Biberach - Es ist ein Tsunami, dessen Auswirkungen noch nicht abzusehen sind. Die Flutwelle des Entsetzens und der Entrüstung, die in Folge des Missbrauchs und der Gewalt in den Mauern der Katholischen Kirche, sich aufgebaut hat, rüttelt an den Grundfesten dieser 2000 Jahre alten Kirche, die einst prägende Macht des „Christlichen Abendlands“ war und heute akut einsturzgefährdet ist. Katastrophe, Krise, Chance. BLIX sprach mit drei Frauen über ihr Engagement in ihrer Kirche und ihr Leiden an ihrer Kirche.
Birgit Hahn ist Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes in Biberach und hat zum Gespräch ins Katholische Gemeindezentrum St. Martin, direkt neben der Stadtpfarrkirche, geladen. Begleitet von ihrer Stellvertreterin Andrea Kerriou und Thekla Braun, Mitglied im Redaktionsteam von „Geistreich“, einer Zeitschrift für die Seelsorgeeinheiten Biberach und Umland. Und alle drei, im Altersdurchschnitt 60+, sind Maria 2.0-Aktivistinnen.
Es wird schnell klar: entweder die katholische Kirche wird weiblicher, dort, wo entschieden und gesegnet wird und bisher ein rein männlicher Klerus herrscht, oder sie triftet weiter ab ins gesellschaftliche Nirwana. Die Austrittszahlen sprechen für sich und sie lassen sich auch nicht mit dem Hinweis, es ginge um die Kirchensteuer, negieren, sind sich die drei Frauen einig. Sie reden Tacheles! Und haben ihre Forderungen bereits vor einem Jahr unmissverständlich kundgetan, als sie die Initiative Maria 2.0 aufgriffen und in sieben Absätzen der bestehenden Praxis der Amtskirche eine Absage erteilten und stattdessen „gleiche Rechte“ und „gemeinsame Verantwortung“ einforderten. Konkret heißt es unter Punkt 2: „Macht wird geteilt. Denn der Klerikalismus ist heute eines der Grundprobleme der katholischen Kirche und fördert den Machtmissbrauch mit all seinen menschenunwürdigen Facetten.“ Weiter heißt es unter Punkt 3: „Denn viel zu lange schon ist die katholische Kirche ein Tatort sexueller Gewalt. Kirchliche Machthaber halten immer noch Informationen zu solchen Gewaltverbrechen unter Verschluss und stehlen sich aus der Verantwortung.“ Und selbstverständlich verneinen die Frauen den Pflichtzölibat, der Menschen hindere, ihrer Berufung zu folgen und stattdessen einer „Scheinfassade“ gleiche, hinter der sich „existenzielle Krisen“ abspielten. Vielmehr solle die Kirche „eine wertschätzende Haltung und Anerkennung gegenüber selbstbestimmter Sexualität und Partnerschaft“ einnehmen.
Birgit Hahn ist Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes in Biberach.
Andrea Kerriou ist stellvertretende Vorsitzende des Frauenbundes in Biberach.
Thekla Braun ist Mitglied und Mitarbeiterin im Redaktionsteam von „Geistreich“.
Die Fraueninitiative Maria 2.0 entsprang einem Lesekreis im katholischen Münster, Stadt des Westfälischen Friedens (1648), im Mai 2019. Statt hinter verschlossenen Türen den (Macht-)Missbrauch des Klerus zu beklagen, traten die Frauen vor den Kirchentüren an die Öffentlichkeit, um gegen die bestehenden (Macht-)Verhältnisse in der Kirche zu protestieren. Mit Maria, der Ikone des konservativen Katholizismus, forderten die Frauen einen Neustart (2.0) und fanden viel Zuspruch (aber nicht nur) – auch im konservativen Oberschwaben und auch beim Katholischen Frauenbund, so auch in Biberach, wo am 21. Februar 2021 Birgit Hahn und Andrea Kerriou das Thesenpapier am Kirchplatz anbrachten.
