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Ulm - Im Sauseschritt, bepackt mit ihrer Kletterausrüstung, kommt Charlie Kiehne aus dem Wald gerannt. Ort des Geschehens: das Baumcamp im Altdorfer Wald, in der Nähe von Wolfegg. Die 19-Jährige muss den nächsten Zug nach Ulm erwischen, wo sie am nächsten Morgen in der Nähe der Uniklinik auf Bäume klettern wird, um sie vor der Motorsäge zu schützen. Das Areal soll abgeholzt werden, um im Rahmen von größeren Baumaßnahmen Platz für ein provisorisches Gebäude zu schaffen, so beschlossen nach kontroverser Diskussion im Ulmer Stadtrat. Ein No-Go für die Waldschützer, die seit einem Jahr im „Alti“ eine Kiesgrube verhindern. Dort sind es hauptsächlich Fichten, die von der Säge bedroht sind, in Ulm handelt es sich um Eichen. Eine Baumart, die dem Klimawandel am ehesten standhält. Für die gebürtige Ulmerin, die den Wald von Kindesbeinen an kennt, ein Grund mehr, ihn zu schützen. Seit 21. Februar sitzt die junge Frau mit weiteren MitstreiterInnen auf den Bäumen oder diskutiert mit den Passanten, die sie alle ermutigen würden, freut sich die Aktivistin. BLIX sprach mit ihr.

 

Charlie, du bist Einser-Abiturientin, hast du nichts Besseres zu tun, als auf Bäume zu klettern?

Ich glaube nicht, dass mein Einser-Abitur mich aus der Verantwortung nimmt, alles zu tun, was möglich ist, um die Klimakatastrophe einzudämmen, nur weil mir alle Tore hinsichtlich einer Karriere offenstehen. Ich könnte natürlich etwas Prestigereiches studieren, damit kann ich aber in Zukunft reichlich wenig anfangen, wenn uns das Klima um die Ohren fliegt. Denn dann ist es egal, wie viel Geld bei mir auf dem Konto liegt. Ich habe die nötigen Kletterkenntnisse für diese Protestform und sehe dort im Moment deutlich mehr Selbstwirksamkeit, um die dringend notwendigen Veränderungen anzustoßen. Also nein, ich habe im Moment nichts Besseres zu tun, als auf Bäume zu steigen, da meine Sorge um die Zukunft jegliche Ambitionen hinsichtlich Berufsleben überschattet.

 

Deine ‚Kletterlehre‘ hast du im Altdorfer Wald absolviert. Dort geht es um Kiesabbau und damit um Ressourcenverbrauch, warum besetzt ihr nun Bäume bei der Uniklinik in Ulm, wo ein Krankenhausgebäude entstehen soll?

In Ulm demonstrieren wir dagegen, dass alte Bäume einem temporären Projekt weichen sollen. Und das trotz ausreichender Alternativen. Die Bäume sollen für die Zeit einer Renovierung Platz machen für ein temporäres Bettenlager. Genau wie im Alti machen wir deutlich, dass es nicht sein kann, dass in Zeiten der Klimakatastrophe gesunde, alte Bäume für unnötige Projekte weichen müssen. Wir beobachten an so vielen Stellen, dass im Zweifel immer die Natur dran glauben muss, da sie allem untergeordnet wird. Dabei ist sie eine unserer engsten Verbündeten in der Eindämmung der Klimakatastrophe. Wir schaden uns durch diese Zerstörung langfristig nur selbst. Dass hier dann mit scheinheiligen Aussagen, wie versprochenen Ersatzpflanzungen oder ein Abstreiten der Zuständigkeit, das Projekt von Seiten der Stadt legitimiert wird, zeigt uns wieder, dass dort die Dringlichkeit der Klimakatastrophe und das nötige Handeln noch immer nicht verstanden wurde. Ganz wichtig ist hierbei, dass wir nicht gegen Krankenhäuser sind, ganz im Gegenteil, es sollte viel mehr Geld in unser Gesundheitssystem fließen. Die Klinik ist übrigens auch unserer Meinung, dass dieser Wald erhalten bleiben sollte!

 

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Die Eichen sollen der Erweiterung der Uni-Klinik weichen. Dazu gibt es Alternativen, erklären die Aktivisten und wollen die Fällung der Bäume verhindern.

