Ravensburg - Die Geschichte ist männlich, auch in der ehemaligen Freien Reichsstadt Ravensburg. So zumindest spiegelt sie sich in den Straßennamen wider. Da findet man die Kaufleute und Händler, Möttelin und Humpis, Gäldrich und Holbein. Kein Abt seit 1400, kein Bürgermeister, Kirchenmaler und Politiker wurde vergessen. Frauen findet man auch ein paar, Königin Katharina, Bertha Bosch, die erste Abiturientin. Dieses Bild wird grundlegend korrigiert vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Museum Humpis Quartier in der neuen Ausstellung „Eine Frage des Geschlechts? Frauengeschichte in Ravensburg.“
Es herrschten „geordnete Verhältnisse“ im 18. Jahrhundert, nach den Regeln der Zünfte, des vielfältigen Handwerks. Es gab keine standesamtliche Trauung. Die kirchliche Traung war der „alleinig ehestiftende Akt.“ Zwangsehen gab es nicht. Eine Ehe durfte weder gegen den Willen des Bräutigams noch der Braut geschlossen werden. Zucht und Ordnung waren die Regel. 1798 wurde eine Liste mit 28 Haushalten „lediger Weibsbilder“ geführt, die nachts auch mit städtischen Patrouillen kontrolliert wurden. Da wurde die ledige Regina Schummin mit einem Monat Zucht- und Arbeitshaus bestraft und vorher noch in der Stadt herumgeführt, weil sie „in Unehren verkehret“. Doch nicht-ehelicher Sex war auch Männern untersagt. Der Schneidergeselle Sebastian Strodel wurde deshalb für fünf Jahre aus der Stadt verwiesen. Noch drastischer wurden uneheliche Schwangerschaften und Abtreibung bestraft. Diese Frauen hatten keine Wahl, da sie ihr Kind hätten nicht ernähren können. Die Elisabetha Albrechtin, schwanger von einem Soldaten, war als Dirne an den Pranger gestellt und 1767 wegen Kindsmordes hingerichtet worden. Es ließ sich nicht klären (oder sollte nicht geklärt werden), ob sie eine Totgeburt zur Welt brachte oder ihr Kind in Panik tötete.
Es war die Regel, dass die Ehefrau im Handwerk ihres Mannes mitarbeitete. So auch Maria Anna Eglin als Schneiderin. Mit 26 Jahren war sie bereits Witwe. Sie wollte den Betrieb selbständig weiterführen. Die Schneiderzunft klagte dagegen. Sie ging durch alle Instanzen und bekam vom kaiserlichen Gericht in Wien bestätigt, eine Schneiderei führen zu dürfen.
Auch Maria Barbara Böhmin war nach nur siebenjähriger Ehe mit 26 Jahren Witwe. Das Witwenrecht erlaubte ihr, die Schuhproduktion ihres Mannes mit drei Gesellen weiterzuführen. Doch sie befreite sich aus den Zwängen der Zünfte, gründete im schweizerischen Aargau, ganz modern, eine Fabrik mit arbeitsteiliger Produktion für Frauen- und Kinderschuhe. Sie kam zu erheblichem Wohlstand. 1810 starb sie mit nur 47 Jahren an Tuberkulose, die Schuhfabrik ging an ihre Tochter.
Eine der mutigsten Frauen in Ravensburg war die 1728 geborene Tuchwaren-Händlerin Agatha Ledergerberin. In der Hungerkrise 1770/71 nannte man sie „Aufständlerin“, weil sie vor dem Kornhaus die Proteste der Bevölkerung anführte. Mit enormen Gewinnen exportierten Händler das hiesige Getreide in die Nachbarländer, in Ravensburg aber hungerten die „einfachen Leut“.
Die Lebensgeschichten der Frauen werden auch per Audioguide vermittelt.
Aufklärung ist Männersache
Zum Ende des 18. Jahrhunderts nahmen die sozialen Gegensätze zu. Die Frauen traf es zuerst. In Frauenarbeitshäusern dauerte eine Schicht zehn Stunden. Die hehren Worte der Aufklärung von der Gleichheit aller Menschen, von der Befreiung aus der Unmündigkeit waren Männersache. Um die Gleichberechtigung zu verhindern, wurden die „natürlichen Geschlechtermerkmale“ der Frauen beschworen. Der männliche Herrschaftsanspruch sollte bleiben.
Auch im 19. Jahrhundert wurden Frauen auf ihre sozialen und häuslichen Tugenden beschränkt. Ein delikates Kapitel ist der Ravensburger „Blutwurscht“ gewidmet, jenen versippten, verschwägerten Clans der Oberschicht, wo den Liebes-Ehen ein wenig nachgeholfen wurde.
Die Ausstellung porträtiert Frauen, die in schweren Zeiten mutig und stark waren, Vorläuferinnen der Frauenvereine ab 1860. Sie endet mit den ersten Gemeinderätinnen 1919 – Anna Lipp, Christliche Arbeiterschaft, und Maria Seeger vom Zentrum.
Ein Blick noch ins 20.Jahrhundert mit der 1898 in Ravensburg geborenen, in Freiburg promovierten Juristin Emmy Rebstein-Metzger, der ersten in Württemberg, später in Baden zugelassenen Rechtsanwältin, die erfolgreich für Frauenrechte, für eine radikale Reform der männlich bestimmten Ehe- und Familiengesetze kämpfte. Eine, das darf man wohl sagen, der ersten Feministinnen in Ravensburg, in Süddeutschland. 1929 war Rebstein-Metzger nach Ravensburg zurückgekehrt, wo sie 1967 starb.
Die Ausstellung läuft bis 3. September 2023, Di. bis So. von 11 – 18 Uhr.
www.museum-humpis-quartier.de
Autor: Wolfram Frommlet