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im BLIXLAND. Manchmal findet sich ein roter Faden, ohne dass man ihn gesucht hat. Und der spannt sich in dieser Geschichte vom heimischen Bäcker über einen Besuch beim Bischof in Biberach, bei zwei Wissenschaftlern in Weingarten und einem Brauer in Leutkirch bis zur Einkehr in der „Räuberhöhle“ in Ravensburg. Verschiedene Orte und Menschen und viele Fragen, die nicht alle beantwortet werden.

Beim Bäcker
Die kleine Bäckerei an der Durchgangsstraße ist beliebter Autostopp für Hungrige am Morgen. Der dicke SUV parkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite - mit laufendem Motor. Sein Fahrer im Großvateralter steht vor der Verkaufstheke und kramt im Geldbeutel. „Der Mann hat vom Klimawandel auch noch nichts gehört“, lautet meine Begrüßung und werde ignoriert. Es dauert, das Kleingeld will nicht passen. Die Verkäuferin wartet, ich warte und draußen läuft der SUV. Mein Blick fällt auf die ausliegende Bildzeitung: „Waldbrände, Trockene Gärten, Dürre. Wird jetzt das Wasser knapp?“, schreit mich die Boulevardzeitung an. Der Senior gibt die Kramerei auf und entschuldigt sich, dass seine Enkelkinder immer hinter seinem Kleingeld her wären, und zahlt mit Schein. Der Mann hat also Enkelkinder, die er verwöhnt. Am Rausgehen empfehle ich ihm, er solle sich doch die Bildzeitung noch mitnehmen. „Warum?“ Weil da drinstehe, warum er seinen Motor abstellen soll, ruf’ ich hinter ihm her. Aber der Mann ist schon durch die Tür. Ich weiß, er ist kein Einzelfall. Im Winter muss die Heizung laufen, im Sommer die Klimaanlage. Wo und wie leben wir eigentlich?

Beim Bischof
In der wenige Kilometer entfernten Stadthalle in Biberach hat Bischof Gebhard Fürst zum Ordenstag geladen und rund 300 Ordensschwestern und eine Hand voll Patres und Ordensbrüder sind gekommen. Das Thema: „Bewahrung der Schöpfung – gelebte Nachhaltigkeit“. Dazu der Hirte in seiner Begrüßung: „Liebe Schwestern und Brüder, wir sind keine Trittbrettfahrer eines grünen Zeitgeistzuges. Wir wollen die drohende Klimakatastrophe und die Verwüstung unseres Planeten nicht einfach nur mit technischen Mitteln lösen. Wir haben als Christen den Auftrag und die innerste Verpflichtung, die uns von unserem Schöpfer anvertraute Schöpfung zu pflegen, zu bewahren und wo sie schon verwundet ist zu heilen, zu sanieren: durch unser persönliches und gemeinsames Verhalten und alle spirituellen und technischen Möglichkeiten, die uns gegeben sind.“
Die Bewahrung der Schöpfung sei Auftrag „des christlichen Gottesglaubens“, mahnt der Bischof. „Wir können nicht an Gott als Schöpfer der Welt glauben und zugleich unsere Mitwelt, die Natur, die Umwelt, das Klima, die Luft, die Erde und das Wasser zugrunde richten. Die Erde, die belebte und nicht belebte Natur, die Klimaverhältnisse, sie sind nicht einfach unser Besitz, mit dem wir nach Gutdünken verfahren könnten. Sie sind uns zu treuen Händen anvertraut, um verantwortungsbewusst damit umzugehen. Unsere vielfache ökologische Gedankenlosigkeit ist auch Ausdruck des Undanks gegenüber Gott, dem Schöpfer der Welt.“
Und der Bischof sieht sich bestärkt durch Papst Franziskus Apostolischen Schreiben „Laudato Si“ (2015). Der Papst habe darin Zusammenhänge zwischen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen hergestellt sowie Eckpunkte einer „ganzheitlichen Ökologie“ dargestellt. Fürst: „‚Laudato Si‘ ist ein Weckruf an die gesamte Menschheit“ – wider den Kapitalismus, möchte man hinzufügen.
Alles richtig, denkt der Zuhörer, aber wem erzählt der Bischof diese Erkenntnisse? Die anwesenden Ordensschwestern sind mustergültige Zeuginnen eines nachhaltigen Lebens und mit einem Durchschnittsalter von Ü70 werden sie auch ganz sicher nicht mehr zu SUV-Fahrerinnen. Klar, der Ordenstag dient der Selbstvergewisserung von Menschen, die anders leben. Und vielleicht hofft der Bischof, dass doch eine Journalistin oder ein Journalist im Plenum sitzt und zuhört. So stellt er fest: „Die nachfolgende Generation wird fragen: Was habt ihr getan? Und sie wird uns sagen: Ihr habt alles gewusst“, weiß der Bischof und wenn er mich meint, dann hat er recht.

