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Ummendorf - Die Gemeinde vor den Toren Biberachs ist ein besonderes Pflaster. Zuerst will der scheidende Bürgermeister Reichert sein Leben nach dem Amt mit einer Lehre zum Koch garnieren (BLIX berichtete), nun hängt der Gemeinderat Simon Özkeles seine Kochschürze an den Nagel und beginnt am 1. September im Laupheimer Rathaus eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Auch wenn nicht alles gelingt, der Mut zu Neuem ist bemerkenswert. Eine Würdigung.

Aber zunächst eine Feststellung: Die Kunst des professionellen Kochens ist immer noch eine Männerdomäne, im Unterschied zur Alltagsküche, in der nach wie vor der Feminismus herrscht. Und noch ein Phänomen: Während im Alltag das weibliche Hantieren mit Töpfen und Kochlöffeln fast geräuschlos von statten geht – essen muss sein! –, buhlt ein lautstarkes Rudel von Fernsehköchen auf allen Kanälen rund um die Uhr um die Gunst der ZuschauerInnen. Die mediale Inszenierung der Nahrungszubereitung habe mit dem professionellen Küchengeschehen so wenig zu tun wie die dramatische Schweißarbeit der unzähligen Fernsehkommissare mit der Routine in Polizeirevieren, behauptet Simon Özkeles, der es wissen sollte, war er doch zehn Jahre im Küchendienst tätig.
Kochen hätte ihn schon als Kind interessiert, erzählt der 29-Jährige, der in Fischbach bei Ummendorf aufgewachsen ist. Simon Özkeles ist auch mit seinem Migrationshintergrund, sein Vater kam Mitte der 70er Jahre aus Istanbul ins Umlachtal, in seiner oberschwäbischen Heimat tief verwurzelt. Hier lebt er mit seinem Freund und engagiert sich in der Kommunalpolitik und vielfach ehrenamtlich. Mit 16 trat er in die SPD ein, war Juso-Kreisvorsitzender und wurde 2014 als jüngstes Mitglied in den Ummendorfer Gemeinderat gewählt. Fünf Jahre später zog er auch in den Biberacher Kreistag ein. Kommunalpolitik mache ihm Spaß, sagt Simon Özkeles, weil man Probleme vor der eigenen Haustüre lösen könne. Ganz praktisch. „Macha id schwätza“, lautet sein Motto.
Das ist auch ein Rezept für die Küche. Denn am Ende wollen alle satt sein. Gelernt hat er seinen Job in der Kantinenküche der EnBW als letzter Auszubildender, bevor die Ausbildungsstelle gestrichen wurde. Und wie in der Gastronomie nicht unüblich, wechselte der Koch öfters den Herd. Drei Jahre war Özkeles Küchenleiter im Biberacher Krankenhaus und absolvierte bei der IHK die Ausbilderqualifikation. Er schaute sich um, sammelte Erfahrungen – darunter auch negative. Kochen sei ein kreativer Beruf, aber mit schlechten Perspektiven. Und „in die große Welt wollte ich nicht“, das habe ihn nicht gereizt, erzählt der Fischbacher, und klingt zufrieden.

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Guten Appetit! GenossInnen beim Kässpätzlamahl. Spontan lud Simon Özkeles 2019 Martin Gerster (links) mit seinem Gast Martin Schulz, der zum Neujahrsempfang der SPD nach Biberach kam, ins elterliche Esszimmer ein. Martin Schulz zeigte sich begeistert von Simons Kässpätzla.

