BLIX Banner1

Riedlingen - Mit „Donaustrand und Meeresrauschen“ führt die 11.000-Einwohner-Stadt ein Theaterstück auf, das aktueller nicht sein könnte. Was veranlasste früher und veranlasst heute Menschen, ihre Heimat zu verlassen? Allein zwischen 1849 und 1855 wanderten 70.000 Württemberger aus. Skurrile, komische und tragische Geschichten kommen auf die Bühne. Vom 29. Juni bis 10. Juli spielen Frauen und Männer aus Riedlingen und Umgebung.

 

Bereits 2016 wurde in Riedlingen sehr erfolgreich Theater gespielt. Coronabedingt blieben 2020 und 2021 die Bretter, die die Welt bedeuten, verwaist, doch dieses Jahr ist es wieder so weit. Viele der damaligen Darstellerinnen und Darsteller machen wieder mit. Wie auch Roland Uhl (70), der zusammen mit Andrea Traub und Mechtild Kniele das ehrenamtliche Leitungsteam bildet. „Damals bin ich wie die Jungfrau zum Kinde zur Rolle des Hauptdarstellers gekommen, diesmal spiele ich nur kleine Rollen als Auswanderer“, erklärt der pensionierte Lehrer, der an der Hauptschule Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. „In unserem Stück geht es um Menschen, die zu verschiedenen Zeiten ausgewandert sind. Manche sind aber auch wieder eingewandert.“ So taucht in den 28 Szenen wiederholt eine Gruppe Banater Schwaben auf, die 200 Jahre nach der Auswanderung nach dem Zweiten Weltkrieg in Riedlingen-Eichenau wieder eine Heimat gefunden hat. Einen roten Faden durch die Episoden spinnen auch Maria und Josef auf Herbergssuche.
Wir sind alle Migranten. Die Geschichte der Menschheit begann mit Migration. Vor rund 200.000 Jahren entwickelte sich in Afrika ein Lebewesen, das die Welt für immer verändern sollte, der Homo sapiens. Er bevölkerte von Afrika aus die gesamte Erde. Im 21. Jahrhundert stieg die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, auf über 84 Millionen an. Sechs der zehn Länder, aus denen im Jahr 2020 die meisten Menschen fliehen mussten, liegen auf dem afrikanischen Kontinent: etwa Südsudan, die Demokratische Republik Kongo und Somalia. Und heute, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, haben rund sechs Millionen Menschen die Ukraine verlassen. Insbesondere Frauen und Kinder fliehen vor den russischen Invasoren.
Auch die deutsche Geschichte ist durchzogen von Zeiten, die geprägt sind von Einwanderung und Zeiten, die von starken Auswanderungszügen erzählen. „Wanderungen“ sind so gesehen ganz normal, sie gehören zur Menschheit, seit es sie gibt. Doch der Euphemismus sollte nicht über die menschliche Katastrophe hinwegtäuschen. Ob man sie nun Migranten oder Flüchtlinge nennt, die Gründe sind heute vergleichbar mit denen vor hundert, fünfhundert oder fünftausend Jahren: Kriege, Glaubensunterschiede, Hunger, Rassismus, Naturkatastrophen, Unterdrückung ... Pure Not veranlasst die Menschen immer wieder, der Heimat den Rücken zu kehren. Mitunter auch die Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit oder einfach der Traum von einem auskömmlichen Leben mit Arbeit, Familie und Frieden. Allein zwischen 1849 und 1855 wanderten 70.000 Württemberger aus mit ihrer Sehnsucht und Hoffnung nach einer besseren Welt in der Ferne.
Bewegte Geschichten aus Riedlingen und anderswo nach Motiven des Autors Peter Höfermayer vom Theater Lindenhof in Melchingen kommen auf die Bühne der Neuen Markthalle. Laut einem Kooperationsvertrag zwischen dem Theater
und der Stadt Riedlingen soll alle zwei Jahre ein Theaterstück mit Riedlinger BürgerInnen aufgeführt werden. Dazwischen gibt es ein Gastspiel eines Ensembles des Lindenhoftheaters in Riedlingen. Nach dem großen Premierenerfolg im Jahr 2016 wurde das Stück „Kleine Stadt, große Welt“ 2017 nochmals aufgeführt. Das neues Stück „Donaustrand und Meeresrauschen“ sollte 2020 zur Aufführung kommen, musste aber coronabedingt zwei Mal verschoben werden.
„Beim Lesen fand ich die vielen Episoden erst recht verwirrend“, erinnert sich Uhl, „aber auf der Bühne ist alles aus einem Guss“. Die Zuschauer erwartet ein durchaus unterhaltsames, aber eben kein seichtes Stück. Es geht nicht nur um Zeitvertreib, sondern darum, über Veränderungen nachzudenken, selbst gewollte oder durch äußere Umstände erzwungene. Auf die Frage, wieso er so viel Herzblut und Zeit investiert, schwärmt Uhl, der viele Jahr für die Grüne Liste im Gemeinderat saß: „Ich habe 2016 Freude gefunden am Theaterspielen. Außerdem ist das für mich bürgerschaftliches Engagement, das die Gemeinschaft stärkt.“