 

Ist Ulm für dich ein ‚Heimspiel‘, weil du Ulmerin bist und in Ulm zur Schule gegangen bist? Wie fielen die ersten Reaktionen aus? Was ist euer Ziel?

Noch nie erhielt Widerstand, an dem ich beteiligt war, so viel Zuspruch wie hier. Absolut alle Passant*innen, die bislang bei der Besetzung vorbeikamen, dankten uns für unsere Arbeit und erkundigten sich, wie sie bei der Waldverteidigung mithelfen können. Der Zuspruch von außen bestätigt uns auch immer wieder darin, dass dieses Projekt von keinem gewollt ist. Menschen gehen hier spazieren, es ist der Arbeitsweg und Erholungsgebiet. Als Kind war ich oft in diesem Wald, habe etwa dort meine Geburtstage gefeiert. Die lieb gewonnenen Kindheitserinnerungen geben mir die Kraft, die ich brauche, um mich emotional gegen die Kriminalisierung durch die Behörden zu schützen. Unser Ziel ist in erster Linie, diesen Wald zu schützen und das indem wir ganz pragmatisch sagen, ‚diese Bäume können nicht fallen solange ich drauf sitze‘. Gleichzeitig entfachen wir damit auch den Diskurs um das Projekt und hoffen, dass die Entscheidung noch einmal überdacht wird, jetzt wo man sieht, wie groß der Widerstand in der Bevölkerung ist.

Sekundär zeigen wir der Stadt Ulm auch, dass solche Projekte nicht mehr länger stillschweigend geduldet werden, sondern es massiven Widerstand in der Bevölkerung gibt, welche sich dann auch mit viel Vehemenz dagegen stellt. Der Stadt Ulm soll klar sein, dass wir ihr sehr genau auf die Finger schauen und wenn nötig auch auf die Finger hauen, wenn sie weiter klimazerstörende Projekte zulässt.

 

Grundsätzlich: Was treibt dich auf die Bäume, wie und warum bist du Aktivistin geworden?

Ich habe 2019 über Fridays for Future angefangen auf die Straße zu gehen, hatte mich davor auch schon viel mit der Thematik auseinander gesetzt. Nach über einem Jahr Protest ohne nennenswerte Veränderung habe ich angefangen, auch Aktionen des Zivilen Ungehorsams zu machen, da ich gemerkt habe, dass wir mit Demos nicht mehr wirklich weiterkommen und nur Begleitfolklore des Unabwendbaren sind. Immer mehr hat mich die Problematik in allen Lebensbereichen begleitet und meine Sorge und bald auch Angst um die Zukunft hat mich dazu gebracht, immer mehr Zeit in den Aktivismus zu stecken und auch über alternative Aktionsformen nachzudenken. Durch immer mehr Austausch auch mit anderen Aktivist*innen bin ich zum Kletteraktivismus gekommen und habe darin eine Aktionsform gefunden, die mir gut liegt. Ich kann nicht einfach so mit ansehen, wie unsere Lebensgrundlage immer weiter zerstört wird, sondern will es zumindest versucht haben, eine bessere Welt zu gestalten. 

 

Du bist bereits wegen einer Kletteraktion auf die Basilika in Weingarten zu 30 Arbeitsstunden verurteilt worden, findest du die Strafe gerechtfertigt?

Ich bin der Meinung, dass es bei diesen Prozessen nicht nur darum geht, ob etwas rechtlich richtig oder falsch war, sondern viel mehr darum, unseren politischen Protest zu delegitimieren und uns einzuschüchtern. Wir legen es mit unseren Aktionen nicht darauf an, Gesetze zu brechen ganz im Gegenteil, wir informieren uns im Voraus meist ganz genau, um das zu verhindern. Natürlich nutzen wir die Grenzen des Legalen aus, aber bleiben, zumindest der anwaltschaftlichen Einschätzung nach, immer innerhalb dieser Grenzen. Die Strafe an sich, wäre sie juristisch gerechtfertigt, ist für mich keine Strafe, da ich sie sehr gut in meinen Aktivismus mit einbauen kann, in dem ich beispielsweise beim BUND mithelfe. Da wir aber der Meinung sind, dass wir uns juristisch nichts zu Schulden haben kommen lassen, finde ich auch die Strafe nicht gerechtfertigt und werde mich davon auch nicht von weiteren Aktionen abbringen lassen.

 

Die Richterin hat Verständnis für deine Motive geäußert, aber dich trotzdem verurteilt, kannst du das verstehen?