Um den desaströsen Zustand der katholischen Kirche auch „im Himmelreich des Barock“ zu verstehen, sei Kurt Widmaier zitiert, der sich anlässlich des Münchner Gutachtens und dessen Kritik an Ex-Papst Benedikt in einem Leserbrief in der Schwäbischen Zeitung (29. Jan. 22) äußerte. Widmaier, sozialisiert in einem katholischen Studentenbund, verkörperte als Ravensburger Landrat (1999-2015) das katholische Oberschwaben wie kein anderer. Widmaier schreibt: „Meine katholische Kirche hat durch die Vertuscherei und Heuchelei von Kirchenoberen einen Grad der Niedertracht erreicht, der seinesgleichen sucht. Von christlichem Tun kann hier keine Rede mehr sein. Das Schlimme daran ist: Man hat den Eindruck, die betroffenen Kirchenführer haben noch gar nicht erkannt, dass das Kirchenschiff kurz vor dem Versinken ist. (…) Wir brauchen keine Kirche mehr mit einem absolutistischen System, sondern eine Kirche, die von unten her maßgeblich bestimmt wird.“
Männerkirche: Stadtpfarrer Stefan Ruf (links) ist neuer katholischer Dekan von Biberach und Nachfolger von Sigmund Schänzle, Ochsenhausen, der nicht mehr zur Wahl antrat. Der Stadtpfarrer war und ist Gesprächspartner der Frauen im Frauenbund in Biberach und wird von diesen so beschrieben: „Unser Pfarrer stellt sich nicht dagegen, aber wir fühlen auch keine Unterstützung.“ In der Pressemitteilung der Diözese heißt es: „Ruf sprach sich bei der Kandidatenvorstellung für eine offene Kirche aus, die den Dialog sucht.“ Und die Schwäbische Zeitung weiß zu berichten, Ruf habe bei seiner Vorstellung darauf hingewiesen, dass er der Kirche viel zu verdanken habe, und er halte sie bei allen Problemen „‚immer noch für einen Leuchtturm in der Gesellschaft‘“. Ruf: „Aus dieser guten Erfahrung heraus will ich meine Kraft einbringen für eine bunte, vielfältige und offene Kirche.“ Zur Frage nach dem Diakonat von Frauen antwortete Ruf: „Ich setze mich dafür ein, nicht in einer Hauruckaktion, nicht plakativ und aggressiv, aber wir müssen dranbleiben.“
Damit spricht der Alt-Landrat den drei Frauen im Gemeindezentrum St. Martin aus der Seele. „Es ist alles gesagt“, sagt Thekla Braun. Den eingeschlagenen „Synodalen Weg“ der Verständigung von Amtskirche und Laien und dem Ringen um Reformen in Deutschland begrüßen die Frauen, aber sind skeptisch. Immer noch zu mächtig erscheint ihnen „der Männerbund“, der sich an die Macht klammere und gestützt werde aus Rom. „Es wäre das Dümmste, was geschehen könnte, wenn man die harte Linie von Rom fahren würde“, warnt Thekla Braun.
„Was tun: Bleiben oder gehen?“, war die eingangs gestellte Frage, die die Frauen mit ihrer Bereitschaft zur öffentlichen Auskunft vorerst beantworteten. „Ich bin Christin und will mich nicht vertreiben lassen“, beharrt Birgit Hahn. Und Andrea Kerrious Motto lautet: „Handelnd seine Ziele weiter verfolgen.“ Das Fundament ist ihr Glaube, dessen Gemeinschaft sie in ihrer Kirche leben, aber sie würden ihren Glauben nicht verlieren, wenn sie die Institution Kirche aus Verzweiflung und schweren Herzens aufgeben würden, trösten sie sich. Die Frage bleibt: Gibt sich die Kirche auf?
Autor: Roland Reck
Fotos: Andrea Reck