Bad Waldsee - An Bad Waldsees schönem Rathaus prangt eine Steintafel mit dem Waldseer Wappen, der Jahreszahl 1426 und der Inschrift: "Ulrich Kuderer, Bürgermeister und Baumeister dahier, erbaute dieses Haus." Wie sah es rund um dieses kleine Städtchen damals aus? War es umgeben von dunklen Wäldern oder von weiten Ackerflächen? Die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) fördert ein Projekt zur Landnutzung und Landschaftsentwicklung in Waldsee und Umgebung in Mittelalter und früher Neuzeit. Claudia Lemmes, die ihre Doktorarbeit über diese Thema schreibt, präsentierte am Samstag, 1.Oktober, im Kornhaus auf Einladung des Museumsvereins Ergebnisse ihrer Forschung.
Nimmt man die Zeitspanne vom Mittelalter bis zur Neuzeit, also etwa vom 6. bis zum 15. Jahrhundert als Maßstab, ist es vom 7. Juni 2021, als Bohrungen im Stadtsee vorgenommen wurden, bis zur Präsentation erster Ergebnisse am 1. 10. 2022 nicht lange.
Eine Warve – so etwas wie ein Jahresring
Um zu verstehen, welche Arbeit in der Forschung geleistet wird, muss man sich die Maßstäbe vor Augen halten. Die Bohrungen förderten Bohrkerne von mehreren Metern Länge zutage. In den Kernen sind die sogenannten Warven zu erkennen. Die Warven kann man am besten mit den Jahresringen in einem Baum vergleichen. Zählt man die Ringe, weiß man, wie alt der Baum ist. Im Untergrund des Stadtsees sind die Warven besonders gut zu erkennen, so dass der Stadtsee für die Forschung geradezu prädestiniert ist. So eine Warve ist ca 5 Millimeter dick. Auf einem halben Zentimeter bildet sich ab, was sich im Laufe eines Jahres so angesammelt hat.
Die Spezialisten in den Laboren haben es vor allem auf Pollen abgesehen. Kommen mehr Pollen von Bäumen oder von Ackerpflanzen? Daraus kann man Rückschlüsse ziehen auf die Anteile von Wald und Ackerland. Und auch auf die Bevölkerungsdichte: Hoher Waldanteil gleich dünne Besiedelung.
Um 1300 kann eine Zunahme des Ackerlandes festgestellt werde. Das korreliert auch mit den Erkenntnissen aus der Klimaforschung. Es war eine Periode wärmeren Klimas, die Ackerfrüchte gediehen gut. Das Land konnte mehr Menschen ernähren. Wälder wurden gerodet, die Ackerfläche nahm zu. Dementsprechend lassen sich für diese Zeiten auch mehr Pollen von Ackerfrüchten in den Warven nachweisen.
Vulkanausbruch im Jahre 1257
Zwischen 1400 und 1500 wurde es wieder kälter. In Zusammenhang wird das gebracht mit den periodisch auftretenden Sonnenflecken und vor allem mit dem Ausbruch des Vulkans Samalas im Jahr 1257. Dieser Ausbruch zählt zu den heftigsten Vulkanexplosionen der letzten 7000 Jahre und hatte aufgrund seiner Aschewolke weitrechende Auswirkungen auf das Weltklima.
Am Polleneintrag lässt sich feststellen, dass der Anteil des Waldes wieder zu und der Anteil der Ackerfläche wieder abnahm.
Sicher hatte auch die Pest, die von 1346 bis 1353 in Europa etwa 25 Millionen Menschen das Leben kostete, Einfluss auf den Rückgang des Ackerlandes, denn es waren einfach weniger Menschen zu Bodenbearbeitung übrig.
Das DFG-Projekt umfasst nicht nur die Erforschung der Sedimente. Carola Lemmes sichtete in vielen Archiven schriftliche Zeugnisse über die Landnutzung, unter anderem auch im Stadtarchiv Bad Waldsee. Dabei förderte sie Erstaunliches zutage. So entdeckte sie in einem Urbar (Verzeichnis über Besitzrechte einer Grundherrschaft und zu erbringende Leistungen ihrer Grunduntertanen) des Augustinerchorherrenstiftes von 1534 die Abrechnung über zwei Schöffel Roggen, die abgeändert wurde in vier Schöffel Vesen (Dinkel).
Aufschlussreiche Schrannenzettel
Aus Ratsprotokollen von 1624 und 1630 lässt sich eine Preissteigerung bei den Getreidepreisen ablesen. Sogenannte Schrannenzettel aus dem September 1773 geben Auskunft über die wöchentliche Preisentwicklung wichtiger Getreide.
Am 18. November
Mit ihrer Zusammenfassung machte Claudia Lemmes neugierig auf einen Abendvortrag am 18.11. um 20.00 Uhr im Sitzungssaal unseres Rathauses.
Text / Fotos: Erwin Linder
Hielt aufschlussreichen Vortrag im Kornhaus über das Wirtschaften in alter Zeit: Doktorandin Claudia Lemmes.
Die im Jahre 2021 im Stadtsee entnommenen Bohrkerne lassen über ihre Warvenstruktur Rückschlüsse auf die seinerzeitige Landnutzung zu.
Die Landnutzung in Deutschland im Laufe der Zeit. Sie hängt von vielen Faktoren ab: so vom Klima, von der Bevölkerungszahl, vom technischen Fortschritt.
Waldseer Schrannenzettel von 1773.