Unser Rechtssystem ist darauf ausgelegt, den Status quo zu bewahren, auch wenn dieser selbstzerstörerisch und undemokratisch ist. Das System ließ der Richterin kaum eine andere Wahl. Im Übrigen gelangten wir im Rahmen unserer ausführlichen Aktionsvorbereitung in diesem konkreten Fall zu einer anderen rechtlichen Einschätzung. Die Basilika war an keiner Stelle befriedet, sodass kein Hausfriedensbruch vorliegen konnte. Ich bin zuversichtlich, dass die höhere Gerichtsinstanz diese Auffassung bestätigt. Generell merke ich, dass oftmals die Botschaft mehr stört als die Tat, und wir deshalb, wann immer es geht, kriminalisiert werden. Die Staatsanwaltschaft in Ravensburg ist scheinbar fest davon überzeugt, dass wir böse Straftäter*innen sind und die Richterin folgt diesem Mantra.

 

Trotz Strafe machst du weiter. Machst du dir keine Sorgen um deine persönliche Zukunft?

Es ist ja genau  diese Sorge um meine persönliche Zukunft, die mich antreibt. Wenn die Politik die Klimakrise weiter befeuert, werden wir in zwanzig oder dreißig Jahren nicht in den Supermarkt gehen können, wenn wir Hunger haben. Bandenkriege werden unser Leben beherrschen, die öffentliche Ordnung wird Vergangenheit sein. Für polizeiliche Führungszeugnisse wird sich dann auch niemand mehr interessieren. Noch ist es aber möglich, diese soziale Klimakatastrophe abzuwenden. Meine Aktionen sollen dazu beitragen und deshalb werde ich auch nicht stillsitzen und auf das Beste hoffen, sondern ich werde versuchen, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um das zu schaffen.

 

Ziviler Ungehorsam wird immer mehr zur Protestform von KlimaschützerInnen, ihr klettert auf Bäume und die „Letzte Generation“ blockiert Straßen und andere Infrastruktur. Euer Protest stößt aber auch auf Protest. Wirksamer Klimaschutz kann aber nur gelingen, wenn es mehrheitlich eine politische und gesellschaftliche Unterstützung gibt. Ist euer Protest womöglich kontraproduktiv?

Wirksamer und sozial gerechter Klimaschutz hat ja bereits eine breite Mehrheit in der Bevölkerung. Nur aufgrund eigennützigem Profitlobbyismus verbrennt unsere Bundesregierung jedes Jahr 65 Milliarden unserer Steuergelder für die Kohleindustrie und andere fossile Relikte. Kein anderes europäisches Land befeuert die Klimakrise so direkt mit so großen Zuschüssen. Zum Vergleich: Die deutschlandweiten Gesamteinnahmen aus Bus-, Tram- und Zugtickets belaufen sich auf 14 Milliarden Euro. Wen kennen Sie, der unsere Steuergelder nicht lieber in einen günstigeren und besser ausgebauten Nahverkehr gelenkt haben wollte? Wen kennen Sie, der die aktuelle Lebensmittelverschwendung durch Großkonzerne gut findet? Wen kennen Sie, der sich beim Waldspaziergang wünscht, dass dort lieber eine laute Autobahn verliefe? Bittbriefe, Petitionen und andere Formen des Protests schaffen es alleine nicht, die im Laufe der Zeit fest verankerten (fossilen) Strukturen zu überwinden. Deshalb halten viele Zivilen Ungehorsam für nötig und geboten, denn Klimagerechtigkeit bleibt Handarbeit! Dabei gehen die Meinungen auseinander, wie weit man gehen darf oder soll. Wichtig ist mir deshalb immer, dass keine Menschen zu Schaden kommen und dass für alle direkt erkennbar ist, was ich fordere. Dann ist die Zustimmung meist sehr groß.

