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Der Chatbot ChatGPT führt seit einigen Monaten das Potential von künstlicher Intelligenz (KI) einem breiten Publikum vor. Die Texte, die er in wenigen Sekunden ausspuckt, sind oft verblüffend gut formuliert. Was bedeutet das für Schule und Studium? Markiert das massentaugliche Programm eine Zeitenwende?

Das Unternehmen OpenAI hat das Projekt ChatGPT im Internet für jeden frei zugänglich gemacht. Anders als eine klassische Suchmaschine wie Google reagiert es auf Fragen nicht mit einem Link zu einem journalistischen Artikel. Es antwortet individuell, so als würde ein Mensch in die Tasten greifen. Man kann Sachtexte, Gedichte, Witze oder Kochrezepte in Auftrag geben, gerne auch romantische Briefe oder Schulaufgaben. Als Grundlage dienen dem Chatbot immer nur Datensätze, die in Textform im Internet archiviert sind, keine Audio- oder Videodaten.
ChatGPT ist ein Chatbot. Viele von uns haben so einen Chatbot wahrscheinlich schon einmal benutzt, denn Unternehmen nutzen Chatbots in der Kommunikation mit Kunden. Wer bei seiner Krankenkasse auf die Homepage geht, um etwas zu klären, oder beim Online-Shop eine Reklamation in Auftrag geben will, der kommt kaum an Chatbots vorbei. Es handelt sich dabei um eine technische Anwendung, die KI verwendet, um mit Menschen in den Dialog zu treten. Für die Kommunikation gibt es eine Funktion zur Texteingabe und eine zur Textausgabe. Es entsteht ein Chat, also ein Frage-Antwort-Fenster. Grundsätzlich greifen Chatbots auf Datenbanken zu, die ihnen ihre Informationen liefern. Sie lernen aber auch selbst dazu, indem sie in den Fragen und Antworten Muster erkennen und mit der Zeit komplexere Dialoge führen können. Das macht sie im Marketing und der Kundenkommunikation besonders wichtig.
ChatGPT ist kein gewöhnlicher Chatbot, der eine simple Kundenkommunikation übernimmt. Das GPT steht für „Generative Pre-trained Transformer“ und damit wird bereits der Unterschied zu „herkömmlichen“ Chatbots klar: ChatGPT ist mit einer riesigen Menge an Daten trainiert worden. Wikipedia beschreibt das so: „Die Trainingsdaten von ChatGPT bestehen aus einer großen Menge von Text, der von Menschen erstellt wurde und verwendet wird, um das Modell zu trainieren. Dieser Text kann aus verschiedenen Quellen stammen, beispielsweise aus Online-Foren, sozialen Medien, Zeitungsartikeln, Büchern und gesprochener Sprache. Durch das Training des Modells mit diesen Daten lernt es, menschliche Antworten möglichst genau nachzuahmen.“
Die Software basiert also auf maschinellem Lernen, dem Deep Learning. Das Ziel: Es sollen künstliche neuronale Netze entstehen, die dem menschlichen Nervensystem ähneln. Durch das Training mit dem großen Datensatz aus dem Internet hat ChatGPT erstens gelernt, wie Sprache funktioniert, und zweitens wie sie Dialoge führen kann.
Hinter der künstlichen Intelligenz ChatGPT steht das Unternehmen OpenAI um Gründer Sam Altman. Die Mission von Altman und dem US-amerikanischen Unternehmen ist es nach eigener Aussage, „sicherzustellen, dass künstliche allgemeine Intelligenz der gesamten Menschheit zugutekommt“.

