahl von Fotoarbeiten von Wynrich Zlomke zu sehen. Sie entführen den Besucher in die entspannt-unterkühlte Welt des heutigen Ausstellungsbetriebs. Über die Eröffnung der Ausstellung Mitte November hat die Bildschirmzeitung bereits berichtet.
Zwischen den Bildern
Der 1970 geborene Ravensburger Wynrich Zlomke, den der Flyer zur Ausstellung als People- und Architekturfotografen vorstellt, arbeitet für die verschiedensten öffentlichen und privaten Auftraggeber. Unter anderem liefert er für einige Ausstellungshäuser Fotos für deren Öffentlichkeitsarbeit. In diesem Kontext entstanden auch die Fotografien, die nun unter dem sprechenden Titel „zwischenbildern“ präsentiert werden: Diese Arbeiten entstanden in den Ausstellungen spontan zwischen den eigentlichen Auftragsbildern und sie zeigen Menschen, also in der Regel Ausstellungsbesucher, zwischen den Kunstwerken. Man entdeckt Werke bekannter Künstler wie zum Beispiel Edvard Munch, Stephan Balkenhol oder auch Robert Schad. Aber deren Schöpfungen spielen hier nicht die Hauptrolle. Wynrich Zlomke stellt in seinen Fotografien vielmehr Bezüge her zwischen den Kunstwerken und ihren Betrachtern. Manchmal scheinen diese regelrecht in Dialog zu treten. Eine Werkliste verrät die Bildtitel. Sie sind – Zlomke lebte für einige Jahre auf Ibiza – in Spanisch gehalten und unterstreichen manchmal die beabsichtigte Bildaussage noch.
Begegnungen und Bezüge
Da begegnen sich etwa in „vigilando“ (Aufpassen) zwei Brillenträger im blauen Anzug. Ein älterer Ausstellungsbesucher geht achtlos an einem Gemälde aus den zwanziger Jahren vorbei, das einen sitzenden jungen Mann zeigt. Der scheint diesen zu fixieren, also tatsächlich auf ihn aufzupassen. In „secreto“ (Geheimnis) betrachten zwei junge Besucherinnen Munchs legendäres Skandalbild mit einem weiblichen Akt, den er provozierend „Madonna“ betitelte. Für Sinnlichkeit stehen bei Munch gerade auch die langen Haare, die seine Figur hier deutlich mit den beiden Frauen gemeinsam hat. In „al punto“ (auf den Punkt) ist der Bezug ein formaler. Die kontrastreichen Strukturen eines abstrakten Kunstobjekts an der Wand scheinen im Stoffmuster eines Rocks, den eine junge Besucherin trägt, regelrecht ein Echo zu finden. Oder auch umgekehrt.
Kunstwerke im Freien
In einigen wenigen der ausgestellten Arbeiten beschäftigt sich Wynrich Zlomke mit Kunstwerken im Freien. Er dokumentiert zum Beispiel eine spektakuläre Aktion von Christian Jankowski im Vorfeld seiner Ausstellung in der Tübinger Kunsthalle in diesem Sommer. Per Stocherkahn transportiert der Künstler die Kisten mit seinen Werken über den Neckar. „luna“ (Mond) zeigt ein Motiv aus Ottmar Hörls Ravensburger Projekt „Wölfe in der Stadt“ im Jahr 2017. Damals hatte der Bildhauer seine Wolfskulpturen am Hang zur Veitsburg aufgebaut. Dadurch, dass Zlomke seine Fotografie in Schwarzweiß abzieht, lädt er den Bildgegenstand bedrohlich auf. Man hat tatsächlich den Eindruck von gefährlichen Raubtieren, die bei Vollmond über der Stadt nach Beute Ausschau halten.
Außergewöhnliche Arbeiten zum Abschluss
Die Ausstellung endet mit einer Gruppe etwas außergewöhnlicher Arbeiten. Dabei handelt es sich wieder um Farbfotografien. Für diese hat der Fotograf längere Belichtungszeiten gewählt, wodurch Figuren und Gegenstände unscharf erscheinen. Dieser Verfremdungseffekt gibt den Motiven etwas sehr Reizvoll-Flüchtiges und führt ganz weg von der Wiedergabe konkreter Situationen.
Ob nun mit vollem Magen oder nicht, ob an den Feiertagen beziehungsweise schon davor oder erst danach, der Abstecher zum Haus am Stadtsee und der Besuch in der Ausstellung lohnt sich.
Text und Fotos: Herbert Eichhorn
Kunstraum / kleine galerie
im Haus am Stadtsee
Wurzacher Straße 53
täglich 10.00 bis 19.00 Uhr
al punto – auf den Punkt.
luna – der Mond-
secreto – Geheimnis.
siéntate und juntos – "Hinsetzen" und "Zusammen".
Ausstellungsplakat.