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Maselheim - Er hat die Herausforderung gemeistert und kann großzügig sein – auch zu sich und einräumen, dass er eigentlich keine Ahnung hatte, wie Bürgermeister geht. Elmar Braun, scheidender erster grüner Bürgermeister der Republik, kokettierte damit am politischen Aschermittwoch der Grünen in der vollbesetzten Stadthalle in Biberach. Beim oberschwäbischen Heimspiel der grünen Basis erhielt der 67-Jährige noch vor dem grünen Landesvater die Bühne, um daran zu erinnern, dass er trotz grünem Parteibuch bereits 1991 zum Bürgermeister der Gemeinde Maselheim gewählt wurde. Und damit 20 Jahre vor seinem Parteifreund Winfried Kretschmann, der 2011 als erster grüner Ministerpräsident ins Amt kam. Nun tritt Elmar Braun ab. Eine Zeitenwende.

 Als der gelernte Chemielaborant, Betriebsrat und Nebenerwerbsbiobauer und Gemeinderat 1991 zum Bürgermeister gewählt wurde, war die deutsche Einheit gerade erst formal beschlossen, das Internet steckte noch in Kinderschuhen, Handys waren noch nicht in Gebrauch, Bundeskanzler war weiterhin Helmut Kohl, und auch in Stuttgart hatte die CDU das Sagen, ebenso wie im Landkreis Biberach und im übrigen Oberschwaben. Heute regieren die Grünen sowohl in Stuttgart als auch in Berlin. Wir experimentieren mit künstlicher Intelligenz als massentaugliche Zukunftstechnologie und gleichzeitig führt Russland in der Ukraine einen Krieg, der an den Imperialismus im 19. Jahrhundert erinnert. Und nicht zu vergessen: 1991 war der Klimawandel noch ein ignoriertes Nischenthema von Experten, heute bedroht uns die Klimakrise existenziell. Das ist viel mehr als nur eine Zeitenwende. Damals war Elmar Braun 35 Jahre alt, unverheiratet und hatte ein Kind. Heute ist er immer noch unverheiratet, hat drei erwachsene Kinder, eine Hühnerschar und zehn Bienenvölker. Zum Abschied ein Besuch im Rathaus, wo er bereits seinen Nachfolger einführt.
Am Ende des langen Gesprächs freut sich der noch amtierende Bürgermeister, dass Oswald Metzger zu seiner Verabschiedung kommen wird. Metzger, der Obermotzer, der in Bad Schussenried zwei Mal Bürgermeister werden wollte, habe ihn damals angespornt, sich in Maselheim zu bewerben, erzählt Elmar Braun. Metzger ist in seiner Heimatstadt mit respektablen Ergebnissen gescheitert, von den Grünen schied er Jahre später als beleidigte Diva, aber konnte auch bei der CDU nicht reüssieren; Braun hat es in seiner Heimatgemeinde 1991 zum ersten grünen Bürgermeister geschafft und blieb den Grünen trotz mancher Schmerzen treu. Chapeau!
Wer den Hut auf hat, weiß in der 4600-Einwohner-Gemeinde seitdem jeder, die breitkrempige Kopfbedeckung gehört zum täglichen Outfit des Bürgermeisters, genauso wie die Krawatte, ohne die er nicht regiert und ohne die er auch nicht auf die Fasnet geht. Braun, der großen Wert darauf legt, dass nicht er, sondern der Gemeinderat das Sagen in der Kommune hat, scheut sich nicht, von „meinem Volk“ zu reden, dessen Vertreter, die Gemeinderäte, in ihrer Widerspenstigkeit immer und immer wieder „mitgenommen“ werden müssten. Genauso wie das alte Mütterle, das auf seiner Hofstelle sein Erbe bewacht, ohne dem Schultes zur Dorfsanierung vorzeitig was zu überlassen oder der Bauer, der aus alter Abneigung keinen Quadratmeter hergibt und so die weitere Renaturierung der Dürnach verhindert - ein Herzensprojekt Brauns, das er nicht vollendet hat, wie er zugibt. Die Beispiele sollen freilich nur der Veranschaulichung der vielfältigen Abhängigkeiten dienen, mit denen ein regierender Bürgermeister zu kämpfen hat – egal mit welchem Parteibuch in der Schublade.
