Villingen-Schwenningen - Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern? Keine gute, wenn nicht größere Anstrengungen in Sachen Klimaschutz unternommen werden, findet Dr. Barbara Schramkowski, Professorin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen. Hier leitet sie den Studiengang Soziale Arbeit an der Fakultät Sozialwesen. In ihrem Fachgebiet beschäftigt sie sich intensiv mit Fragen des Bezugs von sozialer Arbeit und Klimagerechtigkeit, Kinderrechten und den Folgen von Armut und Ungleichheit in der Gesellschaft für Kinder.
Wissenschaftliches Arbeiten, die Veröffentlichung von Aufsätzen und Büchern und das Halten von Vorträgen reichen ihrer Ansicht nicht mehr aus, um Kindern einen besseren Planeten zu hinterlassen. Deswegen versteht sie sich als Aktivistin, unterstützt unter anderem die Bewegung Fridays for Future beziehungsweise Scientist for Future sowie die Letzte Generation. Sie lebt mit ihrer Familie in Freiburg. „Je mehr ich mich mit dem Thema Klimaschutz befasst habe, desto erschrockener bin ich über die Auswirkungen der Erderhitzung für künftige Generationen.“ Die Beschäftigung mit dem Thema habe auch die Familie verändert. „Wir leben vegan, haben unser Auto verkauft und fahren nur noch mit dem Zug in Urlaub.“
Barbara Schramkowski reiste Anfang des Jahres nach Essen vor den Konzernsitz von RWE, um gegen den Abriss des Dorfes Lützerath zum Kohleabbau zu demonstrieren. Sie gehörte bei einer Straßenblockade der Letzten Generation Unter den Linden in Berlin am 17. Februar zu einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich als UnterstützerInnen zu Wort meldeten. Diese Engagement betreibe sie als Privatperson und nicht unter der Flagge der DHBW. Ihr ist klar, dass insbesondere die Aktionen der Letzten Generation umstritten sind und oft heftige negative Gegenreaktionen provozieren – egal ob Straßenblockaden, Aktionen in Museen oder – wie zuletzt – das Beschmieren des Grundgesetzdenkmals in Berlin. Aktivisten müssen sich auf der einen Seite vor Gerichten wegen Nötigung verantworten. Auf der anderen Seite reagierten Oberbürgermeister einiger größere Städte mit Gesprächsangeboten, andere wiederum werten die Aktionsformen als „Erpressung“ und lehnen einen Austausch daher rundweg ab. Schramkowski weist darauf hin, dass es sich um Aktionen des gewaltfreien zivilen Ungehorsams als Reaktion auf die Dramatik der Lage handele.

Dr. Barbara Schramkowski, Professorin an der Fakultät Sozialwesen der Dualen Hochschule in Schwenningen. Am 17. Februar gehörte sie zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eine Straßenblockade von Aktivisten der Letzten Generation in Berlin unterstützte.
Die Bundesregierung setze ihre selbst gesetzten Ziele zum Klimaschutz nur langsam um. „Das Regierungshandeln trägt aktuell nicht dazu bei, das 1,5-Grad-Ziel auch tatsächlich einzuhalten“, kritisiert die Wissenschaftlerin. Im Pariser Klimaabkommen habe sich die Weltgemeinschaft darauf verständigt, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Ein neuer Bericht der Welt-Meteorologie-Organisation gehe davon aus, dass dieser Wert schon bis 2026 überschritten werden könnte, mahnt Schramkowski. „Junge Menschen müssen befürchten, dass die Klimaerhitzung ihre Zukunftsaussichten deutlich verschlechtert und sind gefrustet, dass die Politik sich so langsam bewegt.“ Die Subventionierung der Anschaffung von Elektroautos gaukele technische Lösungen vor, kritisiert die Professorin. „Wo soll denn der ganze Strom für die Elektromobilität herkommen, wenn der Autoverkehr nicht deutlich reduziert wird?“ Während die Bundesregierung viel Geld für die Förderung von E-Autos ausgebe, sei jedes vierte bis fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen und lebe in Familien, die gar kein Auto kaufen könnten.
