Ravensburg/Weingarten - Oberschwaben ist seit letztem Jahr um ein Filmfestival reicher. Nach der erfolgreichen Festivalpremiere im vergangenen Jahr starten die 2. Filmtage Oberschwaben am 13. Oktober in Ravensburg und in Weingarten. An vier Tagen präsentiert die Intendantin Helga Reichert und ihr Team Lang- und Kurzfilmproduktionen, die noch nicht regulär im Kino zu sehen sind oder im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Zu allen Filmen sind die Filmschaffenden eingeladen, nach der Vorstellung mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Die knapp 50 Veranstaltungen finden im Ravensburger Frauentorkino und erstmals auch im Kulturzentrum Linse in Weingarten statt. Wir trafen uns mit Helga Reichert zum Gespräch.
Frau Reichert, ‚nach dem Spiel ist vor dem Spiel‘ lautet eine Fußballweisheit. Nach der Premiere im letzten Jahr folgen nun die zweiten ‚Filmtage Oberschwaben‘ in Ravensburg. Wie ist die Stimmung, was machen die Vorbereitungen?
Es ist nicht weniger stressig geworden. Momentan sitzen wir in der Endabstimmung für das Programmheft, dann folgt die Organisation der Reisen für die Filmschaffenden. Es ist der alljährliche Wahnsinn, der aber natürlich auch viel Spaß macht. Durch den Krieg in der Ukraine sind im Frühjahr neue Unsicherheiten aufgetaucht: Finden wir Sponsoren? Wie entwickeln sich die Preise? Haben die Menschen überhaupt den Kopf frei für Kultur? Ich versuche, mir nicht zu viele Gedanken zu machen und einfach ein schönes Programm zusammenzustellen.
Wie sieht Ihre ‚Spielaufstellung‘ aus? Was ändert sich, was bleibt gleich? Wie wollen Sie punkten?
Gleich bleibt, dass wir das Publikum wie in jedem Jahr (egal in welcher Stadt) mit einem ganz besonderen Filmprogramm begeistern möchten. Und natürlich laden wir die Filmemacher*innnen wieder zu ihren Vorstellungen ein. Das ist und bleibt der Kern unserer (Adrians und meiner) Festivalarbeit. Wir möchten Menschen zusammenbringen. In diesem Jahr können wir durch einige Kooperationen dem Publikum mehr Rahmenprogramm bieten. So wird die Preisverleihung musikalisch begleitet werden. Im letzten Jahr haben die Moderatorin Kathi Wolf und ich uns einfach glitzernde Kleider angezogen, mehr Glamour hatten wir nicht. In diesem Jahr haben wir durch den Auftritt der Ravensburger Sängerin Willa Weber einen attraktiven Programmpunkt.
Das Spielfeld in Ravensburg ist für Sie als Biberacherin und als ehemalige Intendantin der Biberacher Filmfestspiele neu. Haben Sie sich schon eingewöhnt und fühlen Sie sich angenommen vom heimischen Publikum?
Meine Mutter war im letzten Jahr Gast der Filmtage und hat zufällig ein Gespräch zwischen zwei Ravensburgerinnen im Kino gehört, die gesagt haben, sie müssten sich jetzt erst daran gewöhnen, dass sie schon vormittags Filme schauen. Aber so sei das nun einmal bei einem Filmfestival! Ich war bei der Festivalpremiere erstaunt und begeistert, wie diskussionsfreudig das Publikum schon im ersten Jahr war. Und was mir besonders wichtig war: Die Filmschaffenden haben sich in Ravensburg wohlgefühlt. Das kann man nicht ‚kaufen‘ oder künstlich herstellen, so ein Gefühl muss von selbst entstehen. Und es hat anscheinend funktioniert!
Ein Teil des Programms, nämlich die Dokumentarfilme, werden in Weingarten in der Linse gezeigt. Warum? Schadet das nicht dem Festivalfeeling?