Das grüne oberschwäbische Aushängeschild Elmar Braun wird am Aschermittwoch von Anja Reinalter, Moderatorin und grüne Bundestagsabgeordnete aus Laupheim, als „erster grüner Bürgermeister der ganzen Welt“ auf die Bühne gebeten und frotzelt, Braun sei „in Personalunion grün-schwarz“. Braun widerspricht nicht und im Saal herrscht Heiterkeit, man kennt ihn schon lange den Braun Elmar. Die Gemeinde Maselheim ist kein Hotspot, die 4600 Einwohner verteilen sich auf Maselheim und auf die drei Teilorte Äpfingen, Sulmingen und Laupertshausen. Die Gemeinde repräsentiert das ländliche Oberschwaben, von wo aus die Menschen zu den Weltfirmen nach Biberach und Laupheim pendeln, gutes Geld verdienen, fleißig im Ehrenamt tätig sind und ein komfortables Leben im Eigenheim verbringen.
Und dafür hat auch der grüne Bürgermeister mit Wollen seines Gemeinderats ohne Skrupel den 13b angewendet. Der Durchlauferhitzer für schnelles Bauen ist natürlich nicht auf Brauns Mist gewachsen, aber dass der Paragraf 13b des Baugesetzbuches die Ausweisung von Baugebieten ermöglichte ohne die üblichen Hürden wie zum Beispiel Ausgleichsmaßnahmen im Naturschutz, ist Braun Jacke wie Hose, weil sein Volk das so will, rechtfertigt sich der grüne Schultes. Als Frevel beschrieb es hingegen der erst kürzlich aus dem Amt geschiedene Landrat Heiko Schmid in einem Statement in BLIX. „Es kann einfach nicht sein“, empörte sich der parteilose Kommunalpolitiker, „dass bei uns im ländlichen Raum Gemeinden mit dem Paragrafen 13b Baugesetzbuch ohne Abwägung, Ausgleich, Herleitung aus dem Regionalplan und dem Flächennutzungsplan in großem Stil Einfamilienhaussiedlungen ausweisen, welche die Wohnungsknappheit nicht im Ansatz lindern, die Landschaft aber dauerhaft verbrauchen und versiegeln“.
Braun erzählt dem Besucher lieber über die vorbildliche Planung eines neuen CO2-neutralen Baugebietes in Äpfingen und versucht auch in der Biberacher Stadthalle mit allerlei Beispielen vom Energiesparen bei der Straßenbeleuchtung über die energetische Sanierung aller kommunaler Gebäude und einer vorbildlichen Energiegenossenschaft, deren Aufsicht er inne hat, bis hin zum Insektenretten zu punkten. Denn die Ehre, die er erfährt, das weiß der alte Hase, macht sich auch an der Frage fest, die Braun sich selbst stellt: „Wie grün kann ein grüner Bürgermeister sein?“ Seine Antwort ist ein Lacher: „Die grüne Weltrevolution war in Maselheim leider nicht zu machen.“
Apropos Revolution! Braun wuchs in einem geschichtsträchtigen Ort auf. Der Schmied von Sulmingen war der Anführer des Baltringer Haufens und Mitinitiator der 12 Artikel, die die aufständischen Bauern anno 1525 in Memmingen niederschrieben. Sie protestierten mit der Bibel in der Hand gegen die Willkürherrschaft, Leibeigenschaft und Ausbeutung durch Adel und Kirche. Es ist die Magna Carta der Menschenrechte. Aber die Bauern scheiterten, der „Bauernjörg“ von Schloss Zeil und seine Landsknechte waren zu mächtig und brutal. Um dem sicheren Tod zu entkommen, floh Ulrich Schmid, der Schmied von Sulmingen und Rädelsführer, mit seiner Familie in die Schweiz. Die Menschenrechte mussten warten, bis sie über 250 Jahre später in der Französischen Revolution zum Leben erweckt wurden.