Ein Selbstversuch
Gemeinsam mit dem Milliardär Elon Musk gründete Altman im Jahr 2015 OpenAI als gemeinnütziges Forschungsinstitut, um künstliche Intelligenz zu untersuchen und neue Modelle zu entwickeln, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten. Vier Jahre später endete das Projekt der Gemeinnützigkeit, um als Unternehmen Gewinne zu erzielen.
Ein Selbstversuch. Mein Auftrag für die BLIX-Ausgabe April ist ein Beitrag zum Thema Bildung. Ich gehe also auf zu chat.openai.com, registriere mich mit Namen, Mobiltelefonnummer und Mailadresse. Umgehend ploppt auf dem Handy auf „Dein OpenAL API Sicherheitscode lautet: xxxxxx. Nun kann ich (auf englisch) meine Auftrag eintippen: Kann ChatGPT Schülern helfen, ihre Lehrer zu überlisten? Ich gebe den gewünschten Umfang an und erhalte innerhalb weniger Sekunden den Text. Google übersetzt ihn mir in 0,1 Sekunden. Und zwar so:
„Als KI-Sprachmodell besteht meine Hauptaufgabe darin, genaue und hilfreiche Informationen bereitzustellen, um das Lernen und die Problemlösung zu unterstützen. Ich bin darauf programmiert, den Schülern zu helfen, indem ich ihnen relevante und genaue Informationen zur Verfügung stelle, ihre Fragen beantworte und ihnen Anleitungen biete, damit sie die Konzepte besser verstehen. Ich kann jedoch kein Verhalten fördern oder erleichtern, das gegen die akademische Integrität oder Ethik verstößt, wie z. B. Betrug. Betrug ist eine unehrliche und unethische Praxis, die den Lernprozess und den Wert der Bildung untergräbt. Es ist nicht nur ein Verstoß gegen akademische Standards, sondern beraubt Studenten auch der Möglichkeit, die notwendigen Fähigkeiten zu erlernen und zu entwickeln, um in ihrer zukünftigen Karriere erfolgreich zu sein. Stattdessen ermutige ich die Schüler, hart zu arbeiten, Hilfe von ihren Lehrern und Mentoren zu suchen und Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen. Auf diese Weise können sie die Fähigkeiten und Kenntnisse entwickeln, die sie benötigen, um ihre Ziele zu erreichen und in ihren akademischen und beruflichen Aktivitäten erfolgreich zu sein.“
Na ja, das ist ja schon sehr ehrenhaft … Versuchen wir’s noch mit einem persönlichen Brief. Ich bitte ChatGPT, meinem Freund per Brief mitzuteilen, dass ich ihn verlassen möchte. Der umgehend gelieferte Text lautet: „Lieber [Name des Freundes], während ich mich hinsetze, um diesen Brief zu schreiben, ist mein Herz schwer von dem Wissen, dass unsere gemeinsame Zeit zu Ende gegangen ist. Auch wenn es mir das Herz bricht, mich zu verabschieden, möchte ich, dass du weißt, dass die Erinnerungen, die wir geteilt haben, immer einen besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen werden. Von dem Moment an, als ich dich traf, wusste ich, dass du etwas Besonderes an dir hast. Dein gütiges Herz, dein ansteckendes Lachen und deine unerschütterliche Liebe zu mir waren eine Quelle des Trostes und der Freude in meinem Leben. Du warst mein Fels, mein Vertrauter und mein Komplize, und ich bin so dankbar für jeden Moment, den wir zusammen verbracht haben. (…) Ich hoffe, dass sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen werden. Aber bis dahin wünsche ich dir nichts als Liebe, Glück und Erfolg bei allem, was du tust. Mit all meiner Liebe, [Ihren Namen].“