Die Hochschullehrerin verweist auf eine Erklärung der Deutschen Gesellschaft für soziale Arbeit. Darin heißt es unter anderem: „Die Folgen der Klimakrise und der Zerstörung von Ökosystemen sind zutiefst verknüpft mit sozialen Ungleichheiten: So sind Menschen, die über wenig Ressourcen verfügen und kaum Verantwortung für das Entstehen dieser Krisen tragen, besonders stark von den Auswirkungen betroffen.“ Konkret: Wegen schlechter Wohnverhältnisse und -lagen litten sie stärker unter der Luftverschmutzung, müssten höhere Energiekosten schultern und trügen wegen knapper finanzieller Mittel kaum zu den negativen Folgen von Konsum wie etwa Flugreisen bei.

Die einen sehen in der „Letzten Generation“ nur ein Ärgernis und StraftäterInnen, die anderen eine bittere Notwendigkeit.
In einem aktuellen Aufsatz, der im Sommer im Themenheft des Sozialmagazins „Klimakrise und Nachhaltigkeit“ erscheint, beschäftigt sie sich zusammen mit dem Co-Autor Ingo Stamm mit der Frage, ob infolge der ökologischen Schäden von einer chronischen Kinderrechtsverletzung gesprochen werden kann, die die Gefährdung des Kindeswohls einschließt. Kinder und Jugendliche seien durch Folgen von Klimakrise und Umweltzerstörung besonders belastet. Neben körperlichen könne man psychische und psychosoziale Belastungen klar nachweisen. Aktuell habe die Corona-Krise sichtbar werden lassen, wie wenig Rechte und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Fokus von politischem Handeln stünden. Das müsse sich dringend ändern.
Die Wissenschaft müsse mutiger agieren, sagt sie. Ihren Teil will sie dazu beitragen. An Hochschulen wie der DHBW sieht sie positive Entwicklungen, es würden vermehrt Tagungen auch zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien angeboten und über das Engagement von Studierenden diskutiert.
Forderungen der Letzten Generation
Das sind die Forderungen der Klimaaktivisten der Letzten Generation, die von vielen als „Klimaterroristen“ angefeindet werden.
1. Ein Tempolimit von 100 km/h! Ein Tempolimit von 100 km/h würde jährlich mehr als 6,7 Millionen Tonnen CO2 vermeiden. Das ist fast so viel, wie die Länder Costa Rica oder Paraguay im Jahr ausstoßen. In dieser lebensbedrohlichen Menschheitskrise bedarf es jeder Einsparung.
2. Ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket! Bezahlbare Bahnen in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten sind gerecht! Außerdem würde ein 9-Euro-Ticket auch einiges an CO₂ einsparen.
3. Bildung eines Gesellschaftsrats! In einem Gesellschaftsrat kommen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten Deutschlands zusammen und erarbeiten mithilfe von Expert:innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Maßnahmen, wie es weitergehen kann. Die Teilnehmenden werden per Los gefunden, zusammen bilden sie ein Deutschland im Kleinen ab.
Veganer:innen und Autofans diskutieren gemeinsame Lösungen, denn auch sie haben ein geteiltes Interesse: die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zu schützen und den Weg dahin sozial gerecht zu gestalten.
Deshalb fordern wir
• die Bundesregierung dazu auf, einen Gesellschaftsrat einzuberufen, der Maßnahmen erarbeitet, wie Deutschland bis 2030 emissionsfrei wird.
• dass die Regierung öffentlich zusagt, die mit den erarbeiteten Maßnahmen verbundenen Gesetzesvorhaben in das Parlament einzubringen.
• dass die Regierung für die Maßnahmen und Gesetzesvorhaben nötige Überzeugungsarbeit im Parlament leistet.
• dass die Regierung öffentlich zusagt, nach Verabschiedung der Gesetze diese in einer beispiellosen Geschwindigkeit und Entschlossenheit umzusetzen.
Autorin: Cornelia Hellweg
Fotos: Cornelia Hellweg/Letzte Generation