Schwierigkeiten mit den Männern
Viele haben geholfen, Geschichten aus der Region zu finden, darunter der langjährige Museumsleiter Winfried Assfalg und die Archivarin der Stadt, Stefanie Fafner. Der lokale Aspekt macht den besonderen Reiz des Stückes aus, das auf Riedlingen zugespitzt ist und doch auch an vielen anderen Orten spielen könnte. Es war nicht ganz leicht, die passenden Laiendarsteller zu finden. „Männer sind die Schwierigkeit“, lacht Uhl. Doch letztlich konnten alle Rollen besetzt werden mit LokaldarstellerInnen im Alter zwischen 14 und über 80 Jahren.
Regie führen Carola Schwelien und Peter Höfermayer. Für Bühne und Kostüm sorgt Ilona Lenk. Die freischaffende Malerin arbeitete als Bühnenausstatterin bereits international. Auch beim Bühnenbild spielt natürlich Riedlingen eine wichtige Rolle: als Kulisse gibt es ein großes Segel an der Donau. Davor wurde eine Tribüne mit 351 Sitzplätzen gebaut. Den Weg zum Theater schmücken Bilder vom Kunstkreis 84. Die musikalische Leitung hat Wolfram Karrer, für die Technik sorgt Ralf Wenzel. Die Musik wird live gespielt von Teilen der Stadtkapelle Riedlingen. Premiere ist am Mittwoch, den 29. Juni.

 

Theatersommer
Spielort: Direkt neben der Neuen Markthalle (Kalbinnen-Halle) an der Donau. Die Abendkasse öffnet um 18.30 Uhr.
Öffentliche Probe: Sa. 25. Juni (Tickets für 10 Euro an der Abendkasse)
Weitere Aufführungen: Do. 30. Juni, Fr. 1. Juli, So. 3. Juli, Do. 7. Juli, Fr. 8. Juli, Sa. 9. Juli. Die Vorstellung beginnt jeweils 20.30 Uhr.
Karten kosten im Vorverkauf 20 Euro / ermäßigt 14 Euro, Abendkasse: 22 Euro/ermäßigt 16 Euro. Sie sind erhältlich im Cafe Reinke, Lange Str. 3, Riedlingen, Mi-Fr 9 – 18Uhr (Mo. & Di. Ruhetag), Sa 9 – 17 Uhr, So 12 bis 17 Uhr und in der Tankstelle Autohaus Schlegel, Neue Unlinger Str. 20, Riedlingen, Mo.-Fr. 8 – 12 und 13.30 – 18 Uhr, Sa 8.30 – 12.30 Uhr. Karten können auch auf der Homepage vom Theater Lindenhof www.theater-lindenhof/karten.de selbst ausgedruckt werden oder über die Vorverkaufsstellen des KulturTicket Neckar.

 

Autorin: Andrea Reck

­