Oberschwaben - Mitte März schlossen die Schulen in Baden-Württemberg, um die Verbreitung des neuen Coronavirus einzudämmen. Viele Bildungseinrichtungen haben seither den Unterricht ins Digitale verlagert. Wie kommen Schülerinnen und Schüler im virtuellen Klassenzimmer zurecht, wie die Lehrkräfte? Wie ergeht es Auszubildenden?
Grundschullehrer schnüren Lernpakete wie etwa in der Ummendorfer Umlachtalschule, die sie eigenhändig in den Briefkasten werfen, zusätzlich machen sich einige viel Mühe mit virtuellen Klassenzimmern. Nicht alle nehmen dieses Angebot wahr, was teilweise auch daran liegt, dass die entsprechenden Endgeräte nicht zur Verfügung stehen. Während manche Mütter und Väter engagierte Hilfskräfte sind, ist dies in bildungsfernen Familien überhaupt nicht der Fall. Viele Migrantenkinder können nicht auf die Hilfe ihrer Eltern zählen, da denen schlicht die Sprachkenntnisse fehlen. Da schwingt dann schon mal in der Mail einer Lehrkraft an ihre 18 Schützlinge ein bisschen Enttäuschung mit: „Ich möchte euch darauf hinweisen, meine Videos unbedingt alle zu schauen - es sind die einzigen Einführungen/Erklärungen, die ich euch derzeit bieten kann. Ich kann die Klickzahlen einsehen und habe nun zum ersten Mal den Fall, dass ein Film von letzter Woche wesentlich weniger als 18 Mal geklickt wurde. Da haben ganz klar nicht alle ihre Aufgabe erfüllt, denn das Ansehen der Erklärung gehört genauso dazu wie die eigene Umsetzung. Auch die Einführung ins virtuelle Klassenzimmer haben bislang erst 6 Personen angesehen.“ Schade, ist doch dieses virtuelle Klassenzimmer, zu dem die Autorin freundlicherweise das Passwort erhalten hat, wirklich sehr witzig und liebevoll gestaltet.
Bei älteren Schülern sollte das besser klappen. BLIX fragt nach bei Marianne Trapp (Foto), die an der Biberacher Gebhard-Müller-Schule seit 22 Jahren Französisch, Geographie sowie Geschichte und Gemeinschaftskunde unterrichtet. Eine sehr engagierte Lehrerin, wie Kollegen verraten. „Ja. Ich bin mit dem Herzen dabei“, lacht sie beim telefonischen Interview in der zweiten Maiwoche, als die ersten Schüler wieder körperlich anwesend sein dürfen in der Schule. Marianne Trapp hält von zu Hause aus den Kontakt mit ihnen. „Ich habe mich – vor allem von meinen Kindern – überreden lassen bis zu den Pfingstferien zu Hause zu bleiben“, erklärt die Dreiundsechzigjährige. Ich fühle mich aber nicht wohl dabei, weil ich das Gefühl habe, meine Prüfungsklasse alleine zu lassen. Nach wie vor funktioniert alles digital. Mit der Technik habe ich keine Probleme. Mir fehlt es einfach, den Schülern ins Gesicht zu sehen. Dramatisch finde ich, dass ich wohl einige Schüler verloren habe, die sich seit März kaum gemeldet haben. Bei Sechzehn- bis Neunzehnjährigen mache ich keine Kontrollanrufe. Ich biete an, mich anzurufen oder Mails zu schreiben. Soziale Probleme werden derzeit leider nicht angesprochen, ganz anders als in der persönlichen Begegnung. Generell finde ich den digitalen Unterricht notwendig, schon damit man ein bisschen Struktur in den Tag bringt. Möglicherweise haben auch nicht alle das passende Equipment. Das vermute ich etwa bei einem sonst sehr verlässlichen Schüler, der nie seine Hausaufgaben vergisst. Das Kreismedienzentrum machte jetzt eine Umfrage, nun werden noch Laptops oder Tablets zur Verfügung gestellt. Aber das ist meines Erachtens reichlich spät.“
Martina Doleghs, Leiterin des Geschäftsbereichs Bildung und Fachkräfte bei der IHK Ulm.
