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Ochsenhausen - Unterricht in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) ist langweilig? Nicht im Gymnasium Ochsenhausen.

Das Gymnasium Ochsenhausen (GO) wurde 2022 für weitere drei Jahre als MINT-freundliche Schule ausgezeichnet. Ein Besuch am Ochsenhauser Standort des Schülerforschungszentrums Südwürttemberg (SFZ) am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien macht der Reporterin schnell klar, warum hier ein anderes Lernklima herrscht. Da trifft man zunächst sehr engagierte Lehrende. Studiendirektor Tobias Beck (45) unterrichtet Mathe, Physik und Naturwissenschaft und Technik (NwT). NwT ist seit 2007 in der Mittelstufe ein Hauptfach, doch das GO ist die einzige Schule im Umkreis, die das Fach bis zum Abitur anbietet. Mit innerschulischen Motivations- und Wertschätzungsinstrumenten von der fünften Klasse an wecken er und seine Kollegen und Kolleginnen Interesse. So gibt es etwa das Junior-Forscher-Team in Klasse 5 und 6 als Arbeitsgemeinschaft, den Junior Mint-Pokal für Interessierte ganzjährig, das Wasserrad-Team, das ein eigenes Kraftwerk mit Schnittstellen in den Unterricht konstruiert hat, einen eigenen Mathe-Schulpreis und einiges mehr. „Wir betreiben hier Talent-Scouting“, erklärt Beck. „Bei Konferenzen schauen wir nicht nur, welche Schüler gefährdet sind, sondern auch welche besonders begabt sind. Wichtig ist uns allerdings auch die Förderung des Team-Gedankens.“ Seine Kollegin, Oberstudienrätin Nadja Titze, freut sich, dass in die Junior-Forscher-AG, die sie in den Einstiegsklassen anbietet, vor allem Mädchen kommen.

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Jonas Kriegel experimentiert am Windkanal.

Freitags und am Wochenende freiwillig forschen
Im SFZ herrscht an diesem Freitagnachmittag eine entspannte Stimmung. Es sind mehrheitlich Jungs, die zu zweit oder alleine vor dem Laptop sitzen oder an selbst konstruierten Versuchsaufbauten arbeiten. Vier Fünftel der 60 regelmäßig an den SFZ-Aktivitäten Teilnehmenden sind männlich, schätzt Beck. An diesem Freitagnachmittag sitzen jedoch auch Finja Espenlaub (10) und Melissa Jendrusch (10) aus der 5a vor einem verkabelten Gebilde. „Wir wollen einen Roboter bauen, der vielleicht auch tanzen kann“, erklären sie stolz.
Im Raum nebenan, dessen gekachelte Wand ein Portrait von Albert Einstein ziert, arbeitet Jonas Kriegel (16) aus Wain am Windkanal. Er macht schon seit fünf Jahren mit im SFZ. Am selbst konstruierten Windkanal untersucht er Strömungseigenschaften von Flugzeugen. Geduldig, freundlich und wortgewandt erklärt er seinen eindrucksvollen Versuchsaufbau. Er will auch während der Ferien weiterarbeiten. Angesprochen auf seinen Berufswunsch meint er: „Ich belege Leistungskurse in Mathe, Physik und Chemie. Was das Studium angeht, schwanke ich noch zwischen Informatik und Physik“. Mit Freude beobachtet Tobias Beck, dass viele Schüler ihre Leidenschaft zum Beruf machen. „Ich schätze 95 Prozent unserer SFZ-Teilnehmer studieren ein MINT-Fach oder machen eine entsprechende Ausbildung. Die müssen wir auch nicht aus der Nerd-Ecke herausholen. Wir sind wirklich stolz, dass wir hier so coole Leute haben. Bei uns hat sich eine Kultur der Wertschätzung für Erfolge etabliert. Wenn man beim Fußball ein Tor schießt, wird man ja schließlich auch gelobt. Aus allen neun SFZ-Standorten schicken wir jedes Jahr Teams zu nationalen und internationalen Wettbewerben und auf die Erfindermesse nach Nürnberg. Das fördert das Selbstbewusstsein.“
Die gleichermaßen im Umgang lockere wie bei der Arbeit konzentrierte Atmosphäre lässt sich schnell erspüren. Hier werden Jugendliche wirklich ernst genommen, man traut ihnen etwas zu und hilft nur, wenn es wirklich nötig ist. Tobias Beck freut sich sichtlich über die freiwillige Arbeit der pfiffigen Schüler. „Für mich sind die Freitagnachmittage und die SFZ-Wochenenden wie Urlaub,“ strahlt er. Neben den Lehrkräften sind an den Freitagnachmittagen auch studentische Hilfskräfte da, die Fachwissen und neue Ideen mitbringen. „Auch über Ehrenamtliche freuen wir uns, die hier ihre Berufserfahrung einbringen“, sagt Beck.

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Von links: Die Lehrkräfte Nadja Titze, Tobias Beck und Martin Trick sowie die studentische Hilfskraft Matthias Ruf (2. von rechts) im SFZ am Gymnasium Ochsenhausen. 

