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Messkirch - Zehn Jahre ist es her, dass bei Meßkirch mit einem Klosterbau der besonderen Art begonnen wurde. Der Bauplan dafür hatte fast 1200 Jahre in der Stiftsbibliothek des Klosters St. Gallen gelegen. Gezeichnet wurde er von Mönchen auf der Insel Reichenau als Geschenk für das Kloster in St. Gallen – alles in allem ein Austausch über Architektur unter Mönchen des 9. Jahrhunderts. Dabei ist diese einzigartige Zeichnung aus karolingischer Zeit selbst schon ein Kulturdenkmal von überragendem Wert.

Dass aus diesem Plan eine wahrhaftige Baustelle werden konnte, hatte der aus Aachen stammende Bert Geurten auf den Weg gebracht. Nach einem Besuch der mittelalterlichen Burgbaustelle im burgundischen Guédelon wuchs sein Wunsch, den St. Gallener Klosterplan Realität werden zu lassen – es dauerte aber noch, bis er den Verein „Karolingische Klosterstadt e.V.“ gegründet und für diese Idee in Meßkirch offene Ohren gefunden hatte. Ziel war es, mit den Techniken und den Materialien des 9. Jahrhunderts eine dem Plan entsprechende Klosteranlage entstehen zu lassen – ein Projekt, das von vornherein auf Jahrzehnte hinaus angelegt war. Die Klosterbaustelle sollte dabei von Anfang an ein „Versuchslabor“ für die archäologische Forschung sein, um Erkenntnisse über Arbeits- und Baumethoden jener Zeit zu gewinnen (experimentelle Archäologie), aber es verstand sich auch von selbst, dass zur Finanzierung daraus ein Tourismusmagnet werden sollte.
Dafür soll auch der Wandermönch Angus O’Neill sorgen, der seit acht Jahren im Umfeld des Campus Galli durch die Wälder streift und interessierten Besuchern die Geschichte der Christianisierung Süddeutschlands und der Entstehung der frühen Klöster auf der Reichenau und in St. Gallen erklärt.

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Bauen im Mittelalter, das war eine Kunst, die im Campus Galli von Handwerkern und Wissenschaftlern wiederentdeckt und den Besuchern vermittelt wird. Fotos: Skuppin

Dieses „historische Waldschauspiel“ beruht auf den Tatsachen der iro-schottischen Missionierung Süddeutschlands. Vom 6. bis zum 8. Jahrhundert kamen zahlreiche Mönche aus großen Klöstern Irlands, die sich als Zeichen ihrer Verbundenheit mit Gott in selbstgewählte „ewige Verbannung von ihrer Heimat“ begeben hatten (peregrinatio propter Christum). Gefördert wurden sie von den Herrschern der Merowinger und später dann der Karolinger, die sich eine Festigung ihres herrschaftlichen Einflusses in den neu eroberten Gebieten in Süddeutschland, der Schweiz und Norditalien vor allem durch eine Einheit des religiösen Bekenntnisses erhofften. Die umherziehenden germanischen Volksgruppen huldigten ihren alten Gottheiten: Wotan, Donar und Freya. Daher erachteten die Wandermönche es als ihre Aufgabe, diese „Pagani“ (Heiden) dem christlichen Glauben zuzuführen, der in Irland schon im 5. Jahrhundert durch St. Patrick vor allem durch Klostergründungen verbreitet worden war. Diesem Vorbild folgend gründeten die Wandermönche und ihre Schüler ebenfalls Klöster, die sich alsbald nicht nur als Orte des Glaubens, sondern auch der Bildung erweisen sollten und daher für ihre Umgebung eine hohe Strahlkraft hatten. Dort beschäftigte man sich nicht nur mit der christlichen Religion, sondern auch mit Handwerk, Medizin, Landwirtschaft und mit Sprachen. Zu diesen Klöstern gehört auch die auf Pirminus zurückgehende Klostergründung auf der Reichenau. Und genau dort wird im 9. Jahrhundert der St. Galler Klosterplan gezeichnet. Dass nun, nach fast 1200 Jahren, dieser Plan seit zehn Jahren in architektonische Wirklichkeit umgesetzt wird, wirft die Frage auf: Was bringt uns das heute?

