Landkreis Biberach - Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der Kulturpreis des Landkreis Biberach für das Jahr 2021 ist vergeben, aber Corona geschuldet noch nicht überreicht. Das soll im Mai geschehen. Die Sopranistin Ingeborg Schöpf und der bildende Künstler Hermann Weber erhalten den Kultur- sowie der Musiker Luke Noa den Förderpreis. Mit Hermann Weber hat die Jury einen Künstler zum Preisträger gekürt, der sich vom dozierenden Kunstprofessor zum protestierenden Aktivisten gemausert hat. Porträt eines Unbequemen.
Der in Mettenberg, einem kleinen Dorf in der Nähe von Biberach, geborene Bauernsohn weilt schon lange nicht mehr in der oberschwäbischen Heimat, was aber seinen Wurzeln keinen Abbruch tut. Hermann Weber (63) ist ein Schaffer sowohl in seinem Atelier in Berg in der Pfalz als auch in der Natur vor der eigenen Haustür und anderswo – zum Beispiel im Risstal, wo er vor einigen Jahren seine Erweckung fand, als er von seinem Bruder Josef, Biobauer und grüner Kommunalpolitiker, erfuhr, dass im nördlichen Risstal zwischen Warthausen und Herrlishöfen ein Industriegebiet geplant sei. 45 Hektar Landwirtschafts- und Naturfläche sollen einem interkommunalen Industriegebiet für örtliche Industriebetriebe, darunter Globel Player wie Liebherr und Handtmann, weichen. Das Verfahren läuft. Wachstum, Arbeitsplätze, Wohlstand hingen davon ab, sagen die Bürgermeister und ist auch die mehrheitliche Meinung der Räte in den Gemeinden Biberach, Warthausen, Schemmerhofen und Maselheim, die sich im IGI Risstal zusammengefunden haben. Das traf ihn, den bis dahin politisch nicht Engagierten wie einen Blitz.
Hermann Weber ist Künstler, er ist parteiisch und er ist betroffen, obwohl er weit entfernt vom Risstal an der französischen Grenze in der Pfalz lebt. Er sei „selbst überrascht“, dass ihm die Nachricht aus der Heimat „schlaflose Nächte“ bereitet habe, erzählt er, der im Wieland-Gymnasium in Biberach das Abitur gemacht hatte und 1981 zum Kunststudium nach Karlsruhe ging. Hermann Weber reüssierte als Künstler und wurde 1996 zum Professor an der Hochschule für Kunst & Design in Halle/Saale berufen. Bereits 1983 erhielt er den Oberschwäbischen Kunstpreis und stellte vielerorts in seiner Heimat aus. Der Maler und Bildhauer war bei der Experimentelle 19 im Schloss Großlaupheim zu sehen und gab erst vor kurzem ein Gastspiel im Rahmen der Bienen-Ausstellung im Biberacher Museum zum Thema „Artensterben“. Lange ignoriert, hat dieses Thema Weber zum politischen Künstler gemacht.
Hermann Weber mit Hund Bruno im Risstal, wo das Industriegebiet entstehen soll. Er ist nicht nur Kritiker des Flächenfraßes, sondern auch der konventionellen Landwirtschaft, die er wegen des Artensterbns ebenfalls in der Pflicht sieht, umzudenken. Foto: Reck
In seinem von ihm herausgegebenen Buch mit dem Titel „Anthropozän. Das große Sterben“ sieht er „die Heimat in Gefahr: das Risstal“. Auf 82 Seiten entwirft Weber eine Kollage aus Bildern von ihm und Jakob Bräckle, Texten verschiedener Herkunft und eigenen Gedichten, die sich kritisch mit dem Anthropozän, dem Menschenzeitalter, beschäftigen, denn „das Risstal ist überall“, erklärt er sein Engagement, das eine tief empfundene Heimatliebe widerspiegelt. Weber klagt an, indem er die Sünden an Natur und Umwelt benennt, die alle längst bekannt sind, die aber beharrlich ignoriert werden, wenn Wachstum und Wohlstand ins Feld geführt werden. So auch wieder im Risstal, fürchtet er.