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Nach 32 Dienstjahren ist Schluss. Elmar Braun, der „erste grüne Bürgermeister der Welt“ geht Ende April in den Ruhestand. Foto: Roland Reck

Der Bürgermeister von Maselheim kennt natürlich die Geschichte der malträtierten Bauern und ließ dem Schmied von Sulmingen eine Gedenkstätte bauen, es findet sich auch eine mannshohe Skulptur des Revolutionärs im Rathaus. Dem Schultes mag er Mahnung sein, dass man „Maß und Mitte“ – so Elmar Braun in Anlehnung an Winfried Kretschmann und dieser an Erwin Teufel (CDU) – beachten muss, sonst läuft man Gefahr zu scheitern. Das haben die Grünen schnell gelernt, die einst als Revoluzzer gegen das Establishment und seine Institutionen los gestürmt waren, indem sie Konventionen missachteten und die Provokation suchten. Das konnte sich Elmar Braun, der als Mitglied seit 1983 zur Gründergeneration der Grünen zählt, spätestens mit seiner Wahl zum Bürgermeister nicht mehr erlauben. Denn er wollte - ganz einfach – wieder gewählt werden. Braun: „Für mich war und ist der Erfolg des ersten grünen Bürgermeisters zuallererst: wiedergewählt zu werden!“ Denn, so fragt er seine ZuhörerInnen in der Biberacher Stadthalle: „Wenn ich nach acht Jahren als erster grüner Bürgermeister der Erste gewesen wäre, der abgewählt wird – wäre das ein Erfolg gewesen?“ Braun: „Ich wurde trotz CDU-Gegenkandidat nicht abgewählt, sondern insgesamt drei Mal wieder gewählt.“ Und fühlt sich dadurch als Leuchtturm, denn wo sind die grünen Bürgermeister im Ländle, fragt er seinen Besucher mit leisem Frohlocken. Freiburg, Stuttgart, Konstanz alle perdu. Übrig geblieben ist sein Bruder im Geiste Boris Palmer in Tübingen, der vor kurzem gegen eine grüne und rote Gegenkandidatin das Rathaus der Unistadt verteidigte.
Palmers Konfrontationskurs gegenüber seiner eigenen Partei ist freilich nicht der Stil Elmar Brauns. Dazu ist er trotz mancherlei Empörung zu „friedliebend“, wie er sich selbst etikettiert. Und Palmers jüngster Deal mit den Klimaklebern der „Letzten Generation“ hält er für grundfalsch. Dem Klimaprotest kann er nichts abgewinnen, das Anliegen sei „richtig“, aber der Weg sei kontraproduktiv und habe mit dem Lebensgefühl seiner Dorfjugend nichts gemein, erklärt der Altgrüne, der gerne Opa wäre – jetzt, wenn er bald viel Zeit hat.
Die „Gelassenheit“, zu der der Bürgermeister rät, erstaunt, wenn seine langjährige Mitarbeiterin beim Kaffeeservieren auch Auskunft gibt über die verheerenden Überschwemmungen, die die gesamte Gemeinde 2016 heimgesucht haben. Da sei der Bürgermeister und die Feuerwehr Tag und Nacht im Einsatz gewesen, und man habe die Menschen auch von ihrer schlechten Seite kennen gelernt. Mit Grausen denkt sie daran zurück.
Elmar Braun ist auch nach 32 Dienstjahren und der Erkenntnis, dass „der Sessel des Bürgermeisters hart ist“, immer noch Optimist. Die Dinge haben sich zum Guten verändert, davon ist Braun überzeugt. Doch auch als Sonnyboy weiß er um seine Niederlagen und erzählt offen darüber.
Die schwerste Krise seiner Amtszeit dräute Braun nicht wegen grüner Spinnereien, sondern weil er in einer ausgebeuteten Kiesgrube 2003 einen so genannten Motopark protegierte. Das Millionenprojekt war Chefsache und sollte neben einer Rennstrecke für Möchtegern-Schumis von überall her mit Unterbringung in einem extra dafür geplanten Hotel in der Kiesgrube auch der Fahrsicherheit dienen. So wurde es zumindest gemeinsam vom Investor und Bürgermeister dem Gemeinderat schmackhaft gemacht. Es waren die Bürger, die dagegen auf die Barrikaden gingen und den Bürgermeister in eine veritable Sinnkrise stürzten. Es ging doch auch um versprochene Arbeitsplätze, Gewerbe- und Einkommenssteuern. Dinge, die jeder und damit auch ein grüner Bürgermeister begehrt. Ganz zu schweigen vom Renommee eines solchen Großprojekts – wenn es denn gelänge. Was in Maselheim nicht der Fall war. Der Investor entpuppte sich als ziemlich plumper Hochstapler und das Projekt zerbröselte so schnell wie es aus dem Förmchen kam. Braun beharrt auf seine guten Absichten, aber war zermürbt von der heftigen Ablehnung, die ihm damals aus der Bürgerschaft entgegenschlug. Und weil ein Unglück selten alleine kommt, wie der Volksmund weiß, verließ ihn zur selben Zeit auch noch seine Frau mit den Kindern. Die Lebenskrise war perfekt.
Die von ihm gewollte, aber gescheiterte Rennstrecke tat seiner Wiederwahl aber keinen Abbruch. Zuletzt stimmten 85 Prozent (2015) für ihn und damit erhielt er 32 Prozent mehr als bei seiner ersten Kandidatur 1991. Das ist beachtlich für einen, der von sich behauptet: „Ich bin ein Vogel.“ Der sich zwar „gläubig“ nennt, aber nur „ab und zu in die Kirche geht“. Aber in der Krise seines Lebens zu Papst Benedikt pilgerte und erlöst nach Hause kam. Das Porträt des Papstes in seinem Bücherregal zeugt davon. „Seitdem isch der mei Freind“, erklärt der Katholik.
Er sei „kein Intellektueller“, räumt er ein. Zum Nachdenken braucht Braun ein Gegenüber, er ist ein Sprechdenker und schmollt nicht über kritische Fragen, weil er sie zum Nachdenken nutzt. Tauchen dabei Widersprüche auf, lässt er fünf auch gerne gerade sein. „Als Grüner ist mir längst klar, dass es kein grenzenloses Wachstum geben kann“, behauptete er schon vor Jahren in einem Statement in BLIX. Was ihn aber nicht davon abhält, mit drei weiteren Bürgermeistern und ihren Räten und gegen den Willen einer örtlichen Bürgerinitiative ein neues Industriegebiet im Risstal auszuweisen. Das IGI Risstal wird 45 Hektar Landwirtschaftsfläche fressen. Ebenso wenig erhebt er Einspruch gegen den geplanten Kiesabbau im „Herrschaftsholz“, dem 45 Hektar Wald zum Opfer fallen sollen.