Was für ein schwülstiger Text!
O je, so ein schwülstiger Text wäre mir selbst nie eingefallen, aber ich bat ja auch um romantische Worte … Ich hätte den Auftrag natürlich auch problemlos erweitern können. Etwa: „Schreibe länger!“ oder „Schreibe lustiger!“.
Werden nun viele Journalisten, Kolumnisten und Übersetzer ihre Jobs verlieren, wie ein befreundeter Chemiker vermutet? „Aus Sicht eines Wissenschaftlers bemängele ich, dass auch brillante Abhandlungen der KI über ein Thema den Makel haben, dass keine Quellenangaben gemacht werden – die sind ein Qualitätsmerkmal einer wissenschaftlichen Arbeit. Aber das wird sicher bald von OpenAI nachgebessert werden.“ Klar ist, dass Schulen und andere Bildungsinstitutionen neue Strategien zur Leistungsbeurteilung von Schülern und Studenten entwickeln müssen. Die Uni Tübingen etwa hat ihren Studierenden kürzlich verboten, OpenAI zu nutzen. In den USA hat OpenAI ein medizinisches und ein juristisches Examen bestanden. Ein Versuch in Bayern ergab hingegen: KI wäre durchs bayerische Abitur gefallen.
BLIX erkundigte sich beim Schulleiter des Biberacher Pestalozzi-Gymnasiums. Peter Junginger unterrichtet Deutsch, Gemeinschaftskunde, Wirtschaft. Auf die Frage, wie die Schule mit den neuen Möglichkeiten der KI umgeht, kommt ein spontanes: „Entspannt“. Er erklärt, dass man in der Schule ja vor allem Klassenarbeiten und Klausuren vor Ort habe. Wer früher seine Klett-Hilfe für den Deutschaufsatz auf der Toilette versteckt habe, könne dort nun vielleicht sein Handy mit ChatGPT verbinden, aber das sei eher unrealistisch. Man könne die neue Technik vielmehr als Chance nutzen. Im Deutschunterricht ließen kürzlich Schülerinnen und Schüler zusammen mit dem Lehrer von ChatGPT einen Aufsatz erstellen. Sie analysierten und korrigierten den Text gemeinsam. Schließlich gestanden sie ihm bescheidene acht der 15 möglichen Punkte zu. Bei Seminarkursen, die es in der Oberstufe ja auch gibt, müsse man sich künftig möglicherweise eine andere Notengewichtung überlegen, gibt der Gymnasiallehrer zu bedenken. Da könne man ja die mündliche Note mehr gewichten. Bisher seien noch keine Verstöße entdeckt worden, aber wie bei anderen unlauteren Methoden werde der Wettlauf zwischen denen, die abschreiben, und denen, die aufdecken, schnell Fahrt aufnehmen. An Universitäten mit anderen Aufgabenformaten sei die neue Technik sicher ein größeres Problem als an der Schule.
Prof. Dr. Jens Winter, Prorektor für Lebenslanges Lernen und Internationalisierung von der Hochschule Biberach antwortet auf die Frage nach dem Umgang mit dem neuen Tool: „ChatGPT ist ein neues Sprachmodell, das auf künstlicher Intelligenz basiert und quasi perfekte Texte auf individuelle Fragen schreiben oder Computerprogrammcodes entwickeln kann. Das Programm ist noch nicht genügend präzise, die Sprache wirkt mitunter unpersönlich und wissenschaftliche Belege sind (noch) nicht möglich. Aber das wird mit der Zeit noch werden. Also wird diese KI Lehre und Studium verändern – ich sehe das gar nicht negativ! Natürlich können Studierende ihre Texte über das Tool generieren, anstatt selbst zu schreiben. Das ging in der Vergangenheit auch schon, wenn Kommilitoninnen die Texte für einen anderen geschrieben haben. Hier gab und gibt es aber einfache Möglichkeiten der Überprüfung – etwa durch zusätzliche mündliche Gespräche oder über die Begleitung in der Erstellung der Arbeit; auch eine Prozess-Dokumentation kann helfen. Eine interessante Entwicklung kann die KI für Dialoge sein: Studierende können dem System zum Beispiel Fragen stellen und sich so wie mit einem Lernpartner in Wissen und Methoden vertiefen beziehungsweise sich auf Vorlesungen oder Klausuren vorbereiten. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange die Studierenden den persönlichen Kontakt mit ihren Kommilitoninnen nicht vernachlässigen, denn den kann ChatGPT nicht ersetzen. Von ChatGPT können auch wir Lehrende profitieren und sie zum Beispiel als Inspirationsquelle für Vorlesungen nutzen, zur Simulation von schwierigen Wissensvermittlungen oder zur Vorstrukturierung von Texten.“
Aber nicht nur für SchülerInnen, StudentInnen sowie für JournalistInnen und viele weitere TextarbeiterInnen bietet das Programm eine verführerische Dienstleistung, auch Handwerker bedienen sich teilweise schon der KI, um schnell wohlklingende Anschreiben an ihre Kunden zu adressieren. Mitte März stellte Microsoft „365 Copilot“ vor. KI wird damit in die populären Anwendungen wie Excel, Outlook oder Teams integriert. Laut Microsoft erleichtert die KI damit das Erstellen von Power-Point-Folien oder Excel-Tabellen. Aktuell testet Microsoft seinen Copilot zusammen mit 20 Kunden – darunter sollen auch acht Unternehmen aus den 500 umsatzstärksten Konzernen sein. Man darf gespannt sein.

Erfahren Sie mehr zum Thema KI im Interview mit Prof. Wolfgang Ertel


 Autorin: Andrea Reck

 

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