 

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Während in Ulm die Baumbesetzer bis zum Redaktionsschluss zwar unter polizeilicher Beobachtung standen, aber ansonsten unbehelligt blieben, sind vier Aktivisten im Altdorfer Wald von einem polizeilichen Großaufgebot von den Bäumen geholt worden. Die Baumbesetzer protestierten am Rand einer Kiesgrube bei Oberankenreute gegen die Fällung weiterer Bäume. Bei miserablem Wetter und in dunkler Nacht hatten sich die vier vom nahen Baumcamp auf den Weg gemacht und hatten sich mit Transparenten und Hängematten zwischen den Bäumen in luftiger Höhe eingerichtet. Nachdem sie einen polizeilichen Platzverweis ignorierten, marschierte am Mittwochmorgen, 23. Februar, um 7.30 Uhr ein Großaufgebot des Sondereinsatzkommandos (SEK) aus Göppingen an. Auf Verlangen vom landeseigenen ForstBW als Eigentümer wurden die vier Aktivisten von rund 100 Polizeibeamten von den Bäumen geholt. Unmittelbar im Anschluss wurde mit der Fällung der Bäume begonnen. Das Baumcamp ganz in der Nähe feierte dieser Tage das einjährige Bestehen.

 

Bei der Kulturveranstaltung kürzlich im Altdorfer Wald hast du erklärt, dass das Baumcamp auch ein Versuchslabor ist und ihr dort neue Formen des Zusammenlebens ausprobiert. Warum, was haltet ihr für falsch (wie eure Eltern leben) und was versucht ihr, besser zu machen?

In der Klimagerechtigkeitsbewegung wird oft ein Systemwandel gefordert. Wie der genau aussehen soll, definiert jeder für sich ein wenig anders. Außer Zweifel steht aber, dass wir für einen Wandel etwas brauchen, zu dem wir hinwandeln können. Im Alti erproben wir deshalb, wie eine bessere Art des Zusammenlebens aussehen könnte. Einseitige Herrschaftsausübung befeuert Klima- und Umweltzerstörung. Denn sie ermöglicht es Chefs und anderen Entscheidungsträgern, sich von den negativen Folgen ihrer Anweisungen zu isolieren: Als Kohlekonzernchef kann ich mir einen Laib Brot auch für zehn Euro leisten und in kühlere Gefilde umziehen. Wir sagen dagegen: Betroffene von Entscheidungen sollten auch in die Entscheidungsprozesse eingebunden sein. In unserem Alti versuchen wir daher systematisch, Herrschaftsverhältnisse abzubauen. Wir haben keine Chef*innen, Wissenshierarchien bauen wir durch Workshops ab und leben allgemein ein wertschätzendes Miteinander, in dem die Bedürfnisse aller im Mittelpunkt stehen. Am Ende des Tages müssen trotzdem alle Arbeiten gemacht werden, die verteilen wir aber gemeinsam und jede*r kann das machen, was ihm/ihr am besten liegt. Auch habe ich oft das Gefühl, dass man sich selten Zeit zum Zuhören nimmt, um beispielsweise einzelne Bedürfnisse wahrzunehmen und Rücksicht aufeinander nehmen zu können. Die Menschen in der aktuellen Gesellschaft sind sehr auf sich fokusiert. Das wollen wir durchbrechen und Rahmenbedingungen für ein rücksichtsvolles Miteinander schaffen.

 

Beim Klimaaktivismus engagieren sich viele Frauen. Stimmt dieser Eindruck und wie erklärst du das als Frau?

Das stimmt, in der Klimagerechtigkeitsbewegung engagieren sich mehrheitlich Frauen und andere FINTA*-Personen (Frauen, Intersex, Nicht-Binär, Trans, Agender). Wieso auch nicht? Die Klimakrise betrifft uns alle, aber nicht alle gleichermaßen. Frauen sind viel stärker als Männer von der Klimakrise betroffen, beispielsweise bei Hitzewellen, tragen gleichzeitig viel weniger zu ihr bei und sind seltener in relevanten Entscheidungspositionen. FINTA*-Menschen sind es satt, immer den Kürzeren zu ziehen und organisieren sich, um das zu ändern.

 

Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Es gibt da zwei Versionen, einmal die Utopie, in der wir die Klimakatastrophe in Schach halten konnten und ein schönes, gemeinschaftliches Zusammenleben haben. Ich muss nicht mehr aus Protest auf Bäume und Gebäude klettern, sondern kann meiner Kletterleidenschaft am Fels oder anderswo nachgehen ohne von der Polizei heruntergebeten zu werden. Dann gibt es aber noch die eher dystopische Vorstellung, in der wir das mit der Klimakatastrophe eben nicht hinbekommen haben und mit den dramatischen Folgen, die ich mir heute noch gar nicht ausmalen kann, leben müssen. Da ich gerne meine utopische Version der Zukunft in Erfühlung gehen sehen möchte, kämpfe ich für meine Zukunft und eine bessere Welt.

 

Autor: Roland Reck

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