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Michael der Zimmermann und Jeshua der Lehrling

Wollte man auf diese Frage eine kurze Antwort geben, müsste man sagen: Viel und Vielfältiges! Aber sinnvoller ist es, sich an die alte schwäbische Weisheit zu halten: Wer ebbes wissa will, muaß na ganga ond mit de Leit schwätza! Also hat der Wandermönch den Wanderstab mit dem Schreibblock vertauscht und ist zur Klosterbaustelle gegangen, um mit „de Leit“ zu schwätzen – und er hat sie getroffen: Michael, den Zimmermann – Jeshua, den Lehrling – Jens, den Steinmetz – Hans-Jörg, den Maurer – Bea, die Weberin – Lars-Ole, den Tierpfleger - Jannis, den Studenten – Lea, die Schülerin und andere mehr – und natürlich den Geschäftsführer Dr. Hannes Napierala. Sie alle haben viel und begeistert über diesen Ort und ihre Aufgaben erzählt und alle waren sich einig: Dieser Ort ist ein ganz besonderer, ein einzigartiger Ort – sowohl für die, die dort arbeiten, als auch für die Besucher, die kommen, sehen, staunen, fragen, beglückt gehen – und wiederkommen –, denn geschätzt die Hälfte der Besucher (und auch der ehrenamtlichen Mitarbeiter) sind „Wiederholungstäter“, die so begeistert sind, dass sie gerne wiederkommen, um zu helfen oder zu staunen.

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Hans-Jörg der Maurer.

Und es kommen viele Menschen – es sieht so aus, als könnte man in diesem Jahr an die Besucherzahlen von 2019 (über 91.000) herankommen, dem letzten Jahr vor Corona. Dass die vergangenen drei Jahre mehr als schwierig waren, hat natürlich einen nachvollziehbaren Grund: die Pandemie mit all ihren Einschränkungen und Lockdowns. Und wenn in letzter Zeit in der Presse von einem „Rettungsplan“ für Campus Galli die Rede ist, dann geht es darum, dass man für die nahe Zukunft die Mittel bekommt, um den laufenden Betrieb wieder aufnehmen und bis ins nächste Jahr garantieren zu können – denn nur wenn geöffnet ist, zahlen die Besucher Eintritt.
Dabei hat der Campus Galli von seiner Strahlkraft trotz Pandemie nichts verloren. Die Baustelle lockt Gäste und ehrenamtliche Mitarbeiter aus einem Umkreis von 1000 Kilometern zum Besuch oder zur Mitarbeit an. Die Schülerin Lea aus Hannover ist inzwischen das dritte Mal hier. Sie hat schon in vielen unterschiedlichen Bereichen mitgearbeitet und meint: „Es ist wie Schule, nur besser! Man lernt so viel, aber es ist praktisches Lernen, und am Abend sehe ich auch noch ein Ergebnis dessen, was ich den ganzen Tag über gemacht habe.“
Ähnlich sieht es Jannis, der seit sieben Jahren regelmäßig kommt, oft an den Wochenenden. Er findet hier einen Ausgleich zum Studium. Er hat auch schon in allen Gewerken gearbeitet. Darüber hinaus ist er auch noch Gästeführer und erklärt mit Freude den Besuchern die ganze Anlage.
Das erste Mal hier als Freiwilliger für ein Praktikum ist Jeshua. Mit einer ganzen Gruppe von Lehrlingen von der Berufsschule für Zimmerleute in Reutlingen hat er sich schon ganz gut eingearbeitet. „Es ist ja eine Heidenarbeit, die Baumstämme nass zu behauen und daraus Balken zu machen.“ Und am dritten Tag hat er schon verinnerlicht, wie die Kollegen vor 1200 Jahren das Harz von den Händen bekommen haben: mit Öl oder Fett.
Einen deutlichen tieferen Einblick in das ganze Geschehen auf dem Campus haben Michael, der Zimmermann, und Jens, der Steinmetz. Beide sind von Anfang an dabei und kennen auch die Schwierigkeiten, die sich gerade am Anfang der Baustelle ergeben haben.

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Bea die Weberin.