Forscher-Teams machen sich fit
Wichtig sind neben den sehr engagierten Lehrkräften die Kooperationen mit externen Partnern wie dem SFZ und der Industrie. „Wir profitieren von hiesigen Firmen wie etwa Südpack, die dem SFZ einen hochmodernen Lasercutter gespendet habe“, betont Beck. Liebherr war SFZ-Schülern hilfreich, die eine eigene Fräse gebaut haben und hat einen eigenen Mathe-Preis ausgelobt. Auch die anderen Bildungspartner wie Boehringer-Ingelheim, Max Wild und Wolfmaier unterstützen die MINT-Arbeit an der Schule. Über das SFZ funktioniert die Verzahnung von Talentsuche und Breitenförderung im Umfeld des Unterrichts mit der individuellen Spitzenförderung außerhalb der Schule. Forscher-Teams machen sich fit für Wettbewerbe wie „Jugend forscht“ und Ingenieurwettbewerbe. Daneben gibt es Events für das Gruppengefühl und Projekt-Workshops für Inhalte jenseits des Unterrichts wie etwa der Umgang mit einer Hochgeschwindigkeitskamera.
Die Hochschule Biberach unterstützt mit wissenschaftlicher Expertise verschiedene Projekte. Matthias Ruf, ein früherer Schüler, mittlerweile Student der Uni Ulm, schreibt derzeit seine Bachelor-Arbeit über ein automatisiertes Messwert-Erfassungssystem, das am GO und am SFZ getestet und eingesetzt werden soll.
Mit dem Erreichten gibt man sich natürlich nicht zufrieden. Im bevorstehenden Schul-Umbau soll das SFZ weiterentwickelt werden. Ein so genannter Maker-Space ist geplant, mit einfacherem Zugang und längeren Öffnungszeiten für Tüftlergruppen und Angeboten für junge ErfinderInnen. Das Robotik-Team soll weiterentwickelt werden und natürlich das Mathe-Team.
Die Forschenden des GO werden bei diesen idealen Rahmenbedingungen und mit Lehrenden, die selbst für ihr Fach brennen, weiter von sich hören lassen. Kaum zu erwarten, dass sie wie die Journalistin noch Jahrzehnte später an angstbesetzte Mathe- und Physik-Stunden zurückdenken werden, in denen kaum praxisorientierte Anwendungsmöglichkeiten diskutiert wurden.

 

Der Forscher

Mit seinem Projekt „Ampfer-Mampfer“ wurde Christian Krause vom GO 2022 mit vierzehn Jahren Landessieger beim Baden-Württembergischen „Schüler experimentieren“. Im November präsentierte er seine Forschungsarbeit am Institut für Agrartechnik, Fachgebiet Künstliche Intelligenz in der Agrartechnik, an der Uni Hohenheim. Seine Software identifiziert mit Hilfe von Fotodrohnen automatisiert Ampferpflanzen, die als Unkraut auf dem Acker gelten. Ein Roboter soll die unerwünschten Pflanzen dann entfernen und dadurch den Einsatz von Spritzmitteln überflüssig machen. Die Hohenheimer Forscher lobten den Vierzehnjährigen: „Ein großartiges Projekt, das die richtigen Fragen stellt und die richtigen Methoden anwendet.“

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Christian Krause programmiert nach seinem Ampfer-Mampfer nun ein Projekt für Jugend forscht.

Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien sitzt der mittlerweile Fünfzehjährige in den SFZ-Räumen des Gymnasiums Ochsenhausen. Der Schüler, dessen Eltern in Rottum einen Bio-Hof bewirtschaften, öffnet auf dem Laptop seine Präsentation, die ihm so viel Anerkennung beschert hat. Bescheiden erklärt er: „Ich habe mich mit KI beschäftigt“. Künstliche Intelligenz also. Routiniert klickt er durch seine Präsentation, zoomt Stellen heran, auf denen besonders dichter Amper-Wuchs zu sehen ist. Ein Unkraut, oder wie Bio-Landwirte sagen, ein Beikraut. „Um KI zu trainieren braucht man sehr viele Bilder“, erklärt er mir. Mit einer ausgeliehenen Drohne fotografierte er auf dem elterlichen Feld. Er entwickelte einen Algorithmus, der die Position der Ampferpflanzen schließlich in GPS-Daten angibt, wo Unkrautroboter sie gezielt ausreißen können. Wenn ich ihn richtig verstanden habe …Auf dem Bildschirm vergleicht er verschiedene Netzarchitekturen. Ich kann ihm leider – zumindest in diesem Tempo – nicht folgen. Beeindruckt frage ich, wie ihm das alles gelingen konnte. „Ich habe hier in der Schule den Einstieg gefunden. Vor zwei Jahren habe ich angefangen zu programmieren. Heute ist es ja einfach, sich auch mit Hilfe des Internets etwas beizubringen“, erklärt er und kommt zu seinem derzeitigen Projekt. Es handelt sich darum, eine neue Programmiersprache zu entwickeln, die die Arbeit mit dem bekannten Arduino-Kleincomputer einfacher und leistungsfähiger zu machen. Hä? Christian versucht, mir dieses Steuersystem zu erklären, aber ich fürchte, das würde länger dauern. Da er am 16. Januar die schriftliche Ausarbeitung bei „Jugend forscht“ einreichen muss, möchte ich seine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Er nickt verständnisvoll und erzählt, dass er sein Ampfer-Mampfer-Projekt auch schon in der Klasse vorgestellt habe, aber das sei eben nicht so einfach in nur zwanzig Minuten. Ich frage noch schnell, wie es denn allgemein läuft in der Schule bei ihm. „In den anderen Fächern bin ich auch recht gut. Zum Glück. Sonst hätte ich ja nicht so viel Zeit für meine Projekte.“ Und Christian ist trotz seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten in der Klasse total gut integriert. Er wurde sogar zum Klassensprecher gewählt.

 

Text uns Fotos: Andrea Reck

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