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Zollernalbkreis - Schau an: Gedruckte Zeitungen erleben eine Renaissance. Vorgeführt wird das in Balingen, wo die „Schwäbische Zeitung“, Ravensburg, und die „Südwestpresse“, Ulm, mit zwei Blättern um Kundschaft kämpfen. Die Methoden sind strittig, der Unterhaltungswert ist hoch, selbst die Ministerin ist begeistert.

Sie heißen Amelie, Esther, Janina, Nicole und Rena, alle um die 30, alle haben studiert und sitzen zusammen in einem Glaskasten bei der „Hohenzollerischen Zeitung“ (HZ) in Hechingen, einer Kleinstadt am Rand der Schwäbischen Alb. Das wäre an sich nichts Besonderes, weil der Berufsstand immer weiblicher wird, aber sie sind so sehr bei der Sache, dass man sich in Zeiten zurück versetzt fühlt, in denen Journalismus noch Leidenschaft war.
Die jungen Journalist:innen sind von der Ulmer „Südwestpresse“ (SWP) gekommen, der die HZ gehört. Als schnelle Eingreiftruppe, versehen mit einem Spezialauftrag, den es in der Republik schon lange nicht mehr gegeben hat: Macht eine neue Lokalzeitung. Nicht digital, ganz old fashioned in Papier. Die Kolleg:innen, mehrheitlich Volontär:innen, sind begeistert.
Nun sind Verleger nicht als Innovationstreiber bekannt, es sind die Verhältnisse, die sie zu überraschenden Maßnahmen greifen lassen. In diesem Fall stehen sie unter der Überschrift „Der doppelte ZAK“. Das Kürzel ZAK steht für „Zollern-Alb Kurier“, der in Balingen erscheint, eine Auflage von 16.000 hat, und jahrzehntelang ein auskömmliches Leben hatte. Den lokalen Teil fertigte eine überschaubare Zahl von Redakteur:innen, der überregionale Mantel wurde seit 1973 von der „Südwestpresse“ aus Ulm (Auflage 240.000) zugeliefert.
Das ging so lange gut, solange mit der Papierzeitung richtig viel Geld verdient wurde. Das ist länger her, heute schrecken die kleinen Verleger rote Zahlen und die Aussichten auf noch schlechtere Zeiten, ihr Nachwuchs will so schnell wie möglich verkaufen. Auch beim ZAK. Die Ulmer waren interessiert, wollten ihr bis zum 15. Dezember 2022 befristetes Vorkaufsrecht nutzen - und nahmen Abstand, als das Bundeskartellamt Bedenken anmeldete. Die Behörde sah ihre „Neue Pressegesellschaft“ mit der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) verbandelt, ebenso den „Schwarzwälder Boten“, der auch im Zollern-Alb Kreis vertreten ist. Zuviel Marktmacht, lautete die Botschaft aus Bonn.
Ante portas stand jetzt die „Schwäbische Zeitung“ aus Ravensburg. Lutz Schumacher, ihr Geschäftsführer, brauchte keine langen Vorreden, er kannte sein ZAK-Pendant, den Verlegerspross Daniel Welte. Der sitzt mit ihm im Vorstand des Verbands Deutscher Lokalzeitungen, in dem sie beide für rund 80 mittelständische Verlage lobbyieren. Dort beklagen sie vor allem die hohen Zustellkosten, die inzwischen höher sind als jene der Redaktionen, und ihrer Meinung nach dringend staatlicher Subventionierung bedürfen. Kanzler Olaf Scholz war deshalb auch schon da. Man darf also annehmen, dass die Chemie stimmte, und der Kaufpreis auch. In Ulm wird von einer Summe zwischen zehn und zwölf Millionen Euro gesprochen. Zuviel, sagen sie.

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Die Kontrahenten auf Expansionskurs: Lutz Schumacher, Geschäftsführer Schwäbischer Verlag in Ravensburg (oben; Foto: Schwäbische Zeitung). Unten: Ulrich Becker, Chefredakteur „Südwestpresse“, Ulm.

Links: Das Publikum ist verwirrt. Wer ist jetzt der richtige ZAK? Der gelbe oder der blaue? 

