Ravensburg – Zu Beginn der Fortsetzung des Prozesses über Nötigung in der Schusenstraße im Mai letzten Jahres waren sich die Staatsanwältin Dr. Düerkop wie die Richterin Schute einig, die Pflichtverteidigung abzulehnen, weil keine Freiheitsstrafe zu erwarten wäre.

„Eine einfache Sache“ so die Staatsanwältin, würde verhandelt und als erster Zeuge kam Polizeihauptmeister Andreas Dietrich zu Wort. Er war als erste Streife zum Ende seiner Nachtschicht frühmorgens am 15. Mai vor Ort und hatte drei Personen und ein über die Straße gespanntes Seil festgestellt. Alleinig diese Tatsache, wie er auf Nachfrage antwortete, rechtfertigten die Sperrung der Straße zur Gefahrenabwehr. Die beiden angeklagten Frauen hat er nicht gesehen.

Nachdem mit Zustimmung der Rechtsanwälte Levinia Stevens und Daniel Rheinländer der Ermittlungsbericht verlesen wurde, der wie schon aus der ersten Verhandlung bekannt, eine allgemeine Schilderung des Ablaufs der Aktion der Klimaaktivist*innen enthielt, ohne konkrete oder detaillierte Angaben zu den Beschuldigten zu machen, waren schon die Plädoyers der Staatsanwältin und der Verteidiger an der Reihe.

Dem Ermittlungsbericht war zu entnehmen, dass eine Beschuldigte, hier „Merle“ genannt, zu der ersten Unterstützergruppe ab 5:30 Uhr zu zählen sei, und die andere Beschuldigte erst ab 10:30 Uhr vor Ort gewesen sei, wobei bei ihr Klettermaterial sichergestellt wurde. Merle, noch unter 21 Jahre alt, könne so Richterin und Staatsanwältin übereinstimmend nach dem Jugendstrafrecht behandelt werden und aus diesem Grund war auch der Bericht der Jugendgerichtshilfe, wo ein Gespräch mit ihr stattfand, Teil der Verhandlung.

Diese Einschätzung der Jugendgerichtshilfe schlug dem Gericht vor, eine Weisung für weitere Gespäche auszusprechen. Obwohl die Staatsanwältin wie auch die Richterin Verständnis und Gutheißung für die Ziele der Aktion erkennen ließen, beantragte die Staatsanwältin für Merle 20 Arbeits- bzw. Sozialstunden und die Anweisung von 2 Gesprächen pro Monat ein halbes Jahr lang für die nach Jugendstrafrecht zu behandelnde „Merle“.

Für die andere Beschuldigte galt das Erwachsenenstrafrecht und trotz „geringem“ Tatbeitrag einer bloßen Anwesenheit, beantragte sie 50 Tagessätze zu 20 Euro und die Kosten des Verfahrens. Das sahen beide Anwälte ganz anders. Zum einen sei eine Androhung von Gewalt wie im § 240 Nötigung formuliert, nicht zu erkennen, auch sei die Mandantin nicht identifiziert und da die gesetzlichen Tatmerkmale beim Vorwurf Nötigung fehlen, und die Tat auch nicht verwerflich sei, beantragten sie Freispruch. Es könne nicht einfach „mitgefangen, mitgehangen“ gelten, so Stevens.

Eine gute Viertelstunde brauchte die Richterin, um zu dem Urteil zu gelangen, dass „Merle“ zu 15 Arbeitsstunden zu verurteilen sei. Hinzu kam die Weisung Gespräche mit Sozialpädagog*innen der Brücke e.V. zu führen wie beantragt.

Die Angeklagte „Kolibri“ wurde zu 30 Tagessätzen je 20 Euro und den Kosten des Verfahrens verurteilt. In ihrer Begründung führte sie aus, jede Handlung selbst bloße Anwesenheit begründe die Mithilfe und Unterstützung einer Straftat. Fast entschuldigend fügte sie hinzu: es sei eine rechtliche Wertung und keine moralische. „Auf sehr dünnem Eis“ sahr Rheinländer das Urteil und empfahl seiner Mandantin in Berufung zu gehen, worüber sie noch eine Woche nachdenken kann.

 

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Text und Bilder Gerhard Maucher

 

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