Wolfegg/Vogt - Wäre es ein Sonntagmorgen und das Ziel die Dorfkirche St. Katharina in Wolfegg, Pfarrer Klaus Stegmaier würde sich freuen. Es ist aber Montagabend kurz vor 19 Uhr und der Zustrom gilt der „Post“, wo der Verein für Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald e.V. zum Info-Abend über die Windkraftpläne der Landesregierung in eben diesem Wald, dem größten Oberschwabens, eingeladen hat. Es ist wie früher, wenn man was zu besprechen hat, trifft man sich in der Wirtschaft. Früher nach der Kirche, heute ohne. Ein Heimatstück.
Der Post-Saal ist proppenvoll, Stühle werden gerückt, weitere geholt. Es herrscht großer Andrang. Schließlich sind es über 200 Personen, überwiegend männlich, überwiegend über 50 Jahre alt.
Mein Tischnachbar gegenüber hat inzwischen sein Wollkäppi abgelegt. Zu heiß das Thema, zu warm im Saal, zu viel Frust. Der forsche Mann gehört zur „Tätergeneration“, welche maßgeblich verantwortlich ist für die Klimakrise, was ihn empört, als ich ihn darauf hinweise. Ü70 sei er und habe sein Leben lang „grün gewählt“. Und nun das! 39 Windräder alle höher als 200 Meter sollen im Altdorfer Wald, mit über 8000 Hektar das größte Waldgebiet Oberschwabens, aufgerichtet werden, dazu würden jeweils etwa ein Hektar Wald für den Standort verbraucht und zusätzlich für den Transport der monströsen Bauteile kilometerlange Schneisen in den Wald gehauen, erfahren die ZuhörerInnen von den beiden Referenten Alexander Knor und Helmut Fimpel. Der Nachbar ist empört. Sein Vorwurf: Mit den Windrädern zerstöre man das, was man vorgebe, beschützen zu wollen – den Wald. Ein Irrsinn, der verhindert werden müsse, davon ist er überzeugt.
Auch darum wird im Altdorfer Wald gestritten: Wie gehen wir mit den begrenzten (Natur-)Ressourcen um? Seit über zwei Jahren protestieren NaturshützerInnen gegen den weiteren geplanten Kiesabbau.
Ein Zuhörer einige Plätze weiter meldet sich zu Wort, gibt sich als Windkraftbefürworter zu erkennen und zu bedenken, dass nicht die Windräder den Wald zerstören, sondern der Klimawandel, und eben deshalb sei Windkraft notwendig. Der Beifall ist verhalten. Aber immerhin, es wird diskutiert. Man sei auch gar nicht gegen Windkraft, stellt der Referent Alexander Knor fest, nur an ungeeigneten Standorten und dazu zähle der Altdorfer Wald. Er empfiehlt, die Windkraft im windigen Schottland zu installieren und im sonnigen Südwesten sich auf Photovoltaik zu konzentrieren. Der Abend endet mit der Einladung zur nächsten Veranstaltung. Der Widerstand nimmt Fahrt auf. Auch an anderer Stelle.
Wem der Altdorfer Wald Heimat ist, dem kann oder sollte es nicht egal sein, was mit ihm passiert. Gut so. Es gibt viele Ansprüche an den Wald und die meisten gehen auf seine Kosten. Ressourcen schwinden, aber der Protest dagegen wächst. So in Grund, gar nicht weit entfernt vom Bauernhausmuseum in Wolfegg, wo Heimat einst zu besichtigen ist, und wo nur einige Kilometer entfernt davon heute junge AktivistInnen in einem Baumcamp bereits das dritte Jahr gegen den dort geplanten Kiesabbau protestieren. Längst ist der Protest mehr als jugendlicher Aktivismus. Alte, Eltern, Großeltern und zum Nachdenken Gekommene aus den Nachbargemeinden gesellen sich dazu, bilden ein Netzwerk, helfen und stützen sich. Die Jungen sind Speerspitze, überzeugen mit Kreativität und Abenteuertum, sind authentisch, weil es ihre Zukunft ist, und die Alten wissen um die Vergangenheit, den Verlust und was auf dem Spiel steht. Gemeinsam sind sie stark. Und nun das! Nicht nur zig Meter tiefe und zig Hektar große Kiesgruben drohen, den Wald zu fressen, sondern auch gigantische Windräder sollen auf Kosten des Waldes endlich die Energiewende schaffen. Der Altdorfer Wald soll größter Windpark in „the Länd“ werden. So der Plan.
Große Flächen des 120 Hektar großen Moors sind bereits durch den Torfabbau zerstört. In Folge wächst nur noch Heide.
