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Bad Waldsee - Die Corona-Pandemie hat Restaurants und Hotels gebeutelt, und hohe Energiepreise könnten manchem Betrieb den Rest geben. Ein Wirtspaar aus Bald Waldsee schaut auf arbeitsreiche Jahre zurück und denkt über das Für und Wider ihrer Mühen nach.

Aktuell bedrohen die explodierenden Energiekosten die Existenz vieler Gastronomiebetriebe. Doch der seit Jahren herrschende Personalmangel, der durch die beiden Pandemie-Krisenjahre deutlich verschärft wurde, ist derzeit eine der größten Herausforderungen für das Gastgewerbe in Baden-Württemberg, meint der Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA). Im Berufsverband der Gastronomen und Hoteliers sind alleine im Ländle über 12.000 Unternehmerinnen und Unternehmer aus Gastronomie und Hotellerie zusammengeschlossen. Wenn im Inland kein Nachwuchs zu finden ist, hoffen viele auf ausländische Fachkräfte. Der Verband fordert eine Nachbesserung beim 2020 von der Bunderegierung beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Gerade kleine oder mittelständische Betriebe scheuen den Weg durch den bürokratischen Dschungel, um Fachkräfte außerhalb der EU anheuern zu können. Der Verband fordert eine Beschleunigung der Verfahren und eine bedarfsgerechte Sprachförderung im In- und Ausland.
Jemand, der weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt, ist Rudi Spieß aus Bad Waldsee. Der Wirtssohn ist nach 36 Jahren als Wirt in der „Gaststätte zur Versteigerungshalle“ im September in den Ruhestand gegangen. Seit 1996 ist der 63-Jährige Vorsitzender der DEHOGA Ortsstelle Bad Waldsee und wird das auch bleiben.
Es war eine mutige Entscheidung, 1986 die Gaststätte an der neu erbauten Viehversteigerungshalle auf der grünen Wiese an der Straße nach Hopfenweiler zu übernehmen. Seine Frau Susanne brach ihr Studium zur Betriebswirtin ab und widmete sich der Gaststätte. „Unsere Mädchen sind heute 36 und 39 Jahre alt. Sie wurden mit der Wirtschaft groß. Der Laufstall der drei Monate alten Kleinen stand neben der Spülmaschine“, erinnert sich die 59-Jährige. „Unsere Dreijährige hat bei Versteigerungen unter Aufsicht der Landwirte die Kälber an der Leine geführt. Die hatte keine Angst“, erzählt die stolze Mutter.
Rudi Spieß hatte seinen Meisterkurs als Koch noch nicht ganz fertig, deshalb war zunächst sein Vater, der das Paradies an der Aulendorfer Straße betrieb, in den Pachtvertrag eingestiegen, bis nach wenigen Monaten Rudi Junior übernahm. Früh schon hatte er im elterlichen Betrieb mitgeholfen. „Wenn die anderen in den Ferien zum Schwimmen gegangen sind, bin ich für ein Taschengeld in der Küche beim Spülen gestanden“, erinnert er sich. Trotzdem entschied er sich für die Gastronomie und ging bei einem Spitzenkoch in die Lehre. Die Töchter von Susanne und Rudi Spieß entschieden sich für andere Berufe, halfen aber von Kindesbeinen an bis zur Schließung im September mit.

 

Rudi

Rudi und Susanne Spieß im Ruhestand. Foto: Andrea Reck

 

Spargel und Wild waren die Renner

Ende der Achtziger Jahre war die Gaststätte zunächst nur während der Auktionen geöffnet, dann kamen auch unter der Woche und vor allem am Wochenende viele Gäste. „Bei den Versteigerungen des Braunviehzuchtverbandes kamen bis zu 900 Leute“, weiß Susanne Spieß. „Unsere Küche war vor allem schwäbisch-regional, aber auch saisonal. Im Mai und Juni war Spargel der Renner.“ „Mit selbst aufgeschlagener Sauce Hollandaise“, ergänzt ihr Mann. Im Herbst kamen Gäste von weither zu den Wildgerichten. Das Wildfleisch vom heimischen Jäger, Forellen und Saibling aus der Region schätzten die Stammgäste. „Vieles haben wir direkt von den Landwirten gekauft, die auch zu den Versteigerungen kamen. Kartoffeln, Äpfel, Obstler“, beschreibt Susanne Spieß ihr Vorgehen, das sie zu Trendsettern machte. Man gehörte auch zu den ersten Betrieben, die bei der Vereinigung „LandZunge“ mitmachte, eine gastronomische Aktion für Genuss aus der Region.
Auch bei den Bad Waldseer Spezialitätenwochen, die diesen November zum 39. Mal stattfinden, machten sie mit. Anfangs meist mit französischen Gerichten aus der Provence, dann lag der Schwerpunkt auf der Südtiroler Küche. „Leider sind wir nicht mehr dabei“, bedauert der leidenschaftliche Koch, der sich aber bei der Organisation der Spezialitätenwochen nach wie vor einbringt.