Überhaupt nicht. Alle Filme laufen mindestens einmal im Ravensburger Frauentorkino und einige dann in der zweiten Vorstellung in Weingarten. Die Linse hat das ganze Jahr über ein engagiertes Arthouseprogramm, und ich empfinde es als Bereicherung, dass wir den Festivalnamen ‚Filmtage Oberschwaben‘ wörtlich nehmen und auch dem Weingartener Publikum unsere Filmauswahl zeigen dürfen.
Das Rahmenprogramm zu den Filmtagen ist ja fast schon wieder ein eigenes Programm. Besteht nicht die Gefahr, dass dadurch die Filmtage profilmäßig zerfleddern?
Als einzige echte Zusatzveranstaltung haben wir die Lesung von Prof. Dr. Stefan Piasecki am Dienstag Abend, also sozusagen ein Warmup für die Festivaleröffnung am Donnerstag. Da sich sein Roman ‚Kleine Frau im Mond‘ auf Filme meines Schwiegervaters Anton Kutter bezieht, fanden wir die Kombination von Buchvorstellung und historischen Filmen sehr spannend. Die baden-württembergische Jugend Filmjury der Deutschen Film – und Medienbewertung (FBW) begleitet unsere Schulvorstellung, das wird für alle Beteiligten bestimmt ein Gewinn. Und eine Schulvorstellung wollte ich schon länger gerne anbieten. Bei den Filmtagen in Ravensburg passt es, weil wir nicht in den Ferien liegen. Der ausgesuchte Film ‚One in a Million‘ läuft übrigens ganz regulär auch im Festivalprogramm.
Die Sonderveranstaltung zum Film ‚Die Blutritter‘ hat sich in diesem Jahr, in dem zum ersten Mal Frauen beim Weingartener Blutritt mitgeritten sind, einfach angeboten. Mich freut es sehr, dass die anschließende Diskussion zum Thema Gleichberechtigung und Toleranz vom Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ gefördert wird. Überhaupt beschäftigen sich viele Filme der 2. Filmtage thematisch mit dem Thema Toleranz und Vielfalt. Das Motto lautet gemäß dem Titel unseres Eröffnungsfilms: ‚Alle wollen geliebt werden‘.
Wie ist es um die Diskussionsfreudigkeit der Ravensburger Publikums bestellt?
Sie haben mir schon im ersten Festivaljahr den Zeitplan durcheinander gewirbelt! Es war spannend zu erleben, wie groß der Gesprächsbedarf nach einigen Filmen war. Und genau dafür machen wir die Filmtage.
Auf welches Highlight freuen Sie sich, auf welche Promis dürfen sich die ZuschauerInnen freuen?
Diese Frage ist für mich schwierig zu beantworten, da ich natürlich alle Filme sehr mag, die ich ausgesucht habe. Für das Publikum wird sicherlich der Film ‚Wie man auf den Kilimandscharo steigt – mit und ohne Krücken‘ ein Highlight sein. Der Regisseur Michael Scheyer aus Bodolz zeigt seinen Film im Ravensburg zum ersten Mal in einem deutschen Kino. Gleich zweimal im Programm vertreten ist Schauspieler Ben Becker in den Spielfilmen ‚Rex Gildo – Der letzte Tanz‘ und herausragend in ‚Der Maler‘. Wir haben die österreichische Schauspielerin Marion Mitterhammer mit ihrem Film ‚Taktik‘ (mit einem grandiosen Harald Krassnitzer als Gegenspieler) zu Gast, aus der Schweiz haben wir die Produktion ‚Prinzessin‘ mit Matthias Habich in der Hauptrolle eingeladen, und die internationale Koproduktion ‚Io sto bene – Was am Ende bleibt‘ zeigen wir als Kinopremiere in der italienischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Welche Schauspielerinnen und Schauspieler nach Ravensburg und Weingarten kommen, wird sich kurzfristig entscheiden. Da wäre ein ‚Name-dropping‘ jetzt verfrüht.