Ordenstag 2023 Biberach

Bischof Gebhard Fürst spricht in der Biberacher Stadthalle über „Bewahrung der Schöpfung – gelebte Nachhaltigkeit“. Foto: Waggershauser

Bei Wissenschaftlern
Es ist fast unerträglich, mit was man tagtäglich behelligt wird. Und jetzt auch noch die KI – das Zauberkürzel für Künstliche Intelligenz. Hilfe! Vielleicht hilft ja ein Besuch bei Wissenschaftlern, deren Fach es ist? Am Institut für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Ravensburg-Weingarten packt man gerade Roboter ein. Es geht zur RoboCup-Weltmeisterschaft nach Bordeaux. Das zeigt, dass an der oberschwäbischen Hochschule Spitzenforschung betrieben wird. Worauf die beiden Professoren Wolfgang Ertel (63), Gründer des Instituts, und Markus Schneider (40), Leiter des Instituts, mächtig stolz sind. Es geht in den Laboren und Werkstätten am Bildungshügel in Weingarten um die Entwicklung von Servicerobotern, zum Beispiel für den Pflegebereich. Die Forschung am Institut hat nichts mit dem Hype um Chat GPT zu tun, worüber selbst die Wissenschaftler staunen. Denn bis vor einem halben Jahr war Künstliche Intelligenz ein Nischenthema für Insider (aber BLIX berichtete schon vor sechs Jahren in einer Titelgeschichte darüber: „Künstliche Intelligenz – Was uns erwartet!“). Jetzt werde er plötzlich in seinem Bekanntenkreis auf dieses Sprachprogramm, das im Internet jedem zur Verfügung steht, angesprochen und auch nach den Wirkungen und Folgen der Künstlichen Intelligenz gefragt, stellt Markus Schneider fest. Da werde auch „viel Murks erzählt“. Einig sind sich die beiden Wissenschaftler, dass mit Chat GPT eine weitere Revolution eingeleitet ist, die der Entwicklung des Internets gleichkommt. Und dessen Wirkung auch eine „disruptive“ sein wird, erklärt Ertel, der nicht nur über die technischen Möglichkeiten begeistert ist, sondern auch intensiv über die gesellschaftlichen Folgen der Forschung und Erfolge in seinem Fach nachdenkt.
Beide Wissenschaftler sehen die Gefahren, die sich aus der Konzentration der revolutionären Technik bei wenigen globalen Konzernen ergeben und zweifeln, ob eine wirksame Kontrolle politisch überhaupt noch möglich ist. Man sei auf dem Weg zu einer „starken KI“ an dessen Ende sich auch die Frage nach „der Singularität“ stelle, meint Ertel. Soll heißen, verliert der Mensch seine Position als intelligenteste Spezies auf diesem Planeten an eine Maschine? Während der Ältere der beiden Wissenschaftler offen zugibt, „mir macht das große Angst“, stellt der Jüngere zum Stand der Technik fest: „Ich seh’ nicht, dass Intelligenz dahinter steckt, sondern Statistik.“
Kann mich das beruhigen oder hatte nicht Helmut Kohl recht? „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Und das ist heute schon frappierend. Es ist auf jeden Fall eine weitere Zumutung, die mich behelligt, denn zurecht werde ich gefragt, ob ich nicht auch um meinen Job fürchte, denn die KI ersetzt in Zukunft nicht mehr den Bauarbeiter, der schon längst dem Bagger weichen musste, sondern die hoch qualifizierten Spezialisten in allen Branchen, den Programmierer genauso wie den Mediziner in der Krebsdiagnostik. Es sind nicht mehr die Blaumänner, von denen es eh nicht mehr so viele gibt, die der KI im Wege stehen, sondern die Weißkittel und SakkoträgerInnen. Beides zählt nicht zu meiner Garderobe, beruhige ich mich.

