BLIX Banner1

Ochsenhausen - Vier der 23 ausgestellten Künstler waren anwesend bei der Eröffnung der Ausstellung „Kunst.1973“ im Ochsenhausener Fruchtkasten: Hermann Schenkel, Horst Reichle, Karl-Heinz-Buri und Josef Wehrle. 16 sind verstorben, verhindert waren an diesem 15. Januar Willi Siber, Gunther Dahinten und Michael Lesehr. Gekommen waren allerdings sehr viel mehr Kunstinteressierte, als die Veranstalter erwartet hatten: 260. Bis ins Foyer standen die Menschen und lauschten der Begrüßung von Landrat Mario Glaser. Zu Beginn hatte das Cello-Orchester der Musikschule Ochsenhausen einen Hit des Jahres 1973, arrangiert von seinem Leiter Michael Strele gespielt: „Mama Loo“ von den Les Humphries Singers. In diesem Jahr wurde der Landkreis Biberach in seiner heutigen Form gegründet. Daher habe man den früheren stellvertretenden Leiter des Museums Biberach Dr. Uwe Degreif gebeten, die wichtigsten Strömungen in der Bildenden Kunst in Biberach aber auch in kleineren Städten und Gemeinden zusammenzutragen.

 

Elsner

1973 arbeitete Jürgner Elsner noch mit Leder und Jute.

Glaser wollte die Veranstaltung nicht als museale Feierstunde verstanden wissen. „Bitte lockern Sie Ihre Krawatte“, animierte er die dicht gedrängt Sitzenden und Stehenden. Er selbst trug ohnehin keine, trotz des kürzlich erhaltenen Anrufs eines Zeitungslesers, der dieses Accessoire für einen Landrat für unverzichtbar hielt. Glaser empfahl die Vernissage als „neugierigen Ritt in eine wilde Zeit“, passend zu den hinter der Glastür herausleuchtenden blanken Brüste eines damals wohl provokativen Werkes von Martin Heilig.

Klaus Leupolz Goldmaul

Klaus Leupolz, Goldmaul.

Der Landrat wandte sich an Horst Reichle, der als junger Grafiker das noch heute verwendete Wappen des Landkreises entworfen hat und erwähnte Hermann Schenkel und Willi Siber (der 1949 Geborene ist der Jüngste der Ausstellenden), „damals noch junge, wilde Kerle“. Heute seien sie, ausgezeichnet mit dem Kulturpreis des Landkreises, zwar immer noch wild, aber inzwischen doch arrivierte Künstler.

Landrat Mario Glaser mit Ochsenhausens Bürgermeister Andrea Denzel

Großer Andrang herrschte bei der Eröffnung der Ausstellung durch Landrat Mario Glaser und Ochsenhausens Bürgermeister Andreas Denzel.

Landschaftsbilder von Gunther Dahinten

Landschaftsbilder von Gunther Dahinten.

Ochsenhausens Bürgermeister Andreas Denzel dankte für die Ehre, die Ausstellung des Landkreises beheimaten zu dürfen und wies auf die sich anschließenden Ausstellung der Freunde des Fruchtkastens hin. Und natürlich auf die große Georg-Baselitz-Sommerausstellung.
Kurator Uwe Degreif beruhigte „alle, die stehen müssen“, dass seine Einführung in die Ausstellung mit 70 Werken von 23 Künstlern nicht länger als 18 Minuten dauern werde. Er wies darauf hin, dass außer Schenkel und Siber alle noch vor oder während des Zweiten Weltkrieges geboren wurden. Jakob Bräckle sogar noch im Jahrhundert zuvor. Alle hatten den Krieg erlebt. Viele reagierten in den Nachkriegsjahren auf Strömungen aus den USA.

Romane Holderried Kaesdorf

Romane Holderried-Kaesdorf, Ohne Titel.

Was alle Kunstschaffenden Anfang der Siebziger auch in Biberach verband:

  1. Zentrales Motiv war die Landschaft. Jedoch wurden keine Idyllen dargestellt sondern stark von der Flurbereinigung geprägte Ansichten ohne Menschen und Tiere.
  2. Das Stillleben hatte ausgedient. Auch Fragen des Glaubens spielten keine große Rolle.
  3. Gerne bediente man sich einer gestischen Malweise. Bei aller Vielfalt gab es keine abstrakte und keine konkrete Kunst.
  4. Gesellschaftliche Bezüge wurden stärker einbezogen, Stichwort „arte povera“, Momente des Scheiterns waren einkalkuliert.
  5. Fotos unterstützten damals lediglich das Wort und waren Teil des Journalismus. Erst später wurde Fotografie als Kunst verstanden.
  6. Elf der 23 Kunstschaffenden hatten kein Studium absolviert, manche wurden anfangs als Hobbykünstler abgetan. Neben der Galerie Schranne und der Jahresausstellung im Braith-Mali-Museum Biberach gab es kaum Ausstellungsmöglichkeiten, neue Künstler lernte man oft über private Kontakte kennen.
  7. Dass in Kunst.1972 nur fünf von 23 Ausgestellten weiblich sind, liegt vor allem daran, dass weibliche Kunst seltener in Sammlungen eingegangen und vieles nicht mehr auffindbar ist. Damals waren nämlich immerhin fast ein Drittel der Beteiligten an Ausstellungen Frauen. 

Martin Heilig

Martin Heilig, Entwurf Gruppierung, die Fans um das Idol Jesus.

Vor Degreifs Ausführungen hatte das Cello-Orchester die berühmte Filmmusik aus Der Pate intoniert und überraschte nun mit einem Rock-Knaller, der auch in dieser Version großartig klang: Smoke on the water von Deep Purple. Genaugenommen war es zwar bereits 1972 auf dem Album Machine Head erschienen, aber zweifelsohne passt es zum Zeitgeist im Jahr der Landkreisgründung. „Ein furioser Abschluss“, wie Glaser zu Recht betonte.

Die Ausstellung Kunst.1973 läuft bis 26. Februar 2023. Geöffnet ist sie Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

www.tourismus-ochsenhausen.de/highlights/ausstellungen-im-fruchtkasten

 

Text & Fotos: Andrea Reck

­