Es mag am Alter liegen, dass der Mann mit Hund Bruno, sich seiner Wurzeln erinnert und sich ihrer versichert. „Heimat waren die Eltern“, sagt er. Das ist seine Kindheit, mit Geschwistern auf dem Bauernhof, viel Mitarbeit auf dem Feld und Geborgenheit bei Eltern, die mit ihrer Arbeit im Einklang waren, weil sie Sinn ergab. Und einem Maler, dem die Kinder manchmal auf den Feldwegen begegnet sind. Dem sie sich neugierig näherten, aber auch schon bald wieder in Ruhe ließen. Es gab ja viel zu schaffen.
Besagter Maler war Jakob Bräckle (1897-1987), der in Biberach wohnte und seine Landschaftsmotive auch in Mettenberg suchte. Es waren Bräckles Bilder, die „mein Sehen und Schauen von Landschaft und Natur stark mitgeprägt hatten“, und die ihn inspirierten, sich als Künstler gegen das geplante interkommunale Gewerbegebiet im Risstal, seiner Heimat, zu engagieren. Zur Darstellung der besinnungslosen Naturzerstörung und des Artensterbens bedient sich Hermann Weber Motiven von Jakob Bräckle und konfrontiert dessen Kunst mit den verheerenden Folgen moderner Zivilisation, also mit dem, was Bräckle in den letzten 30 Jahren seines Schaffens zwar sah, aber nicht malte. Aber irgendwie doch: Bräckle habe mit seinen leblosen Landschaften und monochromen Farbflächen, „das Verschwinden gemalt“, meint der Kunstprofessor. Sein Thema: das Verschwinden.
Hermann Weber schreibt in seinem Buch: „Vor unseren Augen findet das größte Artensterben statt seit dem Aussterben der Dinosaurier, weil wir so leben, wie wir leben. Wir haben die Möglichkeit, das aufzuhalten, wenn wir uns wirklich der Dimension bewusst sind, was auf dem Spiel steht und davor nicht die Augen verschließen. Wir müssen endlich erkennen, dass wir nicht die Beherrscher, sondern ein Teil in der Gesamtheit des Lebens auf dieser Erde sind. Solange es noch nicht zu spät ist. Wir wollen neue Formen eines verantwortungsvollen Zusammenlebens mit der Natur entwickeln und nach neuen Möglichkeiten und Wegen suchen, die nicht ein ‘Immer weiter so’ als Motto haben. Wohlstand und grenzenloses Wachstum um jeden Preis ist ein Irrweg.“
Leben zwischen Glauben und Wissen
Es sei ein Motiv, mit dem er sich besonders intensiv auseinander gesetzt habe, erklärt der Maler. Er sei erstaunt gewesen, dass er bis zu diesem Auftrag vom Museum Biberach fast nichts von Josef Probst wusste. Das hat sich geändert. Denn der Pfarrer Josef Probst (1823-1905) hat den Künstler herausgefordert. Probst ist in Ehingen geboren und war an mehreren Orten rund um Biberach als Pfarrer tätig, so auch in Mettenberg, dem Geburtsort von Hermann Weber. Zuletzt lebte Probst in Biberach und hinterließ der Stadt seine Sammlungen, die so umfangreich waren, dass sie zur Basis des 1902 gegründeten Stadtmuseums, das Braith-Mali-Museum, wurden. Außer Kunst und Bücher waren es vor allem Funde aus seiner paläontologischen Forschungsarbeit, die er intensiv betrieb. Der Geistliche betätigte sich als Naturwissenschaftler und suchte nach Fossilien, um die geologische Entstehungsgeschichte Oberschwabens zu erforschen. Dabei stand er im intensiven Austausch mit führenden Wissenschaftlern und war seit 1876 Mitglied der Forschungsgemeinschaft Leopoldina. Viel Ehre für einen Dorfpfarrer, der schließlich auch noch Ehrenbürger der Stadt Biberach wurde.
Hermann Weber ist fasziniert von Probst und dessen Leben in zwei so unterschiedlichen Welten: der Schöpfungsgeschichte seiner Kirche, die er studiert hatte, und der Erkenntniswelt seiner Wissenschaft, in der er Autodidakt war. Wie lebte Probst zwischen Glauben und Wissen? Das sei die Frage, der er in seinem Porträt dieses außergewöhnlichen Mannes nachgespürt habe, erklärt der Künstler. Das Geheimnis bleibe.
Autor: Roland Reck