Auch Maik Minikel (18), Schüler der Wirtschaftsklasse der Gebhard-Müller-Schule bearbeitet den Lernstoff seit März zu Hause. Die Aufgaben werden von Lehrerinnen und Lehrern auf eine online-Plattform gestellt, von der er sie hochladen kann. „Zwei Drittel der Lehrer nennen eine Deadline, bis zu der man die Lösungen mailen soll, um sie korrigiert zurück zu erhalten. Das Feedback der Lehrer ist schon hilfreich“, erklärt er am Telefon. „Wenn wir Fragen haben, können wir die auch per Mail schicken und bekommen meist am selben Tag Antwort. Manchmal ruft man aber zuerst bei Mitschülern an, wenn etwas unklar ist“. Ob er feste Arbeitszeiten einhalte, will ich wissen. „Nein, das läuft ganz unterschiedlich, manchmal arbeite ich am Nachmittag, manchmal am Abend.“ Bis Pfingsten wird kein Präsenzunterricht mehr stattfinden für den Zwölftklässler. „Also offen gestanden wird’s mit der Zeit schon lästig. Anfangs hat es jeder ein bisschen genossen, nicht so früh aufstehen zu müssen und die Zeit frei einteilen zu können. Aber jetzt freuen wir uns wirklich auf die Schule. Manche machen sich auch echt Sorgen, weil wir mit dem Stoff nicht so durchkommen und doch viel verpassen. Es gibt Mitschüler, die daran denken, freiwillig eine Klasse zu wiederholen, um ein gutes Abi machen zu können.“
Manche Schüler sind da weniger besorgt. „Gell, wir kriegen doch alle eine Note besser, weil wir so lange nicht zum Unterricht kommen konnten“, wollte eine Berufsschulschülerin, die sich mit den Hausaufgaben nicht allzu viel Mühe gemacht hatte, von ihrer Englischlehrerin wissen, als man sich in halber Klassenstärke und mit Mundschutz erstmals wieder im Klassenzimmer traf. „Nein, davon war sicher keine Rede. Kultusministerin Eisenmann sagte lediglich, dass Schülerinnen und Schülern durch die Schließungen keine Nachteile entstehen werden.“
Wie ist die Situation für Auszubildende?
Auszubildende werden in manchen Branchen händeringend gesucht. Auch nach Ausbruch des Coronavirus und den damit einhergehenden unabsehbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten? BLIX fragte nach bei der IHK Ulm. Anfang Mai lagen laut Martina Doleghs, Leiterin des Geschäftsbereichs Bildung und Fachkräfte, noch keine belastbaren Zahlen vor. „Der Ausbildungsmarkt zeigt sich verhalten, was auch daran liegt, dass viele Unternehmen während des Lockdown geschlossen hatten. Generell genießt die duale Ausbildung in unserer Region einen hohen Stellenwert. Die duale Ausbildung schafft auch in der Krise eine solide Grundlage. Schon wegen des demographischen Wandels haben Schulabgängerinnen und Schulabgänger gute Chancen, einen passenden Ausbildungsplatz zu finden. Den Firmen ist schließlich an einer Fachkräftesicherung über die duale Ausbildung gelegen.“
Laut Bundesbildungsministerin Anja Karliczek wurden bundesweit im Vergleich zum Mai 2019 acht Prozent weniger Lehrverträge abgeschlossen. Wie die IHK Region Stuttgart mittteilte seien in Baden-Württemberg rund 15.000 Ausbildungsstellen gefährdet, weil Betriebe in ihrer Existenz bedroht seien und daher Ausbildungsverhältnisse beendet würdet. Die gute Nachricht: Die Arbeitsagentur listet noch immer mehr Angebote als Bewerber auf. Deutschlandweit sind derzeit 33.000 Lehrstellen noch nicht besetzt.
www.ihk-lehrstellenboerse.de www.arbeitsagentur.de/bildung
Autorin: Andrea Reck