So brachte das neue Jahr einen neu gestylten „Zollern-Alb Kurier“ an den Tag, im Gelb der Schwäbischen, mit ihrem wunderbaren Untertitel „Unabhängige Zeitung für christliche Kultur und Politik“, und ihren überlokalen Geschichten, gerne auch vom Bodensee. Und es brachte Streit, der es als „ungewöhnlicher Verlegerkleinkrieg“ bis in die FAZ schaffte.
Kurz vor Weihnachten 2022 hatte die Führungsriege der „Südwestpresse“ beschlossen, das Feld nicht kampflos zu räumen. Und los ging’s. Die zehnköpfige Redaktion fuhr nach Hechingen, mitsamt Marketing und Vertrieb, und zack war das neue Blatt, im Blau der SWP, am 7. Januar 2023 auf dem Markt – mit dem Titel: Südwestpresse - „Zollern-Alb Kurier“.
Das hat die alteingesessenen Besitzer, das Balinger Druck- und Verlagshaus Hermann Daniel, sehr erbost und die Kundschaft sehr verwirrt, weil jetzt plötzlich vom blauen und gelben ZAK die Rede war und niemand mehr wusste, welcher Farbe man zuneigen sollte. Es habe kaum ein anderes Thema mehr gegeben in der Stadt, klagten sie, bis hin zu Nicole Hoffmeister-Kraut, der bekanntesten Balingerin. Als Wirtschaftsministerin und Spross der Bizerba-Waagen-Dynastie hat Kontext sie natürlich um eine extra Stellungnahme gebeten.
Die Ministerin schreibt: „Als Zeitungsleserin, privat und beruflich, interessieren mich die Entwicklungen in meiner Heimat natürlich sehr. Die Medienlandschaft war ja, insgesamt betrachtet, in den vergangenen Jahrzehnten von Konzentrationsprozessen geprägt. In vielen Landkreisen erscheint nur noch eine gedruckte Tageszeitung. Im Zollernalbkreis sind es jetzt sogar drei. Das zeigt, dass klassische Tageszeitungen, dass fundierter Journalismus gerade auch im lokalen Raum sehr wohl eine Zukunft hat.“ Nicole Hoffmeister-Kraut, Balingen
„Es darf nur einen ZAK geben“, tönt es hingegen aus Ravensburg. Und so zogen die dortigen Zeitungsherren vor das Stuttgarter Landgericht, um ihre Marke zu schützen und bekamen Recht. Es bestehe „Verwechslungsgefahr“, urteilte der Vorsitzende Richter und setzte ein Bußgeld in Höhe von 250.000 Euro im Falle des Zuwiderhandelns fest. Und die „Schwäbische Zeitung“ als Neu-Eigentümerin meldete zufrieden, das „Verwirrspiel“ sei zu Ende, nun herrsche Klarheit: „Es darf nur einen Zollern-Alb Kurier geben“.

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Blick in die geschäftige Redaktion der Südwestpresse in Hechingen. Die schnelle Eingreiftruppe ist jung, mehrheitlich weiblich und mit Feuereifer dabei.

