Leutkirch - Den richtigen Deckel zu finden, ist eine Kunst. Er muss passen. Nicht ungefähr, sondern richtig. Nicht nur scheinbar und auf den ersten Blick, sondern tatsächlich und dauerhaft. Hinzu kommt die Frage: Wer sucht und wer findet wen – der Topf den Deckel oder umgekehrt? Es scheint, Esther Straub ist der Deckel, der mit Gottfried Härle seinen Topf gefunden hat, indem die junge Frau Mitte des letzten Jahrzehnts dem schon etwas ergrauten Chef von der Brauerei Clemens Härle vorgeschlagen hat, zukünftig an seiner Seite die Geschäfte der Leutkircher Traditionsbrauerei zu führen. Gefragt, gesagt, getan, seit 2016 ist es so: die heute 33-Jährige ist Co-Geschäftsführerin in einer Brauerei, die in Nachhaltigkeit vorbildlich ist und dies nun auch in der Unternehmensnachfolge ist. Der Deckel passt exakt auf den Topf!
Und der Deckel ist quicklebendig und schwärmt dem Besucher vor, wie toll es ist, als Unternehmerin zum Wohl von Unternehmen und Beschäftigten zu arbeiten. Esther Straub ist wieder in ihrer Heimatstadt angekommen, die sie nach dem Abitur fürs Studium und den Duft der weiten Welt verlassen hat. Sie hat aus Istanbul, wo sie neben Passau und Mannheim Staatswissenschaften studiert hat, nicht nur ihren Master of Laws, sondern auch ihren Mann mitgebracht. In Istanbul hat sie sich verliebt, tatsächlich und überhaupt – und trotzdem: Leutkirch ist ihre Bestimmung.
Die Nachfolge stellt sich irgendwann. In der Familie sind es die Kinder, die das Erbe einst antreten, aber ob es auch für die Unternehmensnachfolge passt, ist damit noch lange nicht gesagt. Das kann trösten, wenn man keine Kinder hat, aber die Frage bleibt bestehen: Wer kann es, wer will es, wer passt? Das Ehepaar Härle hat keine Kinder und hat sie doch. Denn Esther Straub kennt das Ehepaar seit 28 Jahren, als es in die direkte Nachbarschaft zog. Straubs und Härles sind seitdem eng befreundet und Esther kennt die Brauerei seit Kindesbeinen und fand den Umtrieb dort schon immer faszinierend. Aus Interesse wurde gelegentliche Mitarbeit, denn es gab immer was zu tun. Es blieb dabei, denn niemand drängte. Das liberale Elternhaus war für die vier Kinder ideales Sprungbrett in die Welt. Und Esther entschied sich für ein Studium, das sehr viel mit Juristerei und gar nichts mit Hopfen und Malz zu tun hatte. Doch das Band hielt, die Freiheit stärkte es sogar. Und zog sie schließlich zurück.
So oder so ähnlich hat es sich zugetragen, dass die Hochschulabsolventin mit ihrem aus Libyen stammenden Mann in ihre Heimat zurückkehrte, wo sie Gottfried Härle ohne Stress und mit offenen Armen empfing. Esther Straub ist voll des Lobes über Härle, der in seiner Führungsrolle sehr behutsam agiere. „Gottfried hält mich nicht für selbstverständlich“, das zeige „seine Wertschätzung“, erklärt die Co-Chefin. Es war auch sein Bestreben, dass sie berufsbegleitend an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen noch den „Master für Family Entrepreneurship“ absolvierte, ein Studiengang der speziell auf die Nachfolge in Familienunternehmen ausgerichtet ist und viele Fragen aufwirft, die gemeinsam beantwortet werden wollten, betont Esther Straub und sieht sich bestens aufgehoben in diesem ganz besonderen „Patschwork-Familienunternehmen“.
Zwei, die sich verstehen. Gottfried Härle und Esther Straub folgen der gleichen Unternehmensphilosophie: Verantwortung, Regionalität und Bioqualität schaffen Nachhaltigkeit.