Denn nun bricht er zu neuen Ufern auf. Am 1. September tritt er zur Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten im Laupheimer Rathaus an. Es ist nicht zuletzt sein politisches Engagement, das ihn neugierig machte, zu lernen wie Verwaltung funktioniert. Er wechsle nun „die Seite des Schreibtisches“, erklärt er, denn in der Lokalpolitik habe man ständig mit der Verwaltung vor Ort zu tun. Dass Verwaltung nicht unbedingt sexy ist, stört ihn nicht, er weiß, dass sein zukünftiger Job vielfältig ist und es dort um viele soziale Fragen geht, die das Leben von Menschen unmittelbar betreffen. Das reizt ihn, weil es seine Themen sind, die ihn bewegen.
Gerechtigkeit und Solidarität sind die Kernbotschaften, denen sich der Sozialdemokrat verpflichtet fühlt. Daran mitzuwirken, dass dies gesellschaftliche Realität wird, ist seine politische Motivation. Er bezeichnet sich als „pragmatischer Linker“, dessen Augenmerk sich auf die existenziellen Fragen – Wie bezahle ich meine Heizkosten? – richtet. Das sei ihm wichtiger – auch innerhalb der SPD – als über Gender-Sternchen zu diskutieren. Der Arbeitersohn kritisiert auch die Fokussierung der Bildungspolitik der SPD auf das Abitur. Es brauche „nicht nur Häuptlinge“, der Fachkräftemangel zeige es.
Simon Özkeles hat sich entschieden, „Indianer“ zu bleiben. Vorerst jedenfalls. Denn dass er als Kommunalpolitiker Ambitionen hat, zeigt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Seit März letzten Jahres ist er Vorsitzender der SPD im Kreis Biberach und darin Nachfolger von Martin Gerster. Und wenn der rührige oberschwäbische Bundestagsabgeordnete mit politischer Prominenz aus Berlin auftaucht, sei es der Generalsekretär Kevin Kühnert oder wie zuletzt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, dann ist der Kreisvorsitzende als Mann der Basis ganz vorne dabei – eben nicht nur als Kulisse, sondern auch als Impulsgeber. Das macht Simon Özkeles sichtlich Freude.

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Der Koch und sein Lieblingsgericht: Spaghetti Bolognese – da habe er „ein ziemlich gutes Rezept“. Fotos: Privat

Der 29-Jährige glaubt an die demokratischen Institutionen, sie sind ihm wichtig, und er warnt vor deren Erosion und Delegitimierung durch Rechtsaußen und bürgerlichem Desinteresse. Deshalb organisierte er flugs eine Protestveranstaltung, als sich die AfD in seiner Heimatgemeinde versammelte. Weniger aufgeregt sieht er die Klimakrise, deren Abwendung er vorrangig unter sozialen Gesichtspunkten betrachtet. Sein Statement: „Klimaschutz muss bezahlbar sein.“ Die Maßnahmen müssten sozial verträglich sein, mahnt er. Dass er mit fast 30 voraussichtlich noch zwei Drittel seines Lebens mit den Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen haben wird, scheint ihn nicht zu beunruhigen. Ärgerlich findet er hingegen die Störmaßnahmen der „Letzten Generation“, die dem Klimaschutz abträglich seien. Er fordert die Protestierenden auf, sich parteipolitisch zu engagieren. Sein Weg. Dass die Parteien und die Politiker den Druck der Straße brauchen, damit sie sich bewegen, will er den Klimaaktivisten nicht zugestehen.
Simon Özkeles ist Optimist. „Für mich ist das Glas immer halb voll“, erklärt er und: „Organisation ist das halbe Leben.“ Das kann er, das hat er gelernt als Koch, das hilft ihm bei seinen vielen Töpfen, in denen er rührt, nicht die Übersicht zu verlieren. „Ich bin der handwerkliche Typ“, behauptet der zukünftige Schreibtischarbeiter und meint damit, er sei „Macher“. Dass es dabei auch einen Plan braucht, bestreitet er nicht, dass er auch einen hat, dementiert er noch und ergänzt: „Ich bin Macher, aber ohne Masterplan.“ Aber mit Vorbilder. Gerahmt als schwarz-weiß Porträts verabschieden Willy Brandt und Helmut Schmidt, die beiden sozialdemokratischen Bundeskanzler des letzten Jahrhunderts, den Besucher im Flur der Mietswohnung in Ummendorf. Mal schaun! 

 

Autor: Roland Reck

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