BLIX Banner1

Laupheim - Frauen im Judentum: Bis September präsentiert das Museum zur Geschichte von Christen und Juden im Schloss Großlaupheim eine Sonderausstellung, die weit über die Regionalgeschichte hinausgeht.

Die Ausstellung ist Teil des Festjahres 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Selbstverständlich wird dabei auch an eine Laupheimer Jüdin erinnert: Hertha Einstein, geboren 1895, war das erste Mädchen, das die dortige Lateinschule besuchte. Ihr 125. Geburtstag war der ursprüngliche Anlass für die Ausstellung. Hertha Einstein studierte Medizin, wurde Ärztin in Berlin, heirate 1923 den Kollegen Erich Nathorff und floh 1939 in die USA.
Ihre tragische Lebensgeschichte nimmt das Porträt von Marlis E. Glaser auf, das Veit Feger aus Ehingen dem Museum gestiftet hat. Glaser kuratierte zusammen mit Museumsleiter Michael Niemetz die Ausstellung. Der Künstlerin liegt daran, die Kämpferinnen für die Frauenbewegung zu würdigen. Frauen wie Berta Pappenheim oder Hedwig Dohm. In der Ausstellung vertreten ist auch ihr Portrait der in Wuppertal geborenen und in Jerusalem gestorbenen Dichterin Else Lasker-Schüler, die sich immer wieder von biblischen Traditionen inspirieren ließ. Zu den Portraitierten gehört auch die erste naturwissenschaftliche Nobelpreisträgerin Gerty Cori, die feministische Politikerin Simone Veil und Regina Jonas, die 1902 in Berlin geborene und 1944 in Auschwitz ermordete erste Rabbinerin weltweit.

 

Chana Cromer Augen von Tamar

Chana Cromer, Augen von Tamar.

 

Bereits im 17. Jahrhundert reiste die im Gold- und Juwelenhandel tätige jüdische Geschäftsfrau Glikl von Hameln, Mutter von zwölf Kindern, durch Europa und schrieb vermutlich als erste Deutsche eine erhalten gebliebene Autobiographie. Mit diesem Bild möchte Glaser darauf hinweisen, dass es speziell im Judentum um den offenen Horizont geht. „Auch wir können den Horizont öffnen“, ermutigt die Künstlerin. Ihr ist es wichtig, dass in der Ausstellung jüdische Frauen dargestellt werden, die etwas zu sagen hatten und haben und dass Frauen nicht nur auf ihrer Rolle als Opfer reduziert werden. Sie bedauert, dass beim Gedanken ans Judentum eher die Ultraorthodoxen präsent sind als all jene Jüdinnen und Juden, die für eine fortschrittliche Geisteshaltung stehen. Das Vorurteil, dass Frauen im Judentum nicht viel zu sagen haben, lässt sich leicht widerlegen.
Auf die Frage, warum die als Katholikin Aufgewachsene seit langem zum Thema Judentum arbeitet, erklärt Marlis Glaser: „Als jüdische Künstlerin sind mir die ethischen und geistigen Werte des Judentums sowie unsere Rituale und Feiertage, Texte, Kommentare des TENACH und natürlich jüdische Persönlichkeiten, vor allem Frauen, schon seit vielen Berufsjahren die größte Inspiration und gehen Hand in Hand mit meinem Alltagsleben und meinen Beziehungen.“
Das Bild „Erkenne doch“ (hebr. Hakerna) von Marlis E. Glaser erzählt die Geschichte der biblischen Frau Tamar, in der ein Mann einer patriarchalen Gesellschaft vor 3800 Jahren schließlich anerkennt, dass die Frau klüger und gerechter ist als er. Sie hatte, als der Tod ihrer beiden Ehemänner schon länger zurücklag, ihre Witwenkleider abgelegt und passte am Wegesrand ihren Schwiegervater Jehuda ab, um ihn zu verführen, da er seinen nach damaligem Recht ihr zustehenden dritten Sohn nicht an sie gab und sie ohne Mann und Nachkommen völlig rechtlos lebte. Sie wurde schwanger …
Drei Künstlerinnen aus Israel mit Wurzeln und Bezügen zu Deutschland sind in der Ausstellung vertreten. Alle studierten an der berühmten Bezalel Universität in Jerusalem. Auch Chana Cromer, deren Eltern sich in Dachau kennenlernten, 1948 in einem Camp für Displaced Persons geboren, befasst sich mit dem Motiv der Tamar, die ihre Augen verhüllt und gleichzeitig anderen die Augen öffnet. Die auf himmelblauem Grund gemalten und gedruckten Augen der Tamar zieren auch das Plakat der Ausstellung. Im Zentrum ihrer Arbeit auf Papier und Textilien steht bei Riva Pinsky-Awadish die in Gebeten und Liedern etwa an Pessach gesungene Zeile von Generation zu Generation (hebräisch l’dor wa-dor). Sie stellt mit Blättern, Samen und kraftvollen Gewächsen und wiederum deren Samen ihre Sehnsucht dar, dass Menschen sich verstehen und in Frieden zusammen leben, doch vor allem, dass das Leben weitergeht: eine wichtige Botschaft angesichts der jüdischen Geschichte. „Ihre meist großformatigen Textilarbeiten malt sie auf den wunderbar-glitzernden Stoffen eines arabischen Händlers aus Jerusalem“, weiß Marlis Glaser.

 

Ruth Schreiber Foto zu Tamar

Die Fotografin Ruth Schreiber nimmt ebenfalls Bezug auf die biblische Tamar.

 

Ruth Schreiber thematisiert die Bedeutung biblischer Frauenfiguren in Tora und Talmud und irritiert mit aktuellen Foto-Inszenierungen mit realen Personen. Auf Mütterlichkeit und Fruchtbarkeit nimmt ihre Arbeit “And fill the Earth” Bezug. Die einzelnen Papiermaché-Teile sind nicht eindeutig zu entschlüsseln, sie könnten auch als Widderköpfe gesehen werden, doch der Titel lässt sie als Gebärmutter mit Eileiter erkennen. Der verweist auf das göttliche Gebot „Seid fruchtbar und mehret euch”.
Auf die Laupheimerin Hertha Nathorff-Einstein bezieht sich der einzige männliche Künstler der Ausstellung Nikolaus Mohr. Er veranschaulicht 40 Gedichte des 1966 veröffentlichten Gedichtbandes „Stimmen der Stille“ der Ärztin in kleinformatigen Aquarellen. Die Verse sprechen über Furcht und Verzweiflung aber auch über Glück und Freude.
Auch Ulla Mross geht in ihren Werken auf Aufzeichnungen der Laupheimerin ein. In Holzschnitt und Holzskulptur spiegelt sie das Schicksal der leidenschaftlichen Ärztin wider, der durch das Berufsverbot und viele Zwänge in der neuen amerikanischen Heimat die Ausübung ihrer Berufung versagt blieben.
„Marianne Hollenstein fällt ein wenig aus den Rahmen“, erläutert Museumsleiter Michael Niemetz, „sie behandelt auch keine religiöse Thematik sondern versucht Gedanken der Philosophin Hanna Arendt malerisch und räumlich umzusetzen“. Texte, Briefe und Essays der Publizistin werden in einer begehbaren Skulptur in Szene gesetzt.
Die Ausstellung ist geplant bis 5. September 2021. Aktuelle Informationen sind zu finden im Museum zur Geschichte von Christen und Juden. www.museum-laupheim.de

 

Text und Fotos: Andrea Reck

­