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Zwei Professoren und ein Roboter. Markus Schneider (links) ist Leiter des Instituts für künstliche Intelligenz an der Hochschule in Weingarten. Wolfgang Ertel ist Gründer des Instituts. Foto: Alexander Koschny

Beim Brauer
Solcherlei Garderobe war auch nicht notwendig bei der Veranstaltung, zu der die Regionalgruppe Baden-Württemberg des Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW e.V.) nach Leutkirch in die Härle-Brauerei eingeladen hatte. In der historischen Malztenne trafen sich Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Ausrüsters Vaude, Dagmar Fritz Kramer, Geschäftsführerin des Bauunternehmens Baufritz und Michael Hetzer, Beiratsvorsitzender des Elektro- und Sensorherstellers Elobau mit Lena Schwelling, Landesvorsitzende der Grünen und Andrea Lindlohr, Staatssekretärin im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen. Hausherr und Moderator der Diskussion Gottfried Härle ist zugleich Gründungsvorstand des Bundesverbandes und betont, dass die Region darin mit starken Unternehmen vertreten ist. „Nachhaltige Wirtschaft trifft grüne Landespolitik – Erwartungen treffen auf Realität“ lautet das Gesprächsthema auf dem Podium und mit den ZuhörerInnen, rund 50 an der Zahl. Man ist unter sich und das ist Absicht, erklärt Härle: „Wir haben es bewusst nicht konfrontativ angelegt.“ Im Mittelpunkt steht die Frage, was nötig ist, um die nachhaltige Transformation der Wirtschaft voranzutreiben. Einige der konkreten Themen: Flächenverbrauch, nachhaltiges Bauen, Wohnraum, Bürokratie, dezentrale Versorgung mit regenerativer Energie oder wie es gelingen kann, die Bürger bei der Energiewende „mitzunehmen“.
Es ist das politische Klein-klein, das zur Sprache kommt, und die Mühen der Ebene in Wirtschaft und Gesellschaft deutlich macht - trotz grün geführter Landesregierung, wie die Vaude-Geschäftsführerin kritisch anmerkt. Von Dewitz: „Nachhaltigkeit ist trotz grüner Regierung überhaupt nicht einfach.“ Und die grüne Landesvorsitzende und Ulmer Stadträtin Lena Schwelling räumt ein, dass die Politik, und sie meint wohl auch ihre eigene Partei, mit Blick auf die Wahlen beim Transformationsprozess „die Zumutungen verschweigen“ würde, was zu Missverständnissen und Kommunikationspannen führe, wie die Heizungsdebatte gezeigt habe. Ein Biobauer aus dem Publikum stellt schließlich den parteiübergreifenden Konsens nach wirtschaftlichem Wachstum als politische Priorität in Frage: „Wir müssen rückwärts“, fordert er. Was der Moderator spannend findet, aber nicht weiter diskutiert wird. Von Dewitz macht abschließend Mut. Vor zehn Jahren hätte es beim Umbau zur Nachhaltigkeit große Überzeugungsarbeit bei den MitarbeiterInnen bedurft, „heute möchten die Menschen mit Sinn arbeiten“, was sich auch in der Bewerbungslage widerspiegle, freut sich die Unternehmerin.