Zähne zusammenbeißen hilft

Von 2000 bis 2021 hatte das Wirtspaar auch noch „nebenher“ die Stadthalle gepachtet, gerne erinnert man sich an die Frühschoppenkonzerte am Sonntag. „Am Stressigsten waren Herbst, Winter und Frühjahr“, also fast das ganze Jahr, urteilt Rudi Spieß rückblickend. „Wir hatten Weihnachtsfeiern mit 350 Leuten. Im Fasching habe ich morgens um acht angefangen und bin erst am nächsten Tag ins Bett gekommen.“ „Klar, bei so viel Arbeit, sind schon mal die Fetzen geflogen“, ergänzt seine Frau. Ein paar Tage nach einer Bruchoperation stand Spieß schon wieder am Herd. „Da muss man halt die Zähne zusammenbeißen“, sagt er. „Wir sind aber zum Ausgleich auch regelmäßig in die Therme gegangen und wenn die Zeit reichte ins Fitness-Studio.“
Auf die Frage ob er nach so arbeitsreichen Jahren sein Leben als Rentner schon genießen kann, gesteht er: „Da gibt es ein lachendes und ein weinendes Augen.“ Übrigens seien auch bei manchen Stammgästen die Tränen geflossen, als sie von der Schließung der Gaststätte erfuhren. „Bei uns hat einfach alles gepasst, der familiäre Umgang, die Bezahlung. Wir haben zusammen Ausflüge und Grillfeste gemacht. Wir waren eine große Familie. Anders als es heute der Fall ist, hatten wir wenig Personalprobleme.“ Eine Bedienung, Pia Sproll, sei von Anfang an dabei gewesen, wenig später begann Koch Rudi Kohler.


Der Gast will eine ehrliche Küche

Bei all dem Positiven kommt Spieß auch auf die derzeitige Krise der Gastronomie zu sprechen. Er beobachtet, dass viele Betriebe im Umkreis die Öffnungszeiten einschränken oder ganz schließen, weil sie keine Nachfolger fänden. Er bedauert das Personalproblem. „Früher wurde man in der Lehre oft richtiggehend ausgenutzt. Das ist heute nicht mehr so. Aber ganz ehrlich, wer will schon arbeiten, wenn alle Freunde frei haben?“
Spieß bedauert, dass die Gastronomie hierzulande auch ein Image-Problem hat. Wenn man nach einem vierstündigen IHK-Kurs als Fachfremder eine Gaststätte eröffnen könne, seien die Probleme programmiert. In der Schweiz und in Österreich sei das anders geregelt. Überhaupt genieße die Gastronomie in der Schweiz noch einen ganz anderen Stellenwert.
Ganz wichtig für den Erfolg eines Gasthauses sei eine „ehrliche Küche“. Mit guten Zutaten, in der das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Es ärgert ihn, dass Gäste schon mal beklagen, dass sie sich für den Preis eines Mineralwassers beim Getränkemarkt fast einen ganzen Kasten kaufen könnten. „Viele bedenken nicht, was wir alles an Nebenkosten haben.“
Aber ganz wichtig sei der persönliche Kontakt zu den Gästen. Außerdem müsse man sich eben immer etwas einfallen lassen. „Wir hatten eine offene Küche. Die Leute konnten zuschauen. Jede zweite Woche haben wir eine neue Karte geschrieben. Man muss auch Ideen haben – von Open-Air-Konzerten bis hin zu Literaturlesungen. Die Veranstaltungen in der Versteigerungshalle sind legendär, Gerhard Polt war ebenso zu Gast wie die Musikgruppe Sportfreunde Stiller. Zweimal schon war die Tour de Ländle mit 7000 Radlern zu Gast. Natürlich müsse man auch das Speise-Angebot der Veranstaltung anpassen. Die Besucher von Flohmärkten wollen etwas anderes als bei der Wahl der Braunviehkönigin.
Besonders gern denkt Rudi Spieß zurück an seine Küchenevents „Kochen mit Freunden“, wo er mit Sterne- und Fernsehköchen am Herd stand. Heute genießen es Susanne und Rudi Spieß zu Hause in der Wohnküche, wo ein großes Regal mit Kochbüchern aus aller Welt für Anregungen sorgt, für Freunde zu kochen. Und freuen sich auf ein paar Tage Urlaub in Südtirol – natürlich bei befreundeten Gastronomen.

 

Autor: Andrea Reck

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