BLIX Banner1

Wanted! Er ist gesucht: der Azubi. Geht der Wettbewerb zu Lasten des Handwerks und des Öffentlichen Dienstes? Ein zorniger Handwerker gibt Auskunft.

Allein im Handwerk gibt es über 130 zukunftsfähige und spannende Ausbildungsberufe zu entdecken, teilt die Handwerkskammer Ulm mit. Viele bleiben ohne Nachwuchs. Woran liegt das? BLIX sprach mit einem Praktiker, der nicht nur in Biberach den Optikerbetrieb „Brillenmacher“ betreibt, sondern auch der Vorsitzende des Handels- und Gewerbevereins in Ummendorf/Fischbach (HGV) ist. Augenoptik ist ein Beruf im Gesundheitshandwerk. Michael Thaluß berichtet im Gespräch: „Wir suchen seit Monaten einen Azubi für dieses oder nächstes Jahr. Bis jetzt gerade mal eine Bewerbung. Der Dame würde ich sofort einen Lehrvertrag anbieten. Gute Sprachkenntnisse, gute Zeugnisse, gute Vorbildung. Das Problem ist: Die Bewerbung kommt aus Marokko, wir wissen ja, wie schwierig das ist wegen der Bürokratie. Eigentlich unmöglich, zumindest für unseren kleinen Betrieb.
Aus dem außereuropäischen Ausland lassen wir niemanden rein. Die German Church School in Addis Abeba/Äthiopien (die der HGV etwa mit Spenden bei seinem letzten Neujahrsempfang unterstützt hat, Anm. der Redaktion) versucht, begabten Schülern mit deutschen Sprachkenntnissen einen Ausbildungsplatz in Deutschland zu vermitteln. Die Hürden werden wohl viel zu hoch sein. Ich würde sofort einen jungen Menschen von dort mit entsprechenden Sprachkenntnissen ausbilden. Es bleibt wohl ein Traum. Es muss einfacher werden, einen jungen Menschen zur Ausbildung nach Deutschland zu holen. Es ist doch besser, den jungen Menschen eine Chance zu geben, als sie in Nussschalen übers Meer zu schicken.
Es ist so, dass wir kleinen Handwerksbetriebe einfach nicht mit den großen Industrieunternehmen um Azubis konkurrieren können. Gründe sind die bessere Bezahlung, die besseren Arbeitszeiten und die angeblich besseren Chancen wegen angeblich besserer Fortbildung. Gegen eine 35 Stundenwoche kommen wir nicht an. Und wer will schon noch Samstag arbeiten, wenn in der Industrie die Vier-Tage-Woche diskutiert wird. Was meiner Ansicht nach Unsinn ist, stehen wir doch vor sehr großen Herausforderungen: Klimawandel, Russlands Angriff, Armut in Deutschland, Inflation, Demographischer Wandel und vieles mehr. Die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche wurde nicht zu Ende gedacht. Wie soll das etwa im Handwerk oder im Gesundheitswesen funktionieren? Wenn dann einige Phantasten meinen, wir könnten alle weniger arbeiten bei vollem Lohnausgleich, dann haben die einfach den Schuss nicht gehört. Gleichzeitig wird ständig davon gesprochen, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Wie passt das zusammen? Soll der Zimmermann noch mit 70 Jahren auf dem Dach rumkraxeln? Natürlich brauchen wir flexiblere Arbeitszeitmodelle. Aber doch eher, damit auch die alleinerziehende Mutter einen guten Verdienst erreichen kann.“
Auf die Frage nach praktikablen Alternativen meint der 59-Jährige: „Wir müssen uns gewaltig anstrengen, um unseren Wohlstand zu erhalten. Dabei bieten gerade kleine Handwerksbetriebe Chancen, die ein Industrieunternehmen nicht bieten kann. Etwa die persönlichere und praxis-orientiertere Ausbildung statt Lehrwerkstätten. Praxis lernt man nur in der Praxis. Ein weiterer Punkt: Viele kleine Betriebe suchen in den nächsten Jahren Nachfolger. Das ist eine Riesenchance. Aber eben nur für Arbeitende, die sich auch reinhängen wollen. Auch einmal 40 oder 45 Stunden arbeiten wollen. Bei dem Begriff Work-Life-Balance stehen mir die wenigen Haare zu Berge. Das ist doch ein Wohlstandsproblem. Wir haben in Deutschland so viele Menschen, die an oder unter der Armutsgrenze leben. Die zwei Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. 2,9 Millionen Kinder leben in unserem Land in Armut. Was deren Eltern wohl zu Work-Life-Balance sagen?
Viele Menschen in Armut haben keinen Schul- oder Berufsabschluss. Auch hier müssen wir ansetzen, deren Potential aktivieren. Das ist ein Schatz, der gehoben werden muss. Wenn sich dann alle Menschen in Deutschland Gedanken über Work-Life-Balance machen können, dann gerne. Dazu gehört aber auch, den Bildungsauftrag der Schulen besser umzusetzen. Der HGV wollte auf Anregung der Umlachtalschule eine Kooperation starten zum Thema Ausbildung. Aber die Werkrealschule wird wegen zu geringer Anmeldungszahlen bald geschlossen, von da kommt nichts mehr. Jammerschade! Aber so lange viele Eltern glauben, nur mit Abitur haben ihre Kinder Chancen, so lange werden Schulen wie die Umlachtalschule geschlossen. Auch ich habe Abitur. Hätte meinen Beruf auch studieren können. Dann wäre ich in die Industrie gegangen. Mir war die Praxis lieber. Und die Selbstständigkeit.
Das Problem der Bezahlung ist: In unserem Beruf und auch in vielen anderen Lehrberufen ist der Azubi in den ersten beiden Jahren nicht kostendeckend. Deshalb kann ein kleiner Betrieb auch nicht mehr bezahlen. Der Kostendruck ist zu hoch. Ein Industriebetrieb kann das finanziell locker verkraften. Zumal die Industrie jährlich Milliarden an Subventionen kassiert. Warum subventioniert man nicht massiv die Ausbildung von Menschen ohne Berufsabschluss im Handwerk? Damit auch jemand mit Mitte 20 sich noch eine Ausbildung erlauben kann. Kommt dazu, dass eine Lehre heute nicht mehr als ‚cool’ gilt. Viele schauen auf Handwerker von oben herab. Aber ohne Handwerk geht nichts. Es gibt Gegenden in Deutschland, da gibt es keinen Metzger und keinen Bäcker mehr. Von Friseuren ganz zu schweigen.
Die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen haben unseren Wohlstand aufgebaut. Es kommt mir so vor, als hätten wir nachfolgenden Generationen alle Hüftspeck angesetzt. Wir sind zu unbeweglich geworden. Ich vermisse die Beweglichkeit gerade bei vielen jungen Menschen, die leider TikTok und Instagram für das wahre Leben halten und in der Probezeit die Lehre abbrechen, weil sie die Arbeitswelt so nicht kennen. Also müssen wir auch versuchen, diese Abbrecherquote zu minimieren. Handwerk ist spannend.“

Autorin: Andrea Reck

­