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Das Thema der Talkrunde in Leutkirch lautete „Nachhaltige Wirtschaft trifft grüne Landespolitik – Erwartungen treffen auf Realität“. Foto: Reck

Bei der Letzten Generation
Es ist der Sprung von Besitzenden zu AktivistInnen, die eher weniger besitzen, könnte man meinen, wenn man vom Leutkircher UnternehmerInnentreff in Härles Malztenne nach Ravensburg in die „Räuberhöhle“ kommt, wo Julia Acker von der „Letzten Generation“ eine Ortsgruppe gründen möchte. Aber so schubladenmäßig ist es nicht. Unter den ebenfalls rund 50 Interessierten, alt und jung, Weiblein und Männlein bunt gemischt, meldet sich ein Mittfünfziger zu Wort und erklärt seine Sympathie für die AktivistInnen, die ansonsten wegen ihrer umstrittenen Aktionen zum Klimaschutz Kellerkinder sind, aber, so erklärt der Mann, er habe „Besitz“, nämlich eine Eigentumswohnung, und die wolle er nicht riskieren, wenn er wegen zivilem Ungehorsam, was das absichtliche Blockieren von Straßen ist, womöglich eine empfindliche Geldstrafe bekomme. In der „Höhle“ lässt sich der Spontispruch zitieren: „Besitz macht unfrei!“ Aber der Mann findet Verständnis, er ist nicht der einzige in der alternativen Kneipe, der was zu verlieren hat.
Julia Acker gehört ebenfalls dazu, 37 Jahre alt, arbeitet als PTA in einer Apotheke, ist Mutter eines sechsjährigen Sohnes, lebt mit ihrer Familie seit drei Jahren in Ravensburg und sieht unser aller Besitz in großer Gefahr. Sie erklärt: „Wir, jetzt und hier, unsere Generation ist die letzte, die noch wirksam gegen den Klimawandel vorgehen kann. Sind erst die globalen Kipppunkte erreicht, haben folgende Generationen nicht mehr die Chance, die fatalen Auswirkungen der Erderhitzung noch einzudämmen. Das heißt, wie wir jetzt leben, ob wir uns für weitreichende Rettungsmaßnahmen entscheiden oder nicht, das wird entscheiden über die Lebensbedingungen auf der Erde. Und zwar für viele hundert, wenn nicht tausend Jahre!“
Die Frau hat recht, daran ändert auch die fortschreitende Kriminalisierung der AktivistInnen nichts. WissenschaftlerInnen weltweit liefern die alarmierenden Befunde. Und wer lesen kann, kann es wissen. So war erst vor kurzem im Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ über eine Studie von über 40 WissenschaftlerInnen zur „Zukunft der Menschheit“ zu lesen, dass schon „sieben von acht Grenzen des Erdsystems überschritten sind“ (Spektrum, 31.05.2023). Es geht dabei nicht alleine um das Klima, sondern auch um „Artenvielfalt, Nährstoffe, Wasser, Klima – und: Gerechtigkeit“. Dazu wird der Wissenschaftler Helmut Haberl von der Universität für Bodenkultur in Wien mit der Feststellung zitiert: „Die Dringlichkeit der Situation ist mittlerweile klar und wird inzwischen nur mehr im Zuge von bewussten Desinformationskampagnen in Zweifel gezogen.“
Keine Zweifel an der Dringlichkeit zum Handeln lässt auch Prof. Wolfgang Ertel, der als Mathematiker und Scientist for Future in der „Räuberhöhle“ die Situation in Ravensburg vorstellt und beklagt, dass trotz Beschluss des Gemeinderats viel zu wenig passiere, um die selbst gesteckten Ziele bei der CO2-Reduktion zu erreichen. Ertel ist Wissenschaftler und Aktivist und als Opa hochmotiviert, kündigt er an: „in die Offensive zu gehen“.
Fragt man Julia Acker, warum sie sich das antut, als örtliche Initiatorin für die angefeindete „Letzte Generation“ aufzutreten, dann verweist sie auf ihren kleinen Sohn, in dessen Verantwortung sie sich als Mutter sieht: „Ich liebe meinen Sohn und unsere Welt.“ Deshalb.

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Die Grafik zeigt den im Klimakonsens beschlossenen CO2-Reduktionspfad für Ravensburg, der aber bisher keine Beachtung finde. Die grüne Fläche entspricht dem CO2-Budget in Höhe von 3,1 Mio. Tonnen. Grafik: Wolfgang Ertel

 

Autor: Roland Reck

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