Man muss wissen: Alle Bauten müssen auch heutigen Vorschriften genügen, was Sicherheit und Stabilität betrifft. Nur trifft man in den Amtsstuben der Bauaufsicht selten Mitarbeiter, die mit frühmittelalterlichen Bauplänen und Bauweisen vertraut sind, drum muss der Rat von Fachleuten eingeholt werden, und das kann dauern. Zum Glück vergeht die Zeit im frühen Mittelalter noch ohne Uhren. Michael, der Zimmermann, sagt: „Bei uns sind die Dinge fertig, wenn sie gut sind.“ Jens, der Steinmetz, formuliert es so: „Hier arbeite ich mit dem Material, woanders – ‚draußen‘ – arbeite ich mit der Maschine.“
Was aber bedeutet, dass bei schweren Arbeiten alle mithelfen und zusammenarbeiten müssen. Einen massigen Balken oder einen großen Stein können die Zimmerleute oder die Steinmetze nicht allein transportieren, da müssen alle mit anpacken und an einem Strang ziehen. Hans-Jörg, der Maurer, sagt: „Hier greifen die unterschiedlichen Handwerke alle ineinander, so dass für jeden schon der Weg das Ziel ist.“ Und Bea, die Weberin, schwärmt: „Ich freue mich jeden Tag, wenn ich zur Arbeit gehe.“
Was aber bringt uns Campus Galli heute und wie könnte es die nächsten zehn Jahre weitergehen? Denn die Finanzierung ist schwierig und ohne öffentliche Förderung (Stadt Meßkirch: 300.000 Euro und Landkreis: 75.000 Euro) wird es vorerst nicht gehen, es bedarf auch der Sponsoren und Mäzenen. Aber der Geschäftsführer ist überzeugt, dass die Besucherzahlen sich weiterhin positiv entwickeln werden. Als Beispiel führt er an, dass schon im Frühjahr so viele Anfragen von Berufsschulen auch aus dem weiteren Umfeld kommen, dass der Sommer mit Gruppen ausgebucht ist, die für eine oder zwei Wochen alte Handwerkstechniken im Holzbau lernen wollen. An der Universität in Karlsruhe ist im Studiengang Architektur die Klosterstadt sogar in den Lehrplan aufgenommen worden. Zimmermann Michael meint dazu: „Wenn wir hier in unserer Region so viele Städte haben, in denen man zu Recht stolz ist auf die schönen alten Fachwerkgebäude, dann sollte man doch auch darüber nachdenken, wie man so etwas damals gebaut hat. Dies kann man hier im Campus lernen und demonstrieren.“
Hannes Napierala nennt es ein „Alleinstellungsmerkmal“. Der 43-jährige Historiker ist überzeugt: „In unserer Nische treffen wir einen Nerv der Zeit. Wir sind ein gemeinnütziges Projekt und ein Lern- und Weiterbildungsort, wo man praktisch lernen kann, ökologisch, naturnah, mit Naturmaterialien zu bauen und zu arbeiten und alte Arbeitstechniken nicht nur theoretisch, sondern praktisch zu erfahren.“ Dabei seien die „Streueffekte“ größer als man denkt, erklärt der Geschäftsführer. „Und wenn in Sigmaringen ein Investor ein Hotel baut, weil vor 1200 Jahren auf der Reichenau Mönche einen Plan gezeichnet haben, und die Umsetzung dieses Planes heute Besucher in größerer Zahl in unsere Region lockt, dann ist das ein grandioses Beispiel dafür, wie Handeln einst und Handeln heute miteinander verbunden sind – und es sollte uns dazu bringen, darüber nachzudenken, was in kommenden Zeiten über unser heutiges Handeln gedacht werden wird.“

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Maß nehmen – sechs Finger breit.

Was den Tourismus betrifft, kann Jennifer Werner von der Touristik in Meßkirch nur zustimmen. Wenn sie auf ihre Zahlen blickt, kann sie seit Eröffnung von Campus Galli fast nur über Zuwächse berichten. Natürlich brachten die corona-bedingten Einschränkungen spürbare Einbrüche. Aber seit man wieder kann und darf, kommen die Leute auch wieder, und die touristische Infrastruktur, die über die Jahre entstanden ist, auch und gerade wegen Campus Galli, wird auch wieder nachgefragt und genutzt, so ihr Resümee.
Also wird der alte Wandermönch seine Kutte wieder aus dem Schrank holen – denn gut möglich, dass es bald wieder geschichtsinteressierte Zeitgenossen gibt, die auf einer kleinen Wanderung etwas über das frühe Mittelalter erfahren wollen, bevor sie sich die Klosterbaustelle anschauen und eintauchen in dieses grandiose Bau- und Arbeitsprojekt. Woraus irgendwann einmal eine Klosterstadt mit über 40 Gebäuden, Gärten und einem Friedhof entstehen soll. Viel Arbeit also! Ausdrücklich eingeladen sind alle Entscheidungsträger, einmal für eine Woche den Schreibtisch mit einem Arbeitsplatz im Campus Galli zu tauschen und persönlich zu erleben, wie bereichernd Arbeiten unter freiem Himmel mit Kopf und Händen sein kann. Jemand, der dies selbst erlebt hat, wird den gesellschaftlichen Mehrwert dieser einzigartigen Einrichtung in unserer Region gewiss nicht in Frage stellen. Behauptet Ihr Wandermönch Angus O’Neill.
www.campusgallitours.de

Autor: Michael Skuppin alias Angus O’Neill, der Wandermönch

 

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