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Der historische Bahnhof an der Öchsle-Bahn zwischen Ochsenhausen und Warthausen gelegen, diente schon als Filmkulisse.

Die Argumente sind wohlbekannt. Wachstum schafft Arbeitsplätze und Wohlstand, und wenn wir es nicht machen, machen es die anderen (ganz sicher die Chinesen), womit das globale Wachstumsrennen wider aller Klimaprognosen angeheizt wird. Braun und seine Mitstreiter – alle keine Grünen – verklären hingegen den Flächenverbrauch zur guten Tat gegen die umweltschädliche Landwirtschaft im Risstal und gegen die Fichtenmonokultur im Wald. Und Elmar Braun tröstet: „Wenn man etwas nicht verhindern kann, dann sollte man das Beste daraus machen.“ Doch seine Kritiker sprechen dem Realo den Willen ab, überhaupt etwas verhindern zu wollen. Wo kein Wille, da kein Weg!
Was man dem scheidenden Bürgermeister nicht absprechen kann, ist, dass er eine ehrliche Haut ist und die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bei sich selber sieht. So denkt er laut: „Man sieht nicht, was man nicht hingekriegt hat, oder weil ich es aus vorauseilendem Gehorsam erst gar nicht probiert habe.“ Und an anderer Stelle: „Ich bin korrumpiert von diesem Wohlstand“, räumt er ein und zählt auf: ein Wohnmobil, ein Auto, ein Motorrad, Haus und Hof und Wald, in dem er gerne arbeitet. Und mit Blick auf die multiplen Krisen dieser Welt plädiert er „für Gelassenheit“. Ob das genügt für seine Enkel, die er sich wünscht? Sein Fazit: „Der Aufwand hat sich gelohnt.“ Und am 2. Mai, seinem ersten Tag im Ruhestand, weiß er schon, was er tun wird – wenn das Wetter mitspielt, geht er Fischen. Und vielleicht liest er danach das Buch „Gemeinwohlökonomie“, das in seinem Büro noch in einem unsortierten Bücherstapel unter „Mein Kochbuch“ versteckt war. Weil wir dringend Alternativen benötigen, dafür traten die Grünen einst an. So auch Elmar Braun, der spöttisch behauptet: „Lieber schlecht regieren als nicht regieren.“

 

Autor: Roland Reck

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