Der 67-jährige Brauereiinhaber spart ebenfalls nicht mit Lob. „Esther Straub teilt und lebt aus voller Überzeugung die Werte, die unsere Brauerei bereits seit Jahrzehnten auszeichnen: Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit, Verantwortung für Umwelt und Natur, Tradition und Innovationsgeist, Verantwortung für unsere Mitarbeiter und für unsere Heimatregion“. Das Zitat stammt aus der „Unternehmerin“, dem Magazin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, der den Oberschwaben zum „Wegbereiter des Jahres“ mit dem „she succeeds award 2021“ auszeichnete.
Sie sei „Biertrinkerin“ und begeistert von diesem „vielfältigen Produkt“, bekennt indes Esther Straub im Gespräch mit BLIX auf die Frage: „Was macht den Reiz aus, Bier zu verkaufen?“ Doch es ist viel mehr. Die von Härle beschriebene Unternehmensphilosophie ist auch ihre. Die Ausrichtung auf Regionalität und Bio ist ganz in ihrem Sinne. Es gehe ihr nicht um ständiges Wachstum, sondern um den Erhalt des Unternehmens in einer intakten Umwelt, darin sehe sie sowohl ihre „Pflicht“ als auch ein „Privileg als Unternehmerin, etwas tun zu können“. Und das begeistert sie.
Die Zeiten sind schwierig. Corona sei eine Herausforderung, die man gemeinsam „gut gemeistert“ habe und nun hoffe sie auf einen guten Sommer. „Ich bin ein optimistischer Mensch“, macht sie beim Abschied Mut, es ihr gleich zu tun.
Klimaneutral – auch online
Clemens Härle, geboren in Kirchdorf, einer von vier Brüdern, die alle Brauer wurden, legte den Grundstein für die Härle-Brau-Tradition in Leutkirch. Zunächst hatte Clemens Härle die kleine Schlossbrauerei in Bad Wurzach gepachtet. Als diese im Jahre 1895 abbrannte, kaufte er das Anwesen der Mohren-Brauerei in Leutkirch und baute in nur acht Monaten ein völlig neues Brauhaus, in dem heute noch gebraut wird. Am 16. Februar 1897 wurde dort der erste Sud gekocht. 125 Jahre alt ist die Brauerei inzwischen und wird seit Mitte der 80er Jahre von Gottfried Härle geführt, der als grüner Pionier sein Erbe konsequent auf eine ökologische Schiene brachte. Dazu zählen auch Biobiere wie das „Landzüngle“ sowie das Erfrischungsgetränk „Seezüngle“. Zusammen generieren die zertifizierten Bio-Produkte zwei Drittel des Umsatzes, erklärt Gottfried Härle und weist stolz darauf hin, dass sein Unternehmen die erste und einzige Brauerei in Deutschland ist, die zu 100 Prozent klimaneutral braut und vertreibt. Dazu wird Energie aus Holzhackschnitzeln, Strom aus Wind, Wasserkraft und Sonne sowie Biodiesel aus deutschem Rapsanbau genutzt. Das nächste Ziel ist, den zunehmenden CO2-Ausstoß durch die Nutzung des Internets – durch den Betrieb der Server – zu kompensieren. Das Unternehmen hat sich deshalb der internationalen Initiative „CO2-neutral website“ angeschlossen. Diese berechnet anhand des Besucheraufkommens die durch den Internetauftritt verursachten klimaschädlichen Emissionen und kompensiert diese durch Investitionen in Klima- und Umweltschutzprojekte auf der ganzen Welt, darunter Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien sowie ein Regenwaldprojekt der internationalen Naturschutzorganisation „World Land Trust“ in Ecuador.
Wegen seinem außerordentlichen Engagement beim Umwelt- und Klimaschutz wurde Härle und seine Brauerei schon vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt Gottfried Härle 2021 vom Verband deutscher Unternehmerinnen und dem Bundeswirtschaftsministerium den Preis zum „Wegbereiter des Jahres – mehr weibliche Nachfolge“. Esther Straub ist die Glückliche.
Autor: Roland Reck
Fotos: Felix Kästle