Altdorfer Wald - Nun ist es passiert, was Bernhard Dingler befürchtet hat. Sein Wald heißt nun „Alti“. Davor hat es den Leiter des Forstbetriebs Altdorfer Wald gegraust. Nun muss er nicht nur hinnehmen, dass jugendliche Aktivisten ein Stück Forst in der Nähe von Wolfegg besetzt haben, indem sie dort ein Baumhaus nach dem anderen zwischen Fichten und auf Douglasien und Buchen bauen, sondern dass die selbst ernannten Waldschützer Oberschwabens größtes Waldgebiet auch noch sprachlich vereinnahmen.
Denn die „Aktivistis“ bringen nicht nur enorme Schaffenskraft, sondern auch ihre eigene Sprache mit. Und wie aus dem Dannenröder Forst in Nordhessen der „Danni“ wurde, wie zuvor schon der Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen zu „Hambi“, so ist es nun der „Alti“, den sie gegen Abholzung für eine Kiesgrube schützen wollen. Es tut sich was.
Es geht formal um elf Hektar Wald, die dem darunter liegenden Kies zum Opfer fallen sollen, so sieht es der Regionalplan vor, der noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll und dann für die nächsten 15 Jahre den wirtschaftlichen Handlungsrahmen für die Kommunen in den Kreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis vorgibt. Dagegen rührt sich Widerstand, nicht erst jetzt, aber seit einigen Wochen mit jugendlichem Tatendrang.
Für Samuel Bosch ist sein Kampf um den Wald „Weiterbildung“: leben ohne fließend Wasser, warme Dusche, Toilette, Lichtschalter und Pizza aus der Mikro.
Und während der Forstmann Bernhard Dingler das jugendliche Treiben mit kritischem Blick verfolgt, ist Wolfgang Ertel hellauf begeistert vom Engagement der Baumbesetzer. Der Professor für künstliche Intelligenz hat an der Hochschule in Weingarten die Scientists for Future gegründet und steht damit an der Seite der SchülerInnen, die in Ravensburg und anderswo für den Klimaschutz und konkret für das Einhalten des Pariser Klimaabkommens auf die Straße gehen. Die Leitung des von ihm gegründeten Instituts für künstliche Intelligenz hat der 61-Jährige inzwischen abgegeben, dafür bietet er seinen StudentInnen eine Vorlesungsreihe über Nachhaltigkeit an. Am 22. April sitzt er im „Alti“ auf einem Baumhaus, sein Laptop vor sich und erklärt seinen ZuhörerInnen, warum es Unsinn ist, Ressourcen zu verbrauchen, um Maschinen zu bauen, um damit Kohlendioxid aus der Luft zu filtern. Der Professor schwenkt seinen Arm und sagt: Das machen die Bäume besser und von alleine, wenn man sie nicht umsägt, dann binden sie nicht nur den Kohlenstoff, sondern produzieren auch noch Sauerstoff.
Besuch aus dem Schussental. Die Familie Thoma ist begeistert von dem Engagement der „Aktivistis“.
Prof. Wolfgang Ertel hält zu deren Unterstützung seine Vorlesung über Nachhaltigkeit vom Baumhaus aus.
Für Samuel Bosch ist das Baumcamp schlicht „Weiterbildung“. Der 19-Jährige hat den Anfang gemacht und ist seit acht Wochen im „Alti“ aktiv. Seine Lehrzeit hat er im „Danni“ absolviert. Er ist das Gesicht, weil er sich als einziger nicht vermummt und auch keinen „Waldnamen“ trägt, er weiß, wie wichtig die Weiterbildung auch für die „Bürgis“ ist, die sich im Camp umschauen oder Baumaterial oder Eßbares – bitte nur vegan – vorbeibringen, das sind dann „Supportis“. Das Camp wächst mit wechselnden Bewohnern, die nicht mehr nur aus Oberschwaben, aber immer wieder kommen.
„Wolke“ (Waldname) will aber nicht sagen, woher er kommt, immerhin gibt er sein Alter preis und dass er technische Biologie studiert. Der 19-Jährige war auch schon im „Danni“ und ist begeistert von dem Leben in Bäumen. „Es ist super, ich genieße es so sehr“, schwärmt „Wolke“. „Ich mache etwas Richtiges mit tollen Leuten, und dann macht es auch noch Spaß.“ Dazu gehört auch, dass das Internet funktioniert. Was es tut, wie die Online-Vorlesung des Professors zeigte.
„Wolke“ (links) und „Jona“ (Waldnamen), beide studieren und kommen nicht aus Oberschwaben, finden das Baumcamp „super“.
Theorie ist wichtig, keine Frage, aber der Wissenschaftler weiß auch um die Wirksamkeit der Tat. „Wir brauchen die Aktivisten, ohne die Aktivisten sind wir nichts.“ Weil erst das Baumcamp als Widerstandsform die Öffentlichkeit herstellte, die ausschlaggebend ist, um die Pläne des Regionalverbandes zu ändern, die seiner Expertise nach auf falschen Zahlen beruhen, indem sie Wachstum nur fortschreiben. Wohin - in die Klimakatastrophe! Für Ertel ist klar: „Die Kiesgrube brauchen wir nicht.“
Das ist auch die Meinung der Besucher, die sich durch das Camp führen lassen. Vier Personen, drei Generationen. Ingrid Thoma, die regelmäßig Lebensmittel vorbeibringt, hat ihre Verwandtschaft mitgebracht: ihre 16-jährige Tochter, ihre Schwester und ihren 93-jährigen Vater. Sie kommen aus dem Schussental und sind begeistert. Sie seien eine politische Familie, in der viel diskutiert würde. Was die Jungen machen, „find’ ich wunderbar“, sagt die Geschäftsführerin im Bildungsbereich. Folglich hat die Mutter nichts dagegen, dass ihre Tochter demnächst auch für ein paar Tage im Wald hausen will. Und käme es darauf an, dann wäre ihr Opa wohl mit von der Partie, hat man den Eindruck. Gefragt nach den Chancen zur Wende meint der einstige Bauverfuger und „aktive Friedensfreund“: „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“
Autor: Roland Reck
Fotos: Casagranda