Der Berg ruft – sieben Schwaben!
Bei Wolfgang Ambross ist es der Watzmann (2713 Meter), der ruft. Bei Thomas Lämmle ist es der Kilimanjaro (5895 Meter), der ihn nicht loslässt. Ambross’ Geschichte beginnt komisch und endet tragisch, Lämmles Geschichte beginnt tragisch und hat ein Happy End. Ambross’ Alpen-Musical ist ein Evergreen, die Berg-Doku über Lämmle hat dieser Tage Premiere.
„Wie man auf den Kilimanjaro steigt – mit und ohne Krücken“ ist ein Dokumentarfilm von Michael Scheyer, der am 14. Oktober bei den „Filmtage Oberschwaben“ in Ravensburg zu sehen sein wird. Es ist eine rundum oberschwäbische Geschichte, die in Ostafrika spielt. Es ist, wie der Journalist und Filmemacher Michael Scheyer sagt, eine Geschichte „über die Kraft der Gedanken und darüber, wie es jeder Mensch schaffen kann, den höchsten Berg Afrikas zu besteigen“. Seine Protagonisten stammen wie er selbst aus Oberschwaben, sechs von ihnen, einschließlich ihm, ist der Kilimanjaro noch nie begegnet, aber Thomas Lämmle kennt das Wahrzeichen Afrikas wie seine Hosentasche, der 55-Jährige hat ihn schon 62 Mal bestiegen, aber dieses Mal, im Sommer letzten Jahres, will er es mit Krücken versuchen. Er muss. Der Berg ruft!
Thomas Lämmle war Gipfelstürmer, er bestieg sieben der insgesamt vierzehn Achttausender – ohne zusätzlichen Sauerstoff. Dann erlitt er 2020 mit einem Gleitschirm einen lebensgefährlichen Absturz, den er nur mit viel Glück und der Aussicht, gelähmt zu bleiben, überlebte. Es war der Beginn eines zweiten Lebens, das ihn schließlich mit Krücken auf den Uhuru Peak führte. Ein Triumph mit vielen Ein- und Aussichten, die Michael Scheyer dokumentiert. Sehenswert!
Die Zuschauerinnen und Zuschauer folgen den sieben Schwaben – darunter eine Frau, aber außer Lämmle ist keiner Alpinist – über die gesamte achttägige Tour der Lemosho-Route vom Londorosi Gate bis zum Uhuru Peak. Dabei lernen sie die faszinierende Schönheit des Unesco Naturerbes Nationalpark Kilimanjaro kennen und auch die emotionalen Höhen und Tiefen des Höhenbergsteigens. Und sie fiebern mit, wie Thomas Lämmle es fertigbringt, die Kletterpassage der Breakfast Wall mit einem gelähmten Fuß zu bewältigen.
INFO:
Am Sonntagabend werden bei der Preisverleihung die besten Filme in sechs Wettbewerbskategorien prämiert, vergeben wird unter anderem der Hans W. Geißendörfer Preis für den besten Spielfilm. Begleitet wird der Abend von der international gefragten Ravensburger Sopranistin Willa Weber.
Als Rahmenveranstaltung findet am Dienstag, 11. Oktober, eine Lesung mit anschließender Filmvorführung statt. Am Festivalsamstag gibt es nach dem Film „Die Blutritter“ von Douglas Wolfsperger, der erstmals in digitaler Fassung gezeigt wird, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Gleichberechtigung und Toleranz im Rahmen traditioneller Veranstaltungen“, gefördert vom Bundesprogramm „Demokratie leben“.
Der Dokumentarfilm „Wie man auf den Kilimandscharo steigt – mit und ohne Krücken“ feiert seine Deutschlandpremiere am Freitag, 14. Oktober, um 19.30 Uhr im Frauentorkino.
Das vollständige Programm sowie Tickets für alle Veranstaltungen gibt es ab Anfang Oktober unter www.filmtage-oberschwaben.de
Autor: Roland Reck