Auf Außenstehende mag das durchaus erheiternd wirken, zumal die Hauptdarsteller auch viel dazu beitragen. Solche Gespräche machen Laune. Lutz Schumacher, 55, der Highlander aus Ravensburg, sagt, er könne sich „bis aufs Blut“ streiten, wenn es um guten Journalismus gehe. Also obacht, ihr Schwaben unterm Münster, ihr seid schlechte Verlierer, mit einem Hang zur Hybris, warnt er via Zoom. Was seid ihr denn 50 Jahre lang beim ZAK gewesen? Dienstleister und sonst nix. Und jetzt kommt ihr mit einer „Billigschlacht“, mit einem niedrigen Abopreis, 35 statt 52 Euro, sowie 250 Euro aufs Konto, wenn man von Gelb nach Blau wechselt. So werde Journalismus entwertet. Schumacher ist seit drei Jahren Geschäftsführer bei der Schwäbischen, und davor viel herumgekommen. Bei Pro Sieben, RTL, dem Deutschlandradio, dem „Nordkurier“ in Meck-Pomm, beim Presserat sitzt er im Beschwerdeausschuss, und einen lustigen Bestseller („Senk ju vor träwelling“) über die Bahn hat er auch geschrieben. Er weiß, wie Bühne geht.
Sein Gegenspieler ist Ulrich Becker, 59, Chefredakteur der „Südwestpresse“. Der Schumacher überziehe, sagt der gebürtige Kölner. Dafür hat er ein Gespür, er war einst bei der Peoplezeitschrift „Bunte“ und bei „Bild“, seit zehn Jahren ist er an der Donau. Zunächst hält er fest, dass sein Blatt das bessere ist, jüngst bescheinigt von der Frankfurter Allgemeinen, die ihn vor den einst führenden Stuttgarter Zeitungen sieht. Danach erinnert er daran, dass die Schwäbische in Ehingen dasselbe Prämienwechselspiel mit ihnen spiele, und drittens bittet er darum, mit den „Verteufelungen“ aufzuhören.
„Machen wir uns nichts vor“, betont Becker, ein kurzes Bedauern im Blick, „auch in unserer Branche geht’s über den Preis“. Chefredakteure, die glaubten, es funktioniere über Leitartikel – das war gestern. Der Satz ist so klar wie ernüchternd, und sein Kontrahent aus der Türmestadt Geschäftsführer Schumacher lässt wissen, dass Papierleser:innen abzuwerben kein Zukunftskonzept sei, da Print keine Zukunft habe.
Das mag langfristig richtig sein, aber Stand heute ist die Rechnung eine ganz einfache. Nach ihren Angaben werden die Ulmer von einer „überwältigenden Nachfrage“ heimgesucht, fürs Erste kalkulieren sie mit 3000 Printabos a 35 Euro im Monat, also 1.26 Millionen im Jahr, die Anzeigenerlöse noch nicht eingepreist. Die örtlichen Bestatter jedenfalls, registriert Chefredakteur Becker, seien bereits „freudig erregt“. Das gerne vorgetragene Argument, hier müsse das Kerngebiet für die treue Leserschaft verteidigt, womöglich noch die Pressevielfalt gestärkt werden, darf also relativiert werden. Unterm Strich lautet das Fazit: Was die Südwestpresse gewinnt, verliert die Schwäbische.
Und damit ist der Zeitungszoff auf der Alb ein treffliches Beispiel für den Paradigmenwechsel in diesem Gewerbe, auch in Baden-Württemberg. Die Gebietsabsprachen sind Geschichte, ebenso die Nichtangriffspakte und Stillhalteabkommen unter den Verlegern. Es galt: Von wegen Konkurrenz, es war ja genug für alle da. Heute denken sie, es helfe ihnen nur noch kaufen oder verkaufen, fressen oder gefressen werden, überleben nur mit wachsen. Die SWMH hat es vorgeführt, mit dem Ergebnis, dass aus Vielfalt Gleiches wird, jüngstes Beispiel ist die gekaufte „Eßlinger Zeitung“.
Jetzt kommt die „Schwäbische Zeitung“ (Auflage 135.000). Ihr CEO Schumacher macht keinen Hehl daraus, dass er auf Expansionskurs ist, weitere Verlage kaufen will, um die digitale Transformation, die sauteuer ist, stemmen zu können. „Ziemlich befremdlich“ findet er es allerdings, wenn in der Branche immer wieder Fürst Erich von Waldburg zu Zeil und Trauchburg als Dagobert Duck ins Spiel gebracht wird. Der Adelsherr ist einer der größten Waldbesitzer Deutschlands, geschätztes Gesamtvermögen 650 Millionen Euro, und Gesellschafter beim Schwäbischen Verlag. Auf eine „Kriegskasse“ einzelner Gesellschafter sei der Verlag „nicht angewiesen“, betont Schumacher, außerdem sei der Fürst nur einer von fünf. Und damit kein falscher Eindruck entsteht, ist ihm wichtig zu sagen, dass er kein Interesse an „irgendwelchen Scharmützeln“ habe. Auf der Alb ist es ein ausgewachsener Zoff.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Online-Wochenzeitung „kontext“, Stuttgart.

 Autor: Josef-Otto Freudenreich

Fotos: Joachim E. Röttgers

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