Bad Waldsee - Fragt man Manne Pfeiffer, wie viele Produkte er in seinem Verkaufswagen anbietet, zuckt er mit den Schultern. „Wois id“, lautet die Antwort, es interessiert ihn auch nicht. Sein Werbeslogan muss genügen: „Bei uns gibt’s Vieles, aber nur Gutes“. Seit bald 45 Jahren tourt Manne, wie er überall heißt, mit Tee und Kräutern und vielem mehr auf den Wochenmärkten quer durchs BLIX-Land, von Leutkirch bis nach Riedlingen und von Bad Waldsee bis Biberach. Und seit 20 Jahren wirbt Manne in BLIX, Monat für Monat - ununterbrochen! Ein Hohelied auf treue Kundschaft.
Es begann mit einer Täuschung. Die erste Ausgabe von BLIX war erschienen, der Druck war miserabel, aber wir waren trotzdem mächtig stolz auf unser frischgeborenes Magazin. Der Sprung in die Selbstständigkeit war vollzogen, aber noch längst nicht geschafft. Kaum, dass wir die erste Ausgabe verteilt hatten, ging die Tür zu unserem noch reichlich improvisierten Büro mit Blick auf den Marktplatz von Aulendorf auf und hereinspaziert kam ein Mann mittleren Alters und verkündete, dass er fortan in „diesem Bläddle“ werben wolle. Gesagt, getan. Wir waren beeindruckt. Wir sahen güldene Zeiten auf uns zukommen, das Business funktionierte. So soll es weitergehen. Wir machen ein interessantes Blatt über und für Oberschwaben, und die Anzeigenkunden, die es finanzieren, kommen von allein. Manne Pfeiffer war der Beweis! Der Händler auf dem Wochenmarkt in Aulendorf blieb dabei, auch als er Aulendorf verließ, blieb er BLIX treu. Der Mann mit der Denkerstirn warb weiterhin Monat für Monat für sich und seine Frau Erika, die in Bad Waldsee den Bioladen umtrieb. Sagenhaft! Das bedarf einer Charakterisierung.
Es gibt Menschen, die trotz ihrer Originalität sich zuvorderst als Paar verstehen, ohne dass sie als solches permanent sichtbar wären. Jeder macht sein Ding – aber gemeinsam. Bei Erika und Manne ist das so. Erika ist 1956 in Waldburg geboren, Manne 1951 in Berg bei Ravensburg. Begegnet sind sich die beiden vor rund 50 Jahren bei der Ausbildung zum/zur HeilerziehungspflegerIn in Wilhelmsdorf. Da hatte Manne bereits eine Lehre zum Industriekaufmann durchlitten. Dass sie sich gemeinsam aufmachten, um in Reutlingen Sozialpädagogik zu studieren, war für Abkömmlinge aus „bildungsfernem Milieu“, wie es heute heißt, Mitte der 70er überhaupt nicht selbstverständlich. Doch die beiden Oberschwaben waren im Flow der Zeit, und das Studienfach tat ein Übriges, um sich zu politisieren. Protest war angesagt und Alternativen gefragt. Das fanden sie nicht nur in der Anti-Atom-Bewegung, sondern auch auf dem Reutlinger Wochenmarkt, wo sie neben dem Studium anfingen, mit Tee und Gewürzen zu dealen. Beim Learning-by-doing kam zwar wenig in die Kasse, aber dafür umso mehr aufs Erfahrungskonto. Die Richtung stimmte. Und so machten sich die beiden mit abgeschlossenem Studium Ende der 70er auf den Weg, um sich in Bad Waldsee als Marktbeschicker selbstständig zu machen.
Ihr Werbeslogan ist Programm, dem sie treu geblieben sind.
Der Rest ist eine lange Zeit, während der Manne unermüdlich und unübersehbar mit seinem gelben Bus auf den Märkten seine Kundschaft erfreute, machte Erika in Bad Waldsee den ersten und einzigen Bioladen auf. Manne ist immer noch on tour, Erika hat vor drei Jahren ihr Geschäft an ihre ehemalige Auszubildende übergeben, was nicht funktionierte. Den kleinen Laden in der Innenstadt gibt es nicht mehr.
Trotzdem: „Uns geht es gut“, ist das Paar sich einig. Manne sieht noch gut, wie er behauptet, kann seine Preisetiketten noch lesen und dazu Kopfrechnen, sagt er, aber vor allem habe er eine treue Kundschaft, vor der er „niederkniee“, weil er weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Sie, die Kundschaft, könnte wegbleiben,
das Geld für seine Qualität und Beratung sparen und in den Discounter tragen. Nein, dem ist nicht so! Beständigkeit ist eine Tugend, die das Paar zu seiner Philosophie erklärt hat und selbst lebt. Sie hätten immer noch dieselben Lieferanten wie zu Anfang, wo Erika, die Managerin, immer noch per Telefon die Waren bestellt. Es geht nicht um Geschwindigkeit und schon gar nicht um Angebots-Hopping, sondern um Verlässlichkeit.
Und auch um Unterhaltung, wie ein jüngerer Kunde lachend meint: “Wenn dei Zeig scho so deier isch, will I wenigschdens a bissle Schbass beim Einkaufa.“ Aber es geht auch ernsthafter wie eine ältere Dame begründet, warum sie schon seit über 40 Jahren bei Manne einkauft: „Ganz einfach. Erstens ist der Manne immer freundlich, zweitens verkauft er gesunde Lebensmittel und drittens werde ich nirgends so gut beraten.“ Außerdem finde sie hier immer wunderbare Geschenke, über die man sich wirklich freue. Und zielsicher greift der so Gelobte in seine vielfältige Auslage, wenn eine Kundin, die Mehrzahl sind Frauen, von ihm ein Päckchen Kartamom oder ein Gläschen mit Nussaufstrich will. Bitte schön!
Wer sich auf den Markt stellt oder hinter einer Ladentheke die Kundschaft bedient, ist eine öffentliche Person. Und selbstverständlich war ihre gemeinsame Entscheidung, sich in der noch jungen Biobranche selbstständig zu machen, auch eine politische. Es war der Traum vom anderen Leben, der Alternative, die die Welt schont und deren Basis Wertschätzung und Fairness sind. Ziele, denen das Paar treu geblieben ist. Sie leben im eigenen Haus, aber konsumarm, das IKEA-Regal, das noch aus den 80ern stammt, zeugt davon. Und Che Guevara als Popart an der Wand erzählt von den einstigen Idolen, deren Gebrochenheit auf die Widersprüche verweist, in denen wir leben. Für Erika und Manne ist es das Faible für Schiffsreisen, „ein Luxus“, den sie sich hin und wieder trotz miserablem Fußabdruck gönnen – was von der neugierigen Kundschaft nicht unkommentiert bleibt.
Es ist auch diese hautnahe Auseinandersetzung, die Manne an seinem Job liebt. Es wird nie langweilig. Und so lange es gefällt und die Zipperlein sich in Grenzen halten, wird der 72-Jährige auch weiterhin seine Kundschaft erfreuen, getreu ihrem Motto „Bei uns gibt’s Vieles, aber nur Gutes“.
Und warum um Himmels Willen wollte Manne einst partout in „diesem Bläddle“ werben? Er sei vom Aulendorfer Markt nach Hause gekommen, erinnert sich Erika, und habe erzählt, „des Bläddle gäbs“, weil in Biberach der Landrat bestimme, was in der Zeitung steht. Das ginge ja gar nicht! (siehe Seiten 12/13) Und der Rest ist Geschichte und Verlässlichkeit.
Autor: Roland Reck