Das Reicher Moos, zwischen Vogt und Waldburg gelegen, dient dem Torfabbau für die Moorbäder in Bad Wurzach, Bad Waldsee und Bad Buchau. Dagegen protestieren Naturschützer und fordern den Erhalt dieses klimaschützenden Biotops. Fotos: Peter Sonntag
Das ist aber nicht der einzige. Auch der Regionalplan Bodensee-Oberschwaben nimmt den Wald und sein Umland für die nächsten 15 bis 20 Jahre in Anspruch. Es geht um die längerfristige Entwicklung und Nutzung oder auch Schonung der Ressourcen in den drei Kreisen Ravensburg, Bodenseekreis und Sigmaringen. Der Plan ist bereits beschlossen und harrt nun auf den Segen der zuständigen Stellen in Tübingen und Stuttgart. Die langwierige Diskussion und der umstrittene Beschluss vor Ort in der Regionalversammlung war ein Kristallisationspunkt für Heimat und die Frage „Wie wollen wir (hier) leben?“. Einfach „Weiter so!“, in Verlängerung altbekannter Gleise mit dem Ziel „Wachstum und Wohlstand“ und der Weichenstellung „Ressourcenverbrauch“, oder „Schluss damit!“, weil nicht „zukunftsfähig“. Aus Letzterem entstand das „Aktionsbündnis zukunftsfähiger Regionalplan“, ein Zusammenschluss von Initiativen aus Natur- und Umweltschutz, Landwirtschaft und Bürgerinitiativen, inklusive AktivistInnen, die den Regionalplan als „Höllenplan“ brandmarken, sowie unterstützt von wissenschaftlicher Expertise aus den Reihen der „Scientists for Future“, die wesentliche Teile des Zahlenwerks des regionalen Zukunftsplans für falsch, weil überholt deklarieren. Der Plan ist Zankapfel um die Heimat und liegt zur Prüfung in Stuttgart.
Und um Heimat geht’s auch beim Kampf ums Reicher Moos, einem 30 Hektar großen Moor am südlichen Rand des Altdorfer Waldes zwischen Vogt und Waldburg gelegen. Hier wird noch Torf abgebaut für die oberschwäbischen Moorbäder in Bad Wurzach, Bad Waldsee und Bad Buchau. Und geht es nach besagtem Regionalplan dann soll das „schwarze Gold“ auch noch die nächsten Jahrzehnte im Reicher Moos abgebaggert werden, um es den Kurgästen zur Genesung anzurühren.
Wasser ist ein wertvolles Gut und überlebenswichtige Ressource im Altdorfer Wald, die unbedingt geschützt werden muss. Foto: Klaus Wäscher
Moore, da war doch was? Ja, die sumpfigen Biotope sind phänomenale C02-Senken, hoch sensibel und in Zeiten der Klimakrise absolut schützenswert. Naturschützer verweisen darauf: ein Hektar Moor bindet so viel CO2 wie 50 Hektar Wald. Diese Erkenntnis liegt dem Koalitionsbeschluss der grün-schwarzen Landesregierung zugrunde, die Moore in Oberschwaben großräumig in einem Biosphärengebiet zu erhalten und wo möglich zu renaturieren. Der Prozess läuft, aber bis es so weit ist, kann noch viel Wasser abfließen. Darauf will eine neu gegründete Bürgerinitiative nicht warten, es dräut Gefahr vom Regionalplan, in dem festgeschrieben werden soll, dass der Torfabbau über 2030 noch weitere 40 Jahre möglich sein soll. Die Bürgerinitiative „Rettet das Reicher Moos“ sieht darin puren Frevel und trommelt zum Widerstand. Widerstand aller Orten, weil Widerstand auf Widerstand stößt. Denn es gibt immer auch das Kontra. Die wirtschaftlichen Interessen und unser materieller Wohlstand gegen Natur- und Umweltschutz. Die Energiewende ja, aber nicht vor der eigenen Haustüre. Der Erhalt von Arbeitsplätzen in den Kurbetrieben contra Schutz der Moore. Aber es geht auch gemeinsam: Wo sich einst, vor mehr als 200 Jahren, die letzten Räuber Oberschwabens versteckt haben, demonstrieren und protestieren heute in und um den „Alti“ herum junge AktivistInnen mit gut situierten BügerInnen Seit’ an Seit’. Es geht um Heimat und die Frage „Wie wollen wir leben?“. Diese Frage suggeriert eine Wahlmöglichkeit – aber haben wir diese und wenn ja: wie lange noch? Das ist die Frage.
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Autor: Roland Reck