BLIX Banner1

Als minimalistischen Luxus empfinden Menschen, die bewusst auf wenigen Quadratmetern dafür aber mitten in der Natur wohnen, ihre Lebensweise. Ein Fotograf sammelte eindrucksvolle Bilder und Geschichten vom Drinnen- und Draußenleben.

 Wohnen auf kleinster Fläche in einem so genannten Tiny House – für viele unvorstellbar, für andere ein Wunschtraum. Soll irgendwo ein Gebiet ausgewiesen werden, auf dem Menschen sich auf 15, 25 oder 35 Quadratmeter Wohnfläche einrichten wollen, formiert sich schnell Widerstand. Diffuse Ängste vor Freaks in der Nachbarschaft, gescheiterten Existenzen, campingplatzartigen Wagenburgen, Einschränkungen des Naturschutzes oder was auch immer, machen sich breit, wie etwa in Ummendorf. Nur wenige Kommunen erkennen das städtebauliche Potenzial der minimalistischen Wohnform und weisen Grundstücke aus, wie das ebenfalls im Landkreis Biberach gelegene Burgrieden. Die Betreiber der Tiny Manufaktur Huchler erhielten durch die Umwidmung der bisherigen landwirtschaftlichen Fläche durch die Verwaltungsgemeinschaft Laupheim im März 2022 den Startschuss. Auf 1,2 Hektar am Ortsrand von Rot entstehen 25 Minihäuser. Die Preise der sechs zur Verfügung stehenden Haustypen beginnen bei 60.000 Euro. Zehn Häuser sind bereits verkauft.
Fasziniert von dieser Wohnform sind Menschen jeden Alters, verschiedenster Berufe und Einkommensverhältnisse. Seit vier Jahren erscheint das Jahresmagazin Kleiner Wohnen im Allensbacher Laible Verlag, der sich auf Bauthemen spezialisiert hat. Da geht es um Architektur, Baurecht, Energie-Effizienz, Nachhaltigkeitsstandards und vieles mehr rund um Mikrohäuser und modularen Wohnungsbau.
Ganz nah an den Bewohnern ist das einmalig erscheinende Kleiner Wohnen Spezial. Ludolf Dahmen (49), Kölner Fotograf und Reportage-Autor, hat dafür Singles, Paare und Familien besucht, die in einem Tiny House leben. Er hat sie teilweise über zehn Jahre lang beobachtet, begleitet, befragt und schließlich fotografiert. Entstanden sind 13 einfühlsame Porträts, die auf 80 Seiten abgedruckt sind. Er fragt nach, warum sich die Menschen für diese Wohnform entschieden und ob sich ihre Hoffnungen erfüllt haben. Dabei zeigt er auch die Unterschiede: klein ist eben nicht gleich klein und ungleich sind auch die Menschen, die sich für eine alternative Wohn- und Lebensweise entschieden haben.
Dahmen besucht beispielsweise Robert in einem kleinen Dorf in Brandenburg, dessen Bauwagen sich neben drei anderen winzigen Häusern und einem Toilettenhäuschen zwischen Bäumen duckt. Für 300 Euro erworben und selbst ausgebaut, bietet es Platz für einen Computer-Arbeitsplatz. Robert besitzt wenig. Vor einer Videokonferenz tauscht er einen seiner drei privaten Pullover gegen einen seiner drei beruflichen. In der Außenküche kocht er mit Gas, Wasser gibt’s aus dem Kanister. Trotz Stromanschluss verzichtet er auf einen Kühlschrank. Wäsche darf er beim Nachbarn waschen. Im Winter empfinde er seinen Wagen als gemütliche Höhle und im Sommer lebe er quasi draußen. Mehr brauche er nicht, betont er.
Bernd aus der Eifel hatte in seinem Tiny House auf Rädern eine separate Dusche mit WC, suchte aber vergeblich nach einem geeigneten Standort für den Wagen. Mittlerweile erreicht er die gewünschte problemlose Mobilität mit einem Wohnwagen auf Campingplätzen. Für Bernd eine Zwischenlösung, bis es einheitliche gesetzliche Regelungen zum legalen Abstellen von Tiny Houses gibt.
Von Hamburg ins Wendland zog Werbetexterin Nicole mit ihrem Partner Carsten, der als Heilpraktiker arbeitete. Ihr Häuschen bauten sie selbst auf einem DDR-Castor-Bauwagen. Nach drei Jahren konnten sie endlich ein passendes Grundstück am Waldrand kaufen. Sie pflanzen viel an, wollen Regenwasser durch Filterung als Nutzwasser brauchbar machen und Strom mit einer Solaranlage gewinnen.
Ebenfalls im Wendland lebt Axel, der in der Nähe seiner Holz- und Metallwerkstatt neben einem Badeteich ein um 330° zur energetisch besten Wetterseite drehbares Haus konstruiert hat. Auf nur fünf mal fünf Meter Grundfläche erhebt sich ein luftiges Haus mit großer Glasfront und fünfeinhalb Meter Raumhöhe mit Galerie, auf der sich Bett, Büro und Kleiderschrank befinden. Er kombinierte ökologische Nachhaltigkeit raffiniert mit Komfort und Großzügigkeit. Recycelte Haustechnik und ökologisches Baumaterial wie Holz, Reet, Seegras und etwas Lehm sorgen für ein gutes Raumklima. Solarzellen auf dem Dach machen das Haus weitgehend energieautark. Tüftler und Tango-Liebhaber Axel gelang es sogar, sein drehendes Haus an die Wasser- und Abwasserversorgung anzuschließen.
Und dann gibt es noch die berührende Geschichte von Ulrike und Jürgen aus dem Mittelrheintal, beim ersten Kontakt mit dem Fotografen seit 24 Jahren nach nepalesischem Brauch verheiratet. Aus den ersten Ehen gibt es fünf Kinder und sieben Enkel. Sie entscheiden sich kurz vor dem Ruhestand für ein Tiny House, um zu bezahlbarem Eigentum zu kommen. Ein Zimmermann aus Boppard konstruierte ihnen in biologischer Holzbauweise auf Punktfundamenten zwei versetzt zueinander aufgestellte Baukörper mit insgesamt 48 Quadratmetern Wohnfläche mit Wohnküche in der Mitte. Jürgens Klavier fand leider keinen Platz mehr im Haus auf einem ehemaligen Campingplatz, wo auch andere Tiny Houses entstanden. Ulrike entdeckte ihre Liebe zum Gärtnern, das lockere Miteinander gefiel allen. Im Februar 2022 starb Ulrike wenige Monate nach der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Jürgen wohnt jetzt alleine im Haus. Neben Familie und Freunden helfen ihm in seiner Trauer auch die neuen Nachbarn.

Beide Magazine sind im Buchhandel oder beim Verlag Laible für je 8,90 EUR erhältlich.

Infos unter:

www.insideout-tinyhouse.de
www.ludolfdahmen.de
www.verlagsprojekte.de

 

Autorin: Andrea Reck

­