Messkirch - Damals, als im Stadtwald von Meßkirch mit dem Campus Galli, jenem karolingischen Klosterbau nach Originalplänen aus dem 9. Jahrhundert, alles einmal begonnen hatte, schrieb man das Jahr 2012. Jetzt, rund zwei Wochen vor dem diesjährigen Saisonbeginn am 1. April, war BLIX zum 10. Geburtstag wieder vor Ort. Beim Rundgang mit Gästeführerin Sonja Fecht durch den Campus des mittelalterlichen Klosterbaus wird sofort klar: Der Winterschlaf und das Erwachen sind längst passé. Keine Spur davon! Vielmehr emsige Vorbereitungen auf die bevorstehende Eröffnung der neuen Saison.
Das eine ist der Plan, das andere ist dessen Realisierung. Und das Experiment ist die Erstellung eines mittelalterlichen Klosters mit den Mitteln und dem Handwerkszeug, die die Menschen vor mehr als tausend Jahren zur Verfügung hatten. Das Leben und die Arbeit richteten sich nach den Jahreszeiten und der Winter war die stade Zeit, aber gearbeitet wurde trotzdem – so auch heute. Zu den routinemäßigen Arbeiten gehört im Winter die Versorgung der auf dem Gelände beheimateten Tiere: der zwei mittelalterlich gezüchteten Schweine, der kleinen Schafherde und des stolzen Gockelhahns samt seiner Hühnerschar. Sie alle halten zu allen Tagen die Tierpflegerinnen und -pfleger auf Trab.
Schindelmacher sind jahraus, jahrein gefragt, der Bedarf ist immer gegeben. Sie werden in großer Zahl zum Eindecken neuer Gebäude, wie zum Beispiel des in diesem Jahr zu erbauenden, siebzehn Meter langen Abtsnebenhauses gebraucht. Aber auch zur Ausbesserung maroder Schindeln, denen der ständig nagende Zahn der Zeit zu stark zugesetzt hat.
Die für das Nebenhaus des Abts nötigen Steine liegen schon bereit. Zum größten Teil ist es Jurakalkstein hier von der Alb, aber auch noch ein paar vom Torbogen zum Paradiesgarten übrige Buntsandsteine aus dem Schwarzwald sind zu sehen. Weil sie qualitativ ausgesprochen durchwachsen sind, kommt man von ihnen ab. Die Kalkblöcke werden von Steinmetz Jens passend behauen. Am Tag schafft er bis zu vier Steine. Zur Zeit legt er den Vorrat an, denn wenn es bald losgeht, rechnet er mit einem Verbrauch von 120 bis 130 Ecksteinen.
Fortlaufend werden mit Unterstützung einer Professorin für Baustofftechnologie und Denkmalpflege der Uni Konstanz in Laboren Versuche durchgeführt, mit den damaligen Werkstoffen den richtigen Mörtel für die Festigkeit des Mauerwerks herzustellen. Wissenschaft trifft Mittelalter. In ausgehöhlten hölzernen Wannen wird der Mörtel dann von zwei Trägern auf der Baustelle an Ort und Stelle geschleppt.
Tierhaltung war im Mittelalter auch in einem Kloster überlebenswichtig.
Das Feuer in der Schmiede dient nicht zum Aufwärmen des klammen Schmiedes. Vielmehr braucht es der Handwerker, um beschädigte eiserne Spaltkeile mit ein paar kräftigen Schlägen am Amboss wieder zu glätten. Dadurch auf Vordermann gebracht, sind die Werkzeuge dann funktionstüchtig und einsatzfähig.
Es ließen sich noch eine ganze Reihe von Tätigkeiten aufführen, die in den winterlichen Monaten betrieben werden. Denn alles, wofür während der Saison in den Sommermonaten auch wegen des Besucherzustroms nicht die nötige Zeit verfügbar ist, wird zur Winterzeit erledigt. Damit die Handwerker bei schlechter Witterung nicht den Unbilden der Natur ausgesetzt sind, existieren überdachte hölzerne Unterstände, in denen sie trockenen Hauptes werkeln können.
Erstes Gebäude, an dem die Besucher vorbeikommen, ist die Eremitage. Durch einen winterlich errichteten Weidezaun aus Gestrüpp und Ästen vom übrigen Gelände sichtbar abgegrenzt, liefert die kleine Einsiedelei einen Eindruck von den Umständen, in denen der heilige Gallus mit seiner Mönchsgemeinschaft im 7. Jahrhundert gelebt haben mag. Der vermutlich aus Irland in den schweizerischen Bezirk Arbon gekommene Mönch Gallus gilt als Gründungsvater des Klosters. Ohne ihn würde es auch die Stadt St. Gallen und den St. Galler Klosterplan, mithin auch den jetzt zehn Jahre jungen Campus Galli („Hofgut des Gallus“) nicht geben. Einst bis zu seiner Fertigstellung auf eine Bauzeit von 30 Jahren veranschlagt, spricht Sonja Fecht jetzt bereits von 40 Jahren, ja sogar von einer „ewigen Baustelle“, weil in 30 Jahren sicherlich vieles wieder erneuert werden muss.
Solange die große steinerne Kirche, die in der Länge einmal 60 Meter messen soll, als Hauptbauwerk der Klosterstadt nicht erbaut ist, ist die im letzten Jahr errichtete Klosterscheune größtes Bauwerk und zugleich zentral gelegener imposanter Blickfang auf dem Campus. Ihre Grundfläche misst stattliche elf mal 21,5 Meter, ihre Höhe 7,5 Meter. Das ausladend mächtige Schaubendach ist mit selbst angebautem Roggenstroh gedeckt, welches man zu Schauben verarbeitete. Auf die richtige Länge gebracht, wird es per Strohseil zu festen Bündeln geschnürt. Dadurch, dass es in drei Lagen auf dem Dach festgemacht wird, wird verhindert, dass Regenwasser in das Innere der sehr geräumigen Scheune eindringt. Aus gleichem Grund reicht das tief herunter gezogene Strohdach beinahe bis zum Boden.
Wenn die heurige Saison angelaufen sein wird, bildet die Errichtung des Nebenhauses des Abtshofs den diesjährigen Schwerpunkt der bevorstehenden Bauarbeiten. In den Grund legenden Umrissen bereits abgesteckt und damit sichtbar, wird das Gebäude ein wichtiges Element des großen Bauensembles mit insgesamt 50 verschiedenen Häusern stark unterschiedlicher Größenordnung. Laut Inschrift enthält das Nebenhaus eine Küche, einen Vorratsraum, eine Badstube sowie verschiedene Schlafmöglichkeiten. Dieses weitere „Bauabenteuer“, dessen Vorbereitungen in vollem Gang sind, wird das erste steinerne Gebäude auf dem Gelände sein.
Dem Filmemacher Reinhard Kungel ist zuzustimmen: fernab von Computer und Maschinen sehe man hier noch, wie der ganze Mensch arbeitet. Das Handwerk sei etwas Großartiges.
Text und Fotos: Horst Hacker