Bad Waldsee - Am 14. Oktober, knapp zwei Wochen nach der Großkundgebung „Notfallsprechstunde“, sprach "Die Bildschirmzeitung" (DBSZ) mit Thomas Bertele und Franz Daiber von der Bürgerinitiative Krankenhaus (BI). Die beiden BI-Vertreter warnen vehement vor einer Schließung des Bad Waldseer Krankenhauses. Wenn nicht vor der Funktionsunfähigkeit des Krankenhauses, der man sich mit großen Schritten nähere, eine taugliche Ersatzlösung gefunden werde, falle der Norden des Landkreises in Sachen Gesundheitsversorgung in ein „schwarzes Loch“. Mit Thomas Bertele und Franz Daiber sprach DBSZ-Redakteur Gerhard Reischmann.
DBSZ: Die BI hat – zusammen mit der Stadt – am 2. Oktober eine zweite Großkundgebung veranstaltet – nach der Demo vom April diesen Jahres. Unverändertes Ziel: Erhalt des Krankenhauses, zumindest Schaffung einer belastbaren Patientenversorgung im Norden des Landkreises. Waren Sie mit dem Besuch und dem Verlauf der Kundgebung zufrieden?
Bertele: Ja, wir sind sehr zufrieden. Es sind an die 800 Leute gekommen – obwohl das Wetter ja nicht sehr einladend war. Wir haben viel Zuspruch aus den Reihen der Teilnehmer erhalten. „Ihr habt uns aus der Seele gesprochen“, hieß es immer wieder.
DBSZ: Die BI fordert kategorisch, die in Gang gesetzte Verlegung der Endoprothetik nach Wangen sofort zu stoppen. Der Oberbürgermeister appellierte am 2. Oktober inständig an den Landrat und den Kreistag: Setzen Sie den Schließungsprozess aus, warten Sie zumindest drei Jahre. Hat die BI inzwischen eine Antwort von Landrat Sievers – er ist ja der Vorsitzende des OSK-Aufsichtsrates und Repräsentant des Landkreises, dem die OSK zu fast 100 Prozent gehört? Und hat Gesundheitsminister Lucha sich geäußert?
Daiber: Wir haben keinerlei Reaktion, weder vom Landrat noch von höherer Stelle. Wir haben das Gefühl, man drückt sich vor einer Antwort.
DBSZ: Sie, Herr Daiber, haben ja in der jüngsten Stadtratssitzung den Teilnehmern und Akteuren der Kundgebung gedankt. Weiß man von Reaktionen des Landrates, des Ministers gegenüber der Stadt? Man hört ja, dass die Stadt im Stillen fieberhaft an einer Lösung arbeitet.
Daiber: Ich kann bestätigen, dass die Stadt aktiv nach einer Lösung sucht. Man kann auch davon ausgehen, dass die Stadt im Kontakt mit dem Landrat steht. Von einer Reaktion Luchas gegenüber der Stadt weiß ich – Stand heute (14. Oktober; Anm. d. Red.) – nichts.
DBSZ: Wie empfinden Sie das Schweigen der Verantwortlichen Ihnen gegenüber, der Öffentlichkeit gegenüber?
Bertele: Das ist ein Schlag ins Gesicht. Insbesondere, weil mit dem Schließungsbeschluss gesagt worden ist, es gebe bruchlos als Ersatz ein Primärversorgungszentrum oder ein Medizinisches Versorgungszentrum. Stand heute: Es existiert gar nichts. Es ist keine Nachfolgeregelung erkennbar. Das ist ein Skandal. Das Schweigen des Landrates gegenüber den Menschen in diesem Teil seines Landkreises ist, ich sag es mal vorsichtig, inakzeptabel.
DBSZ: Der Einzugsbereich des Krankenhauses Bad Waldsee umfasst geschätzt 50.000 Menschen.
Daiber: Die Fahrzeit zum nächsten Krankenhaus erhöht sich für die Waldseer auf 20 bis 30 Minuten. Am härtesten trifft es die Wurzacher. Die sind am weitesten vom EK in Ravensburg weg. Bisher hatten sie eine Pkw-Fahrzeit von zehn bis 20 Minuten zum Waldseer Krankenhaus. Künftig müssen unsere Bad Wurzacher Nachbarn mit 30 bis 40 Minuten rechnen, bis sie aus eigener Kraft ein Krankenhaus erreichen. Das ist offensichtlich, das steht auch in einem Dokument der GKV, der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Bertele: Nach diesen Berechnungen der GKV gibt es 9765 Einwohner im Landkreis, die künftig mehr als 30 Pkw-Fahrzeitminuten benötigen, um ein Krankenhaus der Grundversorgung zu erreichen.
DBSZ: Was fordert das Gesetz?
Daiber: Ich meine, 13 Minuten, bis der Notarzt da ist.
Bertele: Die vorhin genannten Zeiten beziehen sich auf das eigene Hinfahren. Und da wird es dramatische Verschlechterungen geben. Und ob die 13 Minuten für das Kommen des Notarztes realistisch sind, da haben wir gehörige Zweifel.
DBSZ: Man hört auch von Personalproblemen bei jenen Hilfsorganisationen, die die Rettungsdienste betreiben.
Daiber: Wenn dem so sein sollte, würde das die Situation noch verschärfen. Ich sehe auch keinen der von Herrn Lucha angekündigten Rettungswagen, die einer Intensivstation gleichen sollen, und auch keinen zusätzlich Rettungshubschrauber, damit die gesetzlich vorgeschriebene Rettungszeit eingehalten wird.
DBSZ: Wie ist der Stand bei den Bemühungen um den Aufbau eines MVZ oder PVZ?
Daiber: Wir wissen nur, was vom Kreistag beschlossen wurde: Damals hieß es, dass ein MVZ „unverzüglich“ und „gleitend zur Schließung“ zu installieren ist. So steht es wörtlich im Beschluss. Der Kreistag muss sich doch an seinen eigenen Beschluss halten. Der damalige OSK-Geschäftsführer Michael Schuler hat am 23. Mai in Oberzell in der Kreistagssitzung klipp und klar erklärt: „Bad Waldsee wird im September 2023 geschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt muss das MVZ in Bad Waldsee in Betrieb gehen. Wir kümmern uns um die Trägerstruktur. Wir kümmern uns um die Ärzte.“
DBSZ: Wenn dies aber nicht zustandekommt ...
Daiber: ... fallen wir in ein schwarzes Loch
Bertele: Wir fallen jetzt schon in ein gewisses Loch. Denn man muss klar sehen, die Chirurgie ist Ende Oktober weg. Und dann wird es für die Innere sehr schwierig. Die Mitarbeiter verlassen jetzt schon nach und nach das Haus und suchen neue Stellen. Wir sind völlig überzeugt davon, dass die Innere Abteilung nicht bis September 2023 durchhalten wird.
DBSZ: Sie und Ihre Mitstreiter von der BI sind kämpferisch, aber auch stets gesprächsbereit.
Bertele: Wir appellieren an den Landrat: Setzen Sie den Beschluss aus. Es ist keine Schande, einen Fehler zu berichtigen! Wir meinen, das Konzept der Umstrukturierung funktioniert nicht. Es wäre eine herausragende Leistung zu sagen: Ja, es war ein Fehler. Wir haben es eingesehen: Die Weichen sind falsch gestellt. Wir kehren um.
DBSZ: Jeder Tag, der verstreicht ...
Daiber: ... ist ein verlorener Tag. Es werden Fakten geschaffen. Es wäre ein Zeichen von Größe, den Prozess jetzt noch zu stoppen. Es wäre verantwortungsvoll zu sagen: Wir müssen noch einmal über die Sache reden. Wir müssen Zeit gewinnen, um Alternativen zu finden. Und zwar gemeinsam.
Bertele: Ja, wir müssen miteinander eine Lösung finden.
DBSZ: Sie sind beide gebürtige Waldseer. Aber Ihr Engagement ist weit mehr als Lokalpatriotismus. Es geht um die ganze Raumschaft weit über Bad Waldsee hinaus.
Daiber: Ja, mir hat die Hebamme Frau Adam auf die Welt geholfen. Und, man glaubt es kaum, sie war auch noch bei meinem Sohn im Dienst. Stimmt, unser Bemühen ist gewiss keine Nabelschau.
Bertele: Ich kann leider meine Eltern nicht mehr befragen. Dass die Geburtshilfe schon vor etwa zwei Jahrzehnten von Bad Waldsee wegkam, war ein erster Vorbote der Zentralisierung. Und jetzt werden die letzten Schritte weg von der patientennahen Versorgung gemacht.
DBSZ: Wie soll es weitergehen? OB Henne hat ja bei der Kundgebung sofortige Bemühungen um die Schaffung eines MVZ oder PVZ, also eines Medizinischen Versorgungszentrums oder eines Primärversorgungszentrums, angekündigt.
Daiber: In der Tat, die Stadt beschäftigt sich ausführlich mit der möglichen Einrichtung eines PVZ. Grundlage dafür ist aber die Gründung eines MVZ durch die OSK.
DBSZ: In Leutkirch hat es mit einem MVZ ja nicht geklappt.
Daiber: Ja, da hatte man Hoffnungen geweckt und wurde bitter enttäuscht. Das ehemalige Krankenhaus in Leutkirch ist nun halt ein Ärztehaus „nine to five“.
Bertele: Mit Öffnungszeiten wie das Landratsamt.
DBSZ: Ihr Schlusswort?
Bertele: Stoppt das Abwracken des Waldseer Krankenhauses. Es ist unverantwortlich, ohne funktionierende Ersatzlösung ein Haus der nahen Grundversorgung zuzumachen. Kein Mieter kündigt seine Wohnung, ehe er eine neue hat.
Daiber: Keine Schließung